"Kuschen bis zum Tod"

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Die deutschen Grünen haben sich neu positioniert und die "urgrüne" Haltung der absoluten Gewaltfreiheit aufgegeben. Christoph Chorherr, bekannt für markige Sprüche zum Thema Pazifismus und Militär, über seine Parteifreunde in Deutschland, den "demokratiepolitischen Wahnsinn" der Wehrpflicht und andere "Barbareien" an Menschen.

die furche: Herr Chorherr, die rot-grüne Regierung in Berlin schickt Angehörige der deutschen Bundeswehr zur Unterstützung der Amerikaner nach Afghanistan. Die Basis der deutschen Grünen hat sich beim Berliner Parteitag kürzlich endgültig vom urgrünen Prinzip der "uneingeschränkten Gewaltlosigkeit" verabschiedet. Haben Ihre Parteifreunde den Pazifismus verraten?

christoph chorherr: Es gibt nichts Schlimmeres für eine grüne Partei, als in einen Krieg verwickelt zu werden beziehungsweise dazu Stellung nehmen zu müssen. Ein Krieg, der natürlich nicht einfach nur "gerecht" ist, wie das die Amerikaner so simpel darstellen. Das hat enorme Zerreißproben innerhalb der Partei gebracht und das wäre sicher auch bei uns so.

die furche: Wenn Joschka Fischer ein Bekenntnis zur rechtsstaatlich legitimierten Gewalt abgibt, dann ist das doch eigentlich in Wirklichkeit die Rückkehr zum klassischen Pazifismus, der doch auch nie absolute Gewaltlosigkeit bedeutet hat.

chorherr: Ich bin auch nie ein Pazifist in dem Sinn gewesen, dass ich für Gewaltlosigkeit um jeden Preis bin. Das würde heißen, dass ich mir nicht die Finger schmutzig machen will, wenn rundherum ein Gemetzel stattfindet. Ich halte Österreichs UNO-Einsätze für vernünftig und argumentierbar. Ob im Kosovo, in Afghanistan oder sonstwo - zum Schutz der Bevölkerung und zur Verhinderung von Massakern sind auch militärische Maßnahmen notwendig. Auch der Nationalsozialismus wurde militärisch besiegt. Gerade in einem geschundenen Land wie Afghanistan sind polizeiähnliche Truppen wichtig, die ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung herstellen. Dass Österreich da seinen Teil leistet, finde ich richtig und wichtig.

die furche: Fällt Ihnen bei den Bildern von Friedenseinsätzen im Kosovo oder in Kabul auch ein, dass Sie in einem Interview gemeint haben, das Heer sei zutiefst undemokratisch. Man lerne dort zwangsläufig nur eines: Kuschen, Gehorchen ohne Nachzudenken, ein "demokratiepolitischer Wahnsinn" ...

chorherr: Meine kritische Haltung zur Wehrpflicht ist eine demokratiepolitische, denn sie bezieht sich auf das Innerste Wesen von Armee und deren Ausbildung. Als Realpolitiker sehe ich kurzfristig von Bosnien bis Afghanistan nicht die Möglichkeit, militärische Gewalt zu eliminieren. Aber was ich auch nicht sehe, ist die Notwendigkeit für eine allgemeine Wehrpflicht. Ich halte es für schädlich, einen Menschen im formbaren Alter von 17, 18 Jahren durch diese Maschinerie zu schicken. Das Zwangssystem der allgemeinen Wehrpflicht und der Unkultur, die dort herrscht, ist verheerend. Was ist denn exerzieren? "Rechtsum, linksum, Feuern, Sturmlauf" - alles Befehle, die ungeachtet ihrer Sinnhaftigkeit, und ungeachtet ihrer Konsequenzen automatisiert durchzuführen sind. Mir ist noch die Aussage eines meiner Kompaniekommandanten im Kopf: "Wir wollen die Identität der Wehrmänner brechen, und dann neu aufbauen." Wahrscheinlich ist das weniger absurd, als es klingt. Denn nur dann sind destruktive Kriege und Barbarei möglich. Mit eigenständig denkenden und handelnden Menschen wäre das schwer möglich.

die furche: Jetzt zeichnen Sie aber ein Bild aus längst vergangenen Zeiten, das ist das Soldatenhandwerk von gestern.

chorherr: Nein, das glaube ich nicht. So viele Leute reden übers Bundesheer und wissen nicht einmal, worum es geht. Natürlich wird exerziert, und was lernt man da? Gehorchen, ohne nachzudenken. Da gibt es einen Befehl von oben und der wird bis in den Tod durchgeführt. Das ist das System. Das ist der total unterbelichtete Aspekt bei der Diskussion über das österreichische Bundesheer. Alles, was ich da sage, hat sich im wesentlichen nicht geändert. Darum konzentriere ich mich so darauf. Man kann nicht beschönigen, was dort passiert. Das Wesen von Heeren in der gesamten Welt und in der gesamten Geschichte ist: Wie bringt man junge Männer dazu, zu töten oder ihre Lebenserhaltungstriebe in Extremsituationen aufrechtzuerhalten. Das ist der Sinn der ganzen Geschichte. Da können sich die Soldaten noch so sehr mit kleinen Kindern als Helfer in Afghanistan fotografieren lassen, oder jetzt angesichts der Hochwasserkatastrophen wieder ganz toll die Keller auspumpen. Super. Aber der Kern des Heeres soll doch bitte nicht behübscht werden. Die Gesellschaft möge sich doch einmal genauer anschauen, was eine Ausbildung beim Heer darstellt.

die furche: Ist Ihnen gar nichts Positives in Erinnerung geblieben als Milizoffizier, der Sie waren?

chorherr: Hmmm (lange Pause), jetzt fordern Sie mich aber! Es gefällt denjenigen, die Lust aufs Indianerspielen oder auf körperliche Extremsituationen, oder aufs Organisieren und Sich-Orientieren haben. Glauben Sie nur ja nicht, dass ich hier nur meine persönliche Geschichte abrechne. Im Gegenteil. Es ist mir gar nicht schlecht gegangen in der Zeit, als ich dort war.

die furche: Vielleicht hat das Bundesheer noch zweit- und drittklassige Führungskräfte, aber davon wird man wegkommen müssen. Die Heere werden weltweit professionalisiert, es kommt auf Teamarbeit, Beherrschung der Technik usw. an. Gerade deshalb geht man doch immer mehr in Richtung Berufsheer.

chorherr: Es geht mir vor allem um bildungs- und demokratiepolitische Aspekte, die oft vergessen werden. Jahr für Jahr werden österreichweit rund 30.000 junge Menschen auf Grund ihrer Staatspflicht einberufen. Die meisten tun dies ungern und fragen sich, warum dies notwendig ist. Sie fühlen sich ihrer Zeit beraubt und werden von ihrem geplanten Weg in Bildung oder Beruf abgebracht. Und - sind Kuschen und Kritikuntauglichkeit tatsächlich die richtigen Anforderungen für die vielzitierte Wissensgesellschaft? Das Wesen des Heeres steht jedenfalls in massivem Widerspruch zum heutigen Anspruch an Bildung und Ausbildung. Das Bundesheer wirkt auf viele Menschen massiv persönlichkeitsverändernd. Es gelingt dort, Identitäten zu brechen.

die furche: Was ist die Alternative?

chorherr: Ein Berufssystem, wo sich die Leute freiwillig zu dieser Art von Beruf entscheiden. Es wäre ein riesiger Schritt in Richtung Demokratisierung, die Zahl jener so weit wie möglich zu begrenzen, die sich das freiwillig antun wollen.

die furche: Nun verstehen sich die Grünen nicht nur als basisdemokratische, sondern auch als solidarische Partei. Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass Barbareien an Menschen auch anderswo passieren? In Österreichs Unternehmen herrscht teilweise "Krieg": Mobbing, Schikanen und "Befehle" des Managements, die manchmal als widersinnig empfunden werden und dennoch ausgeführt werden müssen?

chorherr: Da gibt es einen qualitativen Unterschied. In einem Unternehmen kann ich kündigen, beim Bundesheer muss ich drinnen bleiben. Betriebe können zeigen, dass es auch anders geht. Unterdrückung ist nicht wesenhaft mit ihnen verbunden. Aber wenn Sie sagen, die Grünen machen hier zu wenig, dann haben Sie sicher recht. Wir sollten das noch viel stärker thematisieren. Aber das gilt auch für das Bundesheer. Ich bin zwar ein Wiener Kommunalpolitiker, aber ich nehme mir doch heraus, das Heer immer wieder ins Scheinwerferlicht zu bringen.

die furche: Das passiert gerade wieder durch die Abfangjägerdiskussion.

chorherr: Es ist absolut nicht notwenig, dafür Unsummen auszugeben.

die furche: Sollte das Geld für Professionalisierung ausgegeben werden?

chorherr: Nein. Ich glaube in der Tat, dass es sich Österreich leisten könnte, deutlich abzurüsten. Wir sind bald in der angenehmen Situation, dass wir nur von NATO-Staaten oder der NATO nahestehenden Ländern umgeben sind. Wir brauchten nur mehr eine aufgerüstete Polizei, um den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung zu entsprechen. Für Panzer und große Fliegereinheiten besteht dabei absolut keine Notwendigkeit.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Zur Person: Grüner Praktiker

Christoph Chorherr, seit März 1997 Klubobmann der Grünen im Wiener Rathaus, Landtagsabgeordneter und Gemeinderat, wurde am 9. Dezember 1960 in Wien geboren.

Seit der Diskussion um das Atomkraftwerk Zwentendorf beschäftigt er sich mit alternativen Energieprojekten, die er in beachtlicher Weise zum Teil bereits in die Realität umgesetzt hat. Seit 1986 ist er in diversen Spitzenfunktionen der Grünen tätig.

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