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Menschlichkeit und Wirtschaft

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In seiner Budgetrede vor dem österreichischen Parlament erklärte der Finanz-minister, daß Österreich nicht mehr imstande sei, Geld für die versetzten Personen und Flüchtlinge auszulegen. Das durch die nazistische Besetzung und Nachkriegserscheinungen verwüstete Land leiste schon genug durch die bis heute durchgeführte Ausländerbetreuung. Es könne darüber hinaus nicht noch die Kosten einer internationalen Organisation tragen, da es selbst ja vollkommen auf Hilfe von außen angewiesen sei. Diese Stellungnahme erregte großes Aufsehen im Ausland. Sie .wurde von führenden Blättern kommentiert, die die DP-Politik in Österreich einer scharfen Kritik unterzogen. Es muß bezweifelt werden, ob diese auswärtigen Stimmen das Recht haben, die Menschlich-x keit österreichischen Verhaltens zu kritisieren. ■ Sie alle haben sich nur schwach gewehrt, als mit einigen kurzen Federstrichen das Schicksal von hunderttausenden Flüchtlingen besiegelt wurde. Und gerade das kleine Österreich hat sich bemüht, seine Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft im Rahmen der ihm von den Alliierten gelassenen Möglichkeiten unter Beweis zu stellen.

Das DP-Problem ist aber nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, sondern auch ein ganz nüchternes wirtschaftliches Problem. Auf diesem Sektor wurde bei uns noch nicht überall die wünschenswerte Planmäßigkeit entwickelt. Der Arbeitermangel macht die Eingliederung der versetzten Personen in den Arbeitsprozeß unbedingt notwendig. Zahlen, die der Statistik der Landesarbeitsämter entnommen sind, bestätigen die Richtigkeit dieser Ansicht. So waren in Oberösterreich-Süd im September dieses Jahres von 89.905 außerhalb der Lager lebenden DPs 44,5 Prozent in Beschäftigung. Das bedeutet, daß von den Arbeitsfähigen dieser Gruppe 97,5 Prozent im Arbeitsprozeß stehen. Von der- Gesamtsumme von 111.530 DPs und Flüchtlingen in demselben Gebiete innerhalb und außerhalb der Lager waren 47.139 oder 42 Prozent beschäftigt. In Kärnten waren rund 10.000 Ausländer in der Landwirtschaft und 16.158 in der Industrie und anderen Wirtschaftszweigen beschäftigt. In diesem Bundesland wiesen die Arbeitsbehörden bei einer Gesamtzahl von 51.690 52 Prozent Arbeitsfähige, 19,6 Prozent alte Leute und 28,4 Prozent Kinder aus. Salzburg, das offiziell 7000 Arbeitskräfte, inoffiziell aber fast das Doppelte benötigt, hatte die außerhalb der Lager lebenden Flüchtlinge zu 100 Prozent beschäftigt. In Niederösterreich waren von ungefähr 35.000 Ausländern 24.841 beschäftigt. (Diese Zahlen gelten nicht für die jüdischen .Flüchtlingslager.) Hinter diesem trockenen statistischen Material verbirgt sich aber die Tatsache, daß mit der Arbeit der DPs die heurige Ernte eingebracht wurde und der Industrie die zum Anlaufen notwendigen Fach- und Hilfsarbeiter zugewiesen werden konnten. Dazu kommt noch, daß in kurzer Zeit bei Anlaufen des Marshall-Plans Europa den Mangel an Arbeitskräften noch bedeutend stärker zu spüren bekommen wird, wenn es die übernommenen Planungen tatsächlich zeitgerecht durchführen will. Diese gewaltigen Verpflichtungen können mit dem derzeitigen Arbeitspotential nicht erfüllt werden. Diese Erkenntnis hat sich ■ auch bereits auf dem DP-Arbeitsmarkt ausgewirkt. Kanada, daß von diesen Planungen nur indirekt betroffen ist, hat in Österreich und Deutschland bereits 14.764 versetzte Personen geworben. Frankreich benötigt für sein »ogenanntes „Metropolitanschema“ 70.000, der belgische Mineurplan 20.000, Nordafrika 15.000 bis 20.000, die Niederlande 8500, Schweden 500, die Schweiz 200. Die Zahlen für England, Südafrika und die südamerikanischen Staaten stehen noch nicht fest. Kanada aber zum Beispiel ist so zufrieden mit dem vorgefundenen Menschenmaterial, daß es bereits daran denkt, die Quote um ein erhebliches zu steigern. Man kann die ernste Gefahr, die für Österreich in diesen Aktionen liegt, nicht verkennen. Diese Kommissionen, die mit festabgesteckten Plänen kommen, suchen sich natürlich nur die besten Kräfte aus. Österreich, daß aber nur mit saisongebundenen Verträgen arbeitet und die Seßhaftmadiung nur in Sonderfällen in Erwägung zieht, kann dann nur die minder“ wertvolleren Kräfte an sich fesseln. Nur eine planvolle und bewußte Lenkung und Koordinierung kann aus dieser Situation herausführen.

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