"Das Patriarchat hat ausgedient"

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Mit ihrer klaren Sprache und ihrem eigenwilligen Denken gilt Ina Praetorius als eine herausragende Vertreterin feministischer Ethik. Im Furche-Interview spricht sie über das Ende der Männerherrschaft, die Rolle der Frauen in der Reproduktions- und Biomedizin sowie ihren eigenen Umgang mit der Krankheit Multiple Sklerose.

Die Furche: Sie stellen in Ihren jüngsten Veröffentlichungen die These auf, dass die Herrschaft der Männer zu Ende ist. Wie kommen Sie zu dieser erstaunlichen Behauptung?

Ina Praetorius (lacht): Einerseits ist das eine Art Experiment: Ich stelle diese Aussage vom Ende des Patriarchats in den Raum und frage: Wie sieht die Welt aus, wenn ich diese Hypothese gelten lasse? Und dann sehe ich bei meiner Auseinandersetzung etwa mit dem Irakkrieg plötzlich viel deutlicher die Schwäche von Mister Bush und Mister Saddam als ihre beängstigende Stärke. Wenn Herrschaftsformen zu Ende gehen, ist mit Katastrophen zu rechnen.

Die Furche: Das klingt ja geradezu prophetisch ...

Praetorius: Ja, ich schließe durchaus an die Tradition biblischer Prophetie an. Zwar will ich mir nicht anmaßen, im Namen Gottes zu reden, aber ich meine doch: Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo es Zeit ist, dem Patriarchat das Ende anzusagen. Es hat ausgedient, weil es zu viel Zerstörung und zu viel Unglück erzeugt hat. Außerdem gibt es weltweit eine ganze Menge Indizien, dass sich tatsächlich in den letzten dreißig Jahren sehr viel verändert hat. Frauen sind jetzt in allen Berufen anzutreffen: als Richterinnen, als Bischöfinnen, als Unternehmerinnen. Auch auf diskursiver Ebene hat sich viel getan: Bis etwa 1968 wurde die These, dass Hausarbeit keine Arbeit ist, sondern allein aus Liebe erfolgt und der weiblichen Natur entspricht, ganz offen vertreten. Das behauptet heute niemand mehr. Dieser ideologische Kern des Patriarchats ist verschwunden.

Die Furche: Als feministische Ethikerin beschäftigen Sie sich seit über zwanzig Jahren mit Bioethik. Sie kritisieren sehr scharf, dass sich Bioethik in der Art einer Hofethik als public-relations-Instrument für Medizintechnik hergibt. Was müsste sich denn Ihrer Meinung nach an der bioethischen Debatte ändern?

Praetorius: In der "Salzburger Erklärung zur sogenannten Bioethik" (von Praetorius und anderen Feministinnen am 1. September 2002 unterzeichnet; Anm. d. Redaktion) steht: Es wäre sehr viel wert, wenn alle Bioethiker und -ethikerinnen sich darüber im Klaren wären, dass sie in derselben Welt leben, in der Kriege und Hungersnöte wüten. Bei der Bioethik besteht die große Gefahr, dass man seinen Tunnelblick nur noch auf kleine Ausschnitte der Wirklichkeit fokussiert, ohne den Rest der Welt zu beachten. So etwas wie Klonen kann man nicht unabhängig davon diskutieren, dass es Leute gibt, die diese Technik als Waffe benutzen könnten.

Die Furche: In Österreich wird darüber diskutiert, die Präimplantationsdiagnostik (PID), also den Gencheck an durch In-vitro-Fertilisation (IVF) erzeugten Embryonen, zuzulassen. Wie stehen Sie dazu?

Praetorius: Ich bin da sehr skeptisch. Es heißt zwar immer, dass die Frauen, die PID in Anspruch nehmen wollen, ausführlichst beraten werden. Doch die Berater stehen in der Praxis unter demselben Zeitdruck wie alle Mediziner heutzutage. Ich kann nicht davon ausgehen, dass alles in der ganzen Welt rational und transparent läuft. Patienteninformiertheit ist ein Phantom. Man kann niemand so komplett informieren, dass keine Missbräuche mehr möglich sind. Angesichts der riesigen erforderlichen Investitionen würde ich die PID verbieten. Meines Erachtens müssen wir diese ganze Problematik noch einmal von dem Punkt aus diskutieren, wo die Keimzellen dem weiblichen Körper entnommen werden: Ist es mit der Menschenwürde zu vereinbaren, dass die grundlegende Bezogenheit von Keimzellen und Mutterleib aufgelöst wird? Ich meine nein.

Die Furche: Erst kürzlich ist es in den USA - zumindest an der Maus - gelungen, künstliche Eizellen aus embryonalen Stammzellen zu gewinnen. Welche Konsequenzen hätte es, wenn ein solcher Durchbruch auch beim Menschen gelingen würde?

Praetorius: Können Sie sich vorstellen, wie wir als Gesellschaft jemals die Situation und die Würde von Menschen, die man so erzeugt hat, rechtlich und ethisch befriedigend definieren sollen? Ich nicht. Was ist ein Mensch, dessen "Mutter" eine Stammzelle ist? Angesichts dieser neuen Entdeckung plädiere ich umso mehr dafür, noch einmal darüber nachzudenken, was es bedeutet, Keimzellen aus der ursprünglichen Bezogenheit auf den Mutterleib zu isolieren. Dieser anfängliche Akt, dessen moralischer Status noch nicht geklärt ist, hat ja die ganze Problematik erst in Gang gesetzt.

Die Furche: Sie leben seit vielen Jahren mit der Diagnose Multipler Sklerose. Hoffen Sie bei aller Technikskepsis nicht doch auf das Potenzial embryonaler Stammzellenforschung?

Praetorius: Mir geht der Glaube daran absolut ab. Ich habe Kontakt zu kritischen Medizinern und Biologinnen, die mich darauf hinweisen, dass eine Heilung von Multipler Sklerose trotz Stammzellen in weiter Ferne liegt. Die Versprechungen der Forscher hören sich für mich unglaubwürdig an. Es gibt wenig Grund, ihnen zu glauben.

Die Furche: Wie geht man dann mit einer solchen Krankheit um?

Praetorius: Ich war seit fünf Jahren nicht mehr beim Arzt. Die Diskrepanz zwischen den riesigen Hoffnungen, die in den Medien verbreitet werden, und der großen Hilflosigkeit der Ärzte in der MS-Sprechstunde amüsiert mich. Wenn mir ein Arzt gegenüber sitzt und mir einmal ehrlich sagt, wie wenig er über meine Krankheit weiß, dann muss ich sagen: Wozu soll ich zum Arzt? Ich kann selbst beurteilen, ob ich noch gehen kann oder nicht. Meine "Lösung" ist eine spirituelle. Seit sechs Jahren habe ich eine sehr regelmäßige Gebetspraxis. Ich kann nicht wirklich sagen, ob es jetzt daran liegt, aber es geht mir auch ohne Medikamente ziemlich gut.

Die Furche: Verraten Sie uns zum Schluss, ob Ina Praetorius demnächst wieder in einem Buch über Ethik, also über gutes Leben, nachdenkt?

Praetorius: Ja, der Arbeitstitel meines nächsten Buches heißt: Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition. Natürlich habe ich hin und wieder Selbstzweifel bei diesem großen Projekt: Über biblische Ethik haben schon viele geschrieben und sind daran gescheitert. Aber dann denke ich: Dieser Ansatz vom Ende des Patriarchats ist so tiefgreifend, dass es sich lohnt, so etwas zu machen. Ich bin nicht vom Erfolg abhängig oder davon, dass es schnell geht. Es macht mir Spaß. Und es bringt einen roten Faden ins Leben, wenn ich weiß: Ich bin wieder an etwas Großem dran.

Das Gespräch führte Angelika Walser.

Engagement ohne Kompromisse

Sie passt in kein Schema und sagt, was sie für richtig hält: Ina Praetorius nimmt sich die Freiheit des Denkens - unabhängig von traditionellen Strukturen und akademischen Institutionen. Damit eckt die 1956 in Karlsruhe geborene evangelische Theologin und Germanistin immer wieder an: Ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Zürich von 1983 bis 1987 endete in einem Eklat: Ihre Dissertation über "Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1945" wurde nicht angenommen - offiziell wegen "inhaltlicher und formaler Mängel". Doch Praetorius ließ sich nicht beirren: Sie verschärfte ihre Thesen noch und promovierte schließlich an der Universität Heidelberg. Vor sechs Jahren entschied sie sich bewusst für das Leben einer freischaffenden Autorin, einer Hausfrau und Mutter einer 14-jährigen Tochter. Der akademischen Welt hat sie dennoch nicht ganz den Rücken gekehrt. Von Zeit zu Zeit nimmt sie Lehraufträge an Universitäten wahr und verlässt dazu das 300-Seelen-Dorf Krinau in der Schweiz, in dem sie zusammen mit ihrem Mann, einem evangelischen Pastor, lebt. Grundzüge ihres Denkens finden sich auch im Buch "Welt gestalten im ausgehenden Patriarchat", hg. von Michaela Moser und Ina Praetorius,Ulrike-Helmer- Verlag, Königstein/Taunus 2003, e 25,19.

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