Sievekind - © Foto: gemeinfrei

Menschen, an die man sich halten kann

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"Vorbilder mit und ohne Heiligenschein": Gertraud Putz' "Kalenderbuch und Nachschlagewerk" ist ein Buch, in dem man sich festlesen kann.

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"Vorbilder mit und ohne Heiligenschein": Gertraud Putz' "Kalenderbuch und Nachschlagewerk" ist ein Buch, in dem man sich festlesen kann.

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Schon einmal gehört von Edmund Pontiller? Und wer war Amalie Sieveking? Ist es ein Fehler, wenn einem der Name Jahangir Asma nichts sagt? Pontiller stammt aus dem Osttiroler Ort Dölsach, wurde 1916 zum Priester geweiht und nahm seinen Auftrag, sich für die Menschen einzusetzen, derart ernst, dass er im Februar 1945 dafür hingerichtet wurde. Sein Vergehen bestand darin, dass er sich mündlich und schriftlich gegen den Nationalsozialismus ausgesprochen hatte.

Die Hamburgerin Amalie Sieveking wurde 1794 geboren, als die Aufklärung in Deutschland schon die Idee eines selbstbestimmten, mündigen Lebens jedes Einzelnen in die Welt gesetzt hatte. Sie setzte sich für eine Menschengruppe ein, die in der Gesellschaft keine guten Karten hatte, unverheiratete Frauen und arme Mädchen. Die Chance, sich aus Abhängigkeiten zu befreien, sah sie in der Bildung, deshalb gründete sie eine Schule und unterrichtete Mädchen in den Armenhäusern. Gegen erhebliche Widerstände zog sie ihre Pläne durch.

Mit extremem Gegenwind hatte auch Jahangir Asma (1952–2018) zu kämpfen, die in Pakis­tan für die Wahrung der Menschenrechte eintrat. Als Rechtsanwältin gründete sie gemeinsam mit ihrer Schwester eine von Frauen geleitete Anwaltskanzlei, was schon deshalb von Bedeutung ist, weil sich die pakistanische Rechtssprechung als frauenfeindlich erweist. Der absurden Logik, dass vergewaltigte Frauen des Ehebruchs angeklagt werden, setzte sie die Stimme der Vernunft entgegen.

Eine Art Gegen-Geschichtsschreibung

Man muss diese Leute nicht kennen, aber es ist notwendig, sie nicht zu vergessen, um nicht jenen einen Platz in der Geschichte zu überlassen, die für den miserablen Zustand der Welt verantwortlich zeichnen. Die Salzburger Theologin Gertraud Putz stellt in ihrem jüngsten Buch Persönlichkeiten vor, die Vorbildcharakter annehmen, weil sie nicht bereit sind, katastrophale Verhältnisse als gegeben hinzunehmen.

In Kurzporträts macht sie mit 424 Männern und Frauen bekannt, die Gleichgültigkeit als Verbrechen gesehen haben und selbst unter höchster Gefahr nicht geschwiegen haben. Dabei lässt sich Putz nicht von ideologischen oder religiö­sen Vorgaben leiten. Ins Buch kommt, wer sich für bedrohte Menschen oder Menschengruppen eingesetzt hat. Selbstverständlich verzichtet sie nicht auf die großen Namen wie Janusz Korczak,
der gemeinsam mit „seinen“ jüdischen Waisenkindern in Treblinka ermordet wurde, Hildegard von Bingen oder Bischof Óscar Romero. Ebenso aber widmet sie sich den zahllosen Unbekannten, vielfach Unbedankten.

Mit ihrem Nachschlagewerk betreibt Gertraud Putz eine Art Gegen-Geschichtsschreibung. Sie konzentriert sich nicht auf jene, die die Fäden ziehen und verbindliche Vorgaben liefern für die Entwicklung einer Gesellschaft und Kultur. Sie rückt jene in den Mittelpunkt, die aus Gründen der Moral, wenn es sein muss auch subversiv, laufende destruktive Entwicklungen torpedieren. Das macht sie nicht nur zu unbequemen Zeitgenossen, sondern vielfach auch zu Verfolgten und Gejagten. Viele erleben nicht, wie ihnen die Geschichte im Nachhinein recht gibt.

Nelson Mandela jedenfalls durfte nicht nur erleben, wie die Apartheid-Politik Südafrikas an ein Ende kam, er wurde sogar Präsident der Republik. Das war nicht selbstverständlich, trug ihm doch der Kampf, der nicht ausschließlich mit friedlichen Mitteln geführt wurde, den Ruf eines Terroristen ein. Margaret Thatcher und George W. Bush nannten ihn jedenfalls einen solchen.

Bei Putz finden sonst nur Aktivisten Platz, die der Gewalt entsagen. Che Guevara oder Malcolm X bleiben ausgespart. Die Autorin unterstützt das Gandhi-Prinzip, wonach Widerstand mit friedlichen Mitteln hartnäckig zu verfolgen sei.

Das ist ein Buch, in dem man sich festlesen kann, weil nach dem Zufallsprinzip der alphabetischen Reihung stets neue Entdeckungen zu machen sind. Die Informationen sind knapp gehalten, richten sich im Umfang nach Prominenz und Quellenlage des Porträtierten. Selten, dass eine Darstellung länger als eine Seite gerät.

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