Michael Machatschek arbeitet seit Jahrzehnten daran, heimisches Kräuterwissen zu erfassen. Gleichzeitig beklagt er das Desinteresse seitens der Universitäten. Den Wissenschaftern fehle heute "die Erdung".
Die Furche: Herr Machatschek, wenn ich heute in eine Apotheke gehe und sage, ich fühle mich grippig, dann bekomme ich wahrscheinlich ein Aspirin C. Was empfehlen Sie?
Michael Machatschek: Zum Beispiel: Mädesüß (Filipendula ulmaria). Daraus können Sie einen Tee kochen. Das hilft auch gegen Husten und Ausgebranntsein. Aus der Wurzel hat man übrigens früher Schnaps gemacht. Den hat man Salicylschnaps genannt. Ist das nicht witzig? Die Leute haben sicherlich gewusst: (Acetyl-)Salicylsäure ist der Wirkstoff in Aspirin. Mit der Bezeichnung wollten sie wohl sagen: der Schnaps wirkt genauso wie das Medikament.
Die Furche: Trinken Sie den Tee auch selbst?
Machatschek: Aber selbstverständlich. Der Tee ist gut, schmeckt so ähnlich wie Schwarztee. Unlängst habe ich ihn mit einer Supermarkt-Verkäuferin getrunken. Ich prophylaktisch; sie hingegen war schon seit fast drei Wochen erkältet. Und sie hatte auch sonst Probleme im Leben. Ich habe mit ihr lange geredet. Kranksein hat ja oft viele Ursachen. Wir sind recht blauäugig zu glauben, dass eine Tablette genügt, um wieder gesund zu werden.
Die Furche: Und ging es der Verkäuferin danach besser?
Machatschek: Ja, eineinhalb Tage später war sie wieder am Arbeiten.
Die Furche: Sie haben an der Universität für Bodenkultur (Boku) studiert. Heute leben Sie auf einem Bauernhof in Kärnten. Warum lehren Sie nicht an einer Uni und geben dort Ihr Kräuterwissen an Studenten weiter?
Machatschek: Ich hatte Lehraufträge an der Boku, an der Hochschule in Wädenswil, in Weihen-stephan in München und war auch eine Zeit lang Dozent in Bielefeld. Aber heute scheint nur noch ein Wissen gefragt zu sein, das die Finanzen und die Macht der Unis stärkt. An der Boku etwa wurde mit der Studienreform die Nutzpflanzenkunde leider abgeschafft.
Die Furche: Aber Pharmakologen interessieren sich sicherlich für die Heilkräfte von heimischen Kräutern …
Machatschek: Nein. Es gibt keine Verbindung zwischen Wissenschaft und heimischer Kräutermedizin. Die Pharmakologen fliegen lieber nach Tibet oder gehen in den Amazonas und suchen dort nach potenziellen Wirkstoffen.
Die Furche: Das klingt unglaublich.
Machatschek: Das ist aber so. Die Universitäten sind längst kein Garant mehr dafür, dass dieses alte Wissen erhalten bleibt. Die Theorie ist zu sehr von der Praxis entkoppelt. Das ist mein massiver Kritikpunkt. Meine Forschungsarbeit schaut deshalb auch ganz anders auch.
Die Furche: Wie anders?
Machatschek: Ich interessiere mich ja nicht nur für Kräuterwissen, sondern auch für Landnutzungswissen, das einfache bäuerliche Wissen im Allgemeinen. Um mehr darüber zu erfahren, gehe ich zu den Bauern und zu den Gärtnern: Ich bin viel in der Region unterwegs, rede mit Leuten, arbeite mit ihnen oft längere Zeit zusammen und schaue, wie sie Tiere behandeln und Pflanzen einsetzen. So lerne ich von ihnen. Sie sind meine großen Vorbilder. Dabei romantisiere ich nichts. Nein, jegliche Art von Heimattümelei liegt mir fern.
Die Furche: Haben Sie versucht, Geld für Ihre Forschung zu bekommen?
Machatschek: Ja. Ich habe Vorstöße bei der Landwirtschaftskammer und bei der Wirtschaftskammer gemacht. Ohne Erfolg. Ich verwende eben keine Hightech-Apparate und so kriege ich keine Fördermittel. Die Zeit ist für meine Art der Forschung wohl noch nicht reif. Wenn wir aber weitere zehn Jahre warten, dann sterben langsam die alten Leute weg, die man noch hätte befragen können. Ja, ich treffe oft ältere Weiberl, denen es unangenehm ist über ihr Wissen zu sprechen. Die verwenden in ihrer Küche Pflanzen, die es in keinem Supermarkt zu kaufen gibt. Diese Art von Stigma hat eine lange Vorgeschichte - Stichwort: Kräuterhexen.
Die Furche: Würden Sie sich mehr Anerkennung wünschen?
Machatschek: Die Notwendigkeit, das Wissen zu erfassen, bevor es weg ist, ist mir weitaus wichtiger als die Anerkennung durch die hiesige Wissenschaftsgemeinde oder die österreichische Politik. Kürzlich wollte mich eine Uni wieder für ein Referat haben. Ich habe abgesagt. Gestern jedoch haben mich Demeter-Bauern aus Kärnten und der Steiermark angerufen: Die wollen mich nicht nur für einen 45-minütigen Vortrag gewinnen, sondern für einen ganzen Tag. Ich gehe dann mit den Leuten in die Natur hinaus. Wir schauen, was wir an Kräutern finden. Später zeige ich ihnen, wie man sie daheim zubereitet. Ich sage immer: Es hat vielmehr Sinn, ein Korn dort zu sähen, wo der Boden schon bereit ist.
Die Furche: Ist dies die einzige Form, wie Sie Ihr Wissen weitergeben?
Machatschek: Nein, aber es ist eine sehr wichtige. Wissen ist etwas Soziales. Und: Es soll direkt anwendbar sein. Universitäres Wissen ist oft so abstrakt. Deshalb publiziere ich nicht in Fachzeitschriften. In diesem Fachjargon kann ich sowieso nicht schreiben. Ich bleibe lieber unten an der Basis. Meine Hauptpublikationsorgan ist der "Kleingärtner" mit einer Auflage von 40.000 Stück. Daneben mache ich Bücher. Für das letzte habe ich insgesamt 18 Jahre geforscht und drei Jahre geschrieben. Das Thema: Futterlaub. Zuvor fand man dazu im Internet keinen einzigen Eintrag; mittlerweile sind es viele, weil sich doch einige Menschen dafür interessieren.
Die Furche: Von wem werden Sie sonst so um Rat gebeten?
Machatschek: Das ist ganz unterschiedlich. Unlängst hat mich eine große Supermarkt-Kette kontaktiert. Sie wollten Produkte für Kuhmilchallergiker herstellen - aus Labkraut. Aber sie hatten keine Ahnung wie. Die Dame am Telefon meinte, dass man wohl die Wurzel dafür verwendet. Obwohl ich nicht viel über das Thema wusste, korrigierte ich sie: Wenn man die Wurzel nehmen würde, hieße sie sicherlich Labwurz. So oft stecken die Dinge bereits im Namen! Die waren ja nicht dumm die alten Leute. Irgendwo habe ich dann drei Rezepte gefunden. Und natürlich: Man nimmt das Kraut und nicht die Wurzel.
Die Furche: Eine Supermarkt-Kette fragte bei Ihnen nach?!? Gibt es noch andere ungewöhnliche Interessenten?
Machatschek: Ein Archäologe hat sich einmal bei mir erkundigt, wovon Schweine auf der Alm früher gelebt haben. Und da ich, seit ich 15 bin, regelmäßig als Hirte auf Almen gearbeitet habe, habe ich all mein Wissen dazu zusammengesammelt und niedergeschrieben.
Die Furche: Ist das Ihre Vorgehensweise: Wissen sammeln und niederschreiben?
Machatschek: Tatsächlich gibt es viel mehr Forschungsergebnisse außerhalb der Universitäten. Diese Forschung wurde und wird von einfachen Leuten betrieben und beginnt mit sehr genauen Beobachtungen und beruht auf langjährigen Erfahrungen. Aber dieses Wissen ist nicht aufbereitet. Ich trage dieses alte Wissen zusammen. Natürlich darf man nicht für bare Münze nehmen, dass früher alles gut war, was man verwendet hat. Ich transformiere und modifiziere das Wissen also auch für die Zukunft.
Die Furche: Gibt es noch etwas, was Sie unseren Lesern mitgeben möchten?
Machatschek: Ich glaube nicht an das Knopfdruckheilen. Krankheiten basieren auf sehr komplexen Zusammenhängen. Kräuter können natürlich unterstützend zur Genesung beitragen. Aber das Wichtigste, um gesund zu bleiben, ist: Freut euch des Lebens. Viele haben mir gesagt, vom Bücherschreiben wird man nicht reich. Ein Haufen Geld habe ich damit tatsächlich nicht gemacht, aber ich habe sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Einmal habe ich sogar ein ausgezeichnetes Stück Speck gekriegt. Das setzt wirklich viele Glücksstoffe frei.
Das Gespräch führte Thomas Mündle.
Buchtipp:
NAHRHAFTE LANDSCHAFT
Von Michael Machatschek
Böhlau Verlag, Wien 2004
308 Seiten, geb., € 24,90
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