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„Lernen und Lernen lernen!“

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DIE LERNGESELLSCHAFT. Von Karl Beimrlk. Verlag Fritz Molden. Wien-München, 1886. 207 Selten. SlZi.-

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DIE LERNGESELLSCHAFT. Von Karl Beimrlk. Verlag Fritz Molden. Wien-München, 1886. 207 Selten. SlZi.-

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Karl Bednarik ist auch einer von den Propheten, die erst dann ihrem Vaterland etwas zu gelten beginnen, wenn sie anderswo schon sehr viel gelten. Zu gelten beginnen wohlgemerkt, denn wirklich etwas gelten in Österreich wird er, wie reichliche Erfahrungen voraussehen lassen, erst ab seinem 70. Geburtstag.

Er hat also noch etwa 20 Jahre Zeit, um für jene erstaunliche Arbeit, die er bereits geleistet hat und noch zu leisten im Begriff ist, auch in seiner Heimat in jenen Rang einer angesehenen literarischen Existenz erhoben zu werden, der ihm an manchem anderen Ort schon längst zuerkannt wird.

Die erstaunliche Arbeit Bednariks ist der möglichst totalen Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seiner heutigen Umwelt gewidmet, einem sehr wichtigen, wenn nicht dem wichtigsten Thema unserer Zeit also. Ihm waren bereits die Romane Bednariks gewidmet, der Erstling „Zwischenfall In Wien“ (1951), vor allem aber „Omega Fleischwolf“ (1954), ein Buch, das zum besten der österreichischen Nachkriegsliteratur zählt und einer Neuauflage mehr als würdig wäre. Fast gleichzeitig entdeckte Bednarik den Essay als ein Mittel zu direkterer Behandlung des ihm zugeflossenen Themas: 1953 erschien „Der junge Arbeiter“, der dem Autor internationale Anerkennung, in Österreich aber wenig Feunde eintrug, denn diese skeptische Untersuchung war den Konservativen der Linken zuwenig hoffnungsfroh und denen der Rechten zuwenig konventionell. Bednarik, darob nicht verwundert (denn als Person ist er gelernter Österreicher), verfolgte mit der ihm eigenen, manchmal etwas aggressiven Konsequenz sein Thema weiter und schrieb „An der Konsumfront“ (1957), was ihm die Aufmerksamkeit westlicher Soziologen, aber auch kein einheimisches Verdienstabzeichen eintrug,

Es dauerte dann acht Jahre, ehe Karl Bednarik ein neues Buch herausgab, nämlich „Die Programmierer“ (1965). In den Programmierern meint Bednarik den positiven Ge-gegentypus seines „Jungen Arbeiters“ zu sehen (oder auch vielleicht dessen erfreulichere zweite Entwicklungsphase) : den Unvoreingenommenen, der zwar noch kein prinzipielles Wohlwollen gegenüber seinen Mitmenschen besitzt, der aber sozusagen durch die immanente Logik der Elektronenrechnung und Kybernetik zu demokratischen Haltungen gezwungen wird. Die Beurteilung dieses etwas spezialisierten

Buches steht den Fachleuten zu, und soweit ich unterrichtet bin, ist sie so, wie fachmännische Beurteilung immer ist, nämlich zwiespältig, was ja um so weniger verwunderlich ist, als die Fachleute in diesem Buch ja selbst auch beurteilt werden. Wichtiger erscheint wohl, daß Karl Bednarik in seinen „Programmierern“ statt der Anamnesen Diagnosen zu geben versucht hat — und zwar keineswegs hoffnungslose Diagnosen. Spiegelt sich in diesem Ubergang nur die private Entwicklung eines Autors? Oder ist sie bezeichnend für einen Evolutionsstrom einer ganzen Generation?

Jedenfalls, in seinem letzten und seit dem „Jungen Arbeiter“ wohl bemerkenswertesten Großessay „Die Lerngesellschaft“ ist Karl Bednarik einen entscheidenden Schritt weitergegangen, nämlich den zu einer Untersuchung der Ansätze zu positiven Entwicklungen individueller und gesellschaftlicher Art. Die psychischen Leerräume unserer Zivilisation zeigen sich ihm nun (oder er zeigt sie so seinen Lesern) nicht als Beängstigungen, sondern als brauchbare Gefäße neuer Inhalte, einer neuen Fülle, die in den Laboratorien der Wissenschaftler, Künstler und auch der Techniker schon bereitet wird, die vielberufene „Entfremdung“ des Menschen wird neuen Freundschaften den Boden bereiten, aus dem Ende, an das man glaubte, wird ein neuer Anfang — der Anfang eines schlechthin Neuen. Freilich, es gilt, sich umzustellen, sich in einer veränderten und immer noch sich verändernden Umwelt zurechtzufinden. Das aber bedeutet Lernen. Neu sehen, sprechen, kommunizieren zu lernen, wenigstens so schnell zu lernen, wie sich die Umwelt verändert und möglichst noch ein bißchen schneller, damit man vielleicht am Ende auch die Umwelt noch zu beherrschen lernt. Denn Wissen ist heute nicht gleichbedeutend mit Macht, sondern mit Notwendigkeit.

Hat die Gesellschaft das begriffen? Ja — nach Bednarik. Er weist nach, daß die Menschheit noch nie soviel gelernt hat wie heute — vom Säugling bis zum Großvater, vom Schulkind bis zum Lehrer. Eine Gesellschaft von Lernenden, die sich anschickt, selbst das Lernen noch zu lernen, die sogar eine ganz neue Wissenschaft aus diesem Problem macht — so sieht Bednarik unsere schon halb zur Gegenwart gewordene Zukunft, in der die Leerräume sich schnell in Lehrräume verwandeln. Er übersieht nicht neue Komplikationen, die sich in solchen Zusammenhängen auftun, etwa die fragwürdige Stellung, die der lernende Vater gegenüber dem lernenden Sohn einnimmt: beide müssen sich anpassen, das heißt lernen — aber der Junge lernt schneller als ein Älterer, so ergibt sich denn die heikle Situation, daß der Vater vom Sohn lernen kann oder muß, eine Komplikation, für die in der Menschheitsgeschichte offenbar keine Modellösung zu finden ist. Sie hat, in der Mode zum Beispiel, bereits komische Folgen gezeitigt, sie kann tragischere noch bringen. Dennoch, es ist ein optimistisches Bild und im Vergleich zu den „Programmierern“ von 1965 auch ein großzügigeres und ein humaneres dazu. Ja, ein humaneres: denn im Grunde geht es Karl Bednarik um dasselbe zentrale Problem, um das es Doderer ging, um das es der ganzen österreichischen Literatur geht: um die Selbstwerdung des Menschen. Nur daß es sich' hier um den modernen Menschen handelt.

Es steht außer Frage, daß man Bednarik eines Tages für seine Bücher und für „Die Lerngesellschaft“ im besonderen auch in Wien hohe Anerkennung zollen wird. Und wenn's in 20 Jahren ist.

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