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„Titelneurotiker sind seelisch angekränkelt..

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Als man Anfang April in den Tageszeitungen lesen konnte, daß die österreichische Studentenunion (ÖSU), nach den letzten Wahlen die stärkste österreichische Studentenpartei, eine Kampagne gegen die Titelsucht und Titelwut in Österreich starten wolle, so hielt man dies entweder für einen Aprilscherz, für einen verspäteten Faschingsulk oder für einen noch mehr verspäteten Wahlgag (die Hochschulwahlen fanden ja immerhin bereits Ende Jänner dieses Jahres statt). Seitdem ist es um die Bedrohung eines der Lebenselemente des Österreichers Gott sei Dank wieder still geworden. Lebensmitteldetaiiisten, im Volksmund besser als Greißler bekannt, und Milchfrauen dürfen weiter die Titelinhabersgattinnen teils barock, teils byzantinisch anreden, und die Besitzer von dezimeterlangen Visitenkarten zittern auch bereits nicht mehr. Was hatte es mit dieser Aktion eigentlich auf sich? Was ist aus ihr geworden? Trotz Saurergurkenzeit und trotz des Mondfluges sollte genug Interesse für diese Initiative auch heute noch vorhanden sein, stellte sie doch einen der ungeheuerlichsten Anschläge, die je gegen die österreichische „Natur“ unternommen wurden, dar. Oder? Aus diesem Grund sprachen wir mit dem Hauptinitiator der Titelsturmbewegung, dem derzeitigen Präsidenten der österreichischen Studentenunion (ÖSU).

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Als man Anfang April in den Tageszeitungen lesen konnte, daß die österreichische Studentenunion (ÖSU), nach den letzten Wahlen die stärkste österreichische Studentenpartei, eine Kampagne gegen die Titelsucht und Titelwut in Österreich starten wolle, so hielt man dies entweder für einen Aprilscherz, für einen verspäteten Faschingsulk oder für einen noch mehr verspäteten Wahlgag (die Hochschulwahlen fanden ja immerhin bereits Ende Jänner dieses Jahres statt). Seitdem ist es um die Bedrohung eines der Lebenselemente des Österreichers Gott sei Dank wieder still geworden. Lebensmitteldetaiiisten, im Volksmund besser als Greißler bekannt, und Milchfrauen dürfen weiter die Titelinhabersgattinnen teils barock, teils byzantinisch anreden, und die Besitzer von dezimeterlangen Visitenkarten zittern auch bereits nicht mehr. Was hatte es mit dieser Aktion eigentlich auf sich? Was ist aus ihr geworden? Trotz Saurergurkenzeit und trotz des Mondfluges sollte genug Interesse für diese Initiative auch heute noch vorhanden sein, stellte sie doch einen der ungeheuerlichsten Anschläge, die je gegen die österreichische „Natur“ unternommen wurden, dar. Oder? Aus diesem Grund sprachen wir mit dem Hauptinitiator der Titelsturmbewegung, dem derzeitigen Präsidenten der österreichischen Studentenunion (ÖSU).

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FURCHE: Herr Bittermann, warum wollen Sie und die Studentenunion die Titel In Österreich abschaffen?

BITTERMANN: Für jemand, der sein Wissen über die Vorgänge im Hochschulbereich aus den gängigen Tageszeitungen bezogen hat und für die bekannten „Ruhe- und Ordnungshüter“ (Ruhe vor Ordnung!) besteht angesichts dieser Forderung kein Zweifel: Hier sind wieder die Studenten am Werk. Wie überall, so „beschließen und diskutieren“ die Studenten auch in Österreich; vorwiegend: „abzuschaffen“, „umzufunktionieren“, zu ändern, zu verbessern, zu befreien und so weiter. Aber wir wollen nur, was jeder will: das ändern, was ihm nicht paßt. Wir nehmen höchstens noch für uns in Anspruch, mehr, raschere und wirkungsvollere Veränderungen hervorzurufen.

Mit den Titeln verhält es sich nicht anders. Die Forderung nach „Ab-

schaffung der Titel“ stellt die schlagwortartig formulierte Reaktion auf den herrschenden Titelkult dar. Sie bringt sehr stark zum Ausdruck, in welchem Bereich unsere Kritik ansetzen will, noch nicht aber, wie wir den Zustand abändern wollen. Dazu müssen differenziertere Vorstellungen entwickelt werden.

An die Abschaffung aller Titel haben wir nie gedacht. Wir haben auch nie eine solche Forderung aufgestellt. Wir haben deutlich unterschieden zwischen der Funktion des Titels, eine bestimmte abgeschlossene Ausbildung nachzuweisen und dem Gebrauch des Titels im täglichen Leben. Der Titel soll nach wie vor auf den Diplomen und übrigen Hochschuldokumenten stehenbleiben. Aber er soll auf dem Papier bleiben und seine „Dokumentationsfunktion“ nicht zugunsten von der „Prestigefunktion“ verlieren. Wir wollen also die „akademischen Anrede-

titel“ ausschalten und nicht etwa dem Titel seine „Nachweisifunktion“ wegnehmen. Es dürfte ziemlich einleuchtend sein, daß der Nachweis eines erfolgreich absolvierten Hochschulstudiums nicht an den Gebrauch des akademischen Anredetitels gebunden ist.

FURCHE: Glauben Sie nicht, daß Sie mit diesem Vorschlag Alt- und Jungakademiker gegen sich aufbringen? Erfolgreiche Absolventen, die der Ansicht sind, sich ihren „Ansprechtitel“ als Teil des Namens wohl erworben zu haben?

BITTERMANN: Absolventen, die ein Qualitätsstudium betrieben haben, bringen wir nicht nur nicht gegen uns auf, sondern sie unterstützen sogar unsere Bestrebungen. Dagegen haben wir mit dem Widerstand derjenigen Absolventen zu rechnen, die ein „Titelstudium“ verfolgen, also vorwiegend soziales Prestige suchen, starkes Geltungsbedürfnis besitzen und die ihre „fachlichen“ Fähigkeiten durch den „permanenten“ Gebrauch des Titels bestätigt haben wollen. Solche „Titelneurotiker“ dürften aber irgendwo seelisch angekränkelt sein... Was heute als „wohlerworben“ gilt, hat zudem alles andere als einen der „akademischen Würde“ entsprechenden Hintergrund: So heißt es in Meyers Konversationslexion (1897) zum Beispiel: „Die Stadtoberhäupter, Ratspersonen und Gelehrte ließen sich von der kaiserlichen Hofkanzlei gegen klingendes Gold die Prädikate Magnifizenz, Munifizenz, Amplissi-mus, Wohledle, Hochweise, Hochgelehrte, Großgünstige Herrn und so weiter verbriefen“ und welter „Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verlangten die Gelehrten die Anrede ,Hochgelahrt', die Geistlichen ,Hoch-ehrwürden', die Adeligen ,Hochwohl-

geboren', die Kaufleute wollten .Wohlehrenfest', .Wohlführnehm' angeredet werden.“

FURCHE: Was meinen Sie aber zu Funktionstiteln, Beamten- und Bun-desheerdienstgraden usw. und zu den ausschließlichen Ehrentiteln (verliehener) Professor,. (verliehener) Kommerzialrat, Titular(.')hofrat und so weiter?

BITTERMANN: Funktionstitel und Berufsbezeichnungen schließen wir aus unserer Diskussion aus. Sie stören nicht. Die große Skala der „Ehrentitel“ fordert von uns allerdings die gleiche Stellungnahme, wie die Ehrenbezeugung, für Hochschulabsolventen Ehrentitel und An-redetatel sind die „Geßler-Hüte“ unserer Zeit.

FURCHE: Und was geschieht eigentlich mit den Gattinnen? BITTERMANN: Wenn sich die Ehegattinnen titelbeladener Akademiker mit dem Titel ihres Mannes ansprechen lassen, so ist das „parasitärer Titelkult“. Mich wundert eigentlich, daß die Frauen nicht zu stolz sind, den Titel ihres Mannes zu übernehmen. Denn neben Charme verfügen die Frauen auch über genug Intelligenz, um selbst zu studieren. Von dieser Intelligenz sollten sie mehr Gebrauch machen. Sie sollten ihre intellektuellen Fähigkeiten nicht „einkochen“, „einsieden“, „verputzen“ oder hinter ihre Pflicht, „schön und für den Mann dazusein“, zurückstellen. Emanzipation ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht! FURCHE: Glauben Sie, Herr Bittermann, daß die Ehefrauen bei der Frage der Abschaffung der Ansprechtitel mitbestimmen wollen oder werden?

BITTERMANN: Hoffentlich! FURCHE: Die Titelsucht ist zwar sicher nicht übertrieben akademisch

rational und so weiter, aber sie schadet doch eißentlich niemandem. Warum wollen Sie dann gegen so manchem liebgewordene Höflichkeitsgewohnheiten vorgehen? BITTERMANN: Ich würde den Titelkult nicht verniedlichen. Von liebgewordener Höfiichkeitsgewoihn-heit kann genausowenig die Rede sei wie von der Harmlosigkeit des Titelkults. Titelsucht fördert das hierarchische Denken. Die Auswirkungen des hierarchischen Denkens sind in vielen Bereichen negativ, zum Beispiel im Beamtentum und im Bundesheer. Der Titelkult fördert die sozialen Spannungen. Er reißt eine sinnlose Kluft zwischen Akademikern und Nichtakademikern auf. Die Titel fördern die Bildung einer „akademischen Klasse“, der Ersatz für die frühere Adelskaste. Die verzerrte soziale Funktion des Titels führt wieder zu dem erwähnten „Titelstudium“, in dem man nicht den Weg für die notwendige, qualitativ wertvolle Ausbildung und Bildung sieht, sondern das Tor zu sozialem Prestige.

Hinter Titeln verbirgt sich der Unverstand leichter als hinter Namen. Titel wirken im täglichen Umgang mit Menschen wie ein Schild. Sie schirmen ab und reißen eine Kluft auf. Titel entmenschlichen! FURCHE: Und wie beurteilen Sie Ihre Chancen für eine wenn schon nicht titellose, so doch titelärmere Zukunft in Österreich?

BITTERMANN: Die Chancen stehen gut. In vielen Ländern verliert die Titel- und Ehrsucht an Boden. In Schweden rollt die große Du-Welle, in der Schweiz gibt's keine Orden, in Österreich unterbinden manche Firmen den Titelkult usw. Österreich wird ganz sicher kein Titelasyl bleiben. Die Titel vermodern.

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