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Zweimal jung sein

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Bis vor kurzem nahezu vernachlässigt, findet sich nunmehr der ältere Mensch in zunehmendem Maße von allen Seiten umworben. Gewissermaßen über Nacht wurde auch in Österreich der bisher brachliegende Markt der Älteren mit seinen Absatzchancen entdeckt. Ein völliger Wandel der Auffassungen bahnt sich an, wobei keineswegs gefühlsmäßige Rücksichtnahmen, sondern nüchterne, durch den Rechenstift diktierte Überlegungen ausschlaggebend sind. Noch vor einem Jahr wäre es unvorstellbar gewesen, daß, wie dies im letzten Frühjahr der Fall war, ein großer deutscher Warenhauskonzern mit allen seinen Filialen eine großangelegte Werbe- und Verkaufsausstellung unter dem Motto - „Zweimal jung sein“ veranstaltete und. damit einen großen Publikumserfolg erzielte. Zwei Wochen lang standen die Schaufenster nicht mehr im Zeichen der Teens und Twens, sondern wurden von gepflegten, lebensfrohen Müttern und Großmüttern beherrscht.

Werbung und Marketing hatten den älteren Menschen, der durch die junge Welle aus Bild und Text verdrängt worden war, als zahlungskräftigen Verbraucher entdeckt. „Alternde Menschen — vergessene Verbraucher“, betitelte sich eine Fachstudie. Wie schon erwähnt, war es der Rechenstift, der die Werbestrategen das Herz für die älteren Mitbürger entdecken ließ. Soziologische Untersuchungen und Marktbeobachtungen ließen aufhorchen: Hier gibt es einen Markt, der mit den Konsumwünschen von etlichen Millionen Verbrauchern doch interessant genug sein müßte, erschlossen zu werden. Berechnungen haben ergeben, daß sich der Markt der Älteren, schon rein zahlenmäßig in den nächsten Jahren schneller entwickeln wird als der Markt der Jugend. Schätzungsweise ist das finanzielle Potential des Marktes der Älteren dreimal so groß als das, was die Teenager ausgeben können. Der Markt der Älteren entwickelt sich überdies mit wachsender Dynamik, die nicht nur aus der Zunahme dieser Altersgruppen aus deren gesichertem Lebensabend, sondern auch aus der bemerkenswerten Lebensaktivität der älteren Generation mit ihrer längeren Lebenserwartung erklärt werden kann. Pensionierung bedeutet heute nicht mehr Abschied, Resignation, Verzicht, sondern Beginn eines neuen Lebensabschnittes, des „dritten Lebens“ mit entsprechenden Konsumerwartungen und -ansprächen.

Eine Studie der Forschungsgruppe für Alters- und Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt ergab, daß, entgegen traditionellen Vorstellungen, auch im Alter die gleichen Konsumbereiche wichtig bleiben, mit dem Unterschied allerdings, daß nunmehr andere Produkteigenschaften für wichtiger gehalten werden. Umfragen ergaben, daß in den meisten Geschäften das Sortiment für die Älteren unzureichend war, daß weder die Handhabung von technischen Geräten, Verschlüssen und Verpackungen noch das Service den Bedürfnissen dieser Käufergruppe entsprechen. Als der Handel der Produktion den Vorwurf machte, die Wünsche der älteren Generation nicht rechtzeitig erkannt zu haben, konterte ihrerseits die Industrie mit Versäumnissen der Kauf- und Warenhäuser in bezug auf die Ausgestaltung des Sortiments und mangelnden Kundendienst. Hier gibt es noch viel nachzuholen, insbesondere auf dem modischen Sektor. Noch immer fühlen sich Damen in den älteren Jahrgängen, die berufstätig wichtige Positionen im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft innehaben und daher nicht auf elegante Kleidung verzichten können, schlecht bedient und beraten. Aus dieser Erwägung haben daher manche Kaufhäuser und Modesalons eigene Seniorenabteilungen mit entsprechend geschultem Verkaufspersonal eingerichtet. Die jugendliche Boutique hat ein Gegenstück, vorerst allerdings nur auf der Düsseldorfer Ladenbauausstellung „Intershop“, im „Seniorenshop“ gefunden, bei dem es die Designer an nichts fehlen ließen, um durch zweckmäßige Einrichtung eine ansprechende Kaufatmosphäre zu schaffen.

Und der Wunschzettel der Senioren? Es hat sich gezeigt, daß die Aufwendungen für Kleidung, Möbel, Heim-itextilien, elektrische Geräte und Haushaltsgegenstände, aber auch für den Besuch von Gaststätten, für Reisen und Kurse, Freizeitgestaltung, Gartenbau, aber auch für den Erwerb von Kunstgegenständen und Schmuck zunehmen. Die . älteren Menschen achten in erster Linie auf Qualität und Gediegenheit, für kurzlebige Dinge haben sie wenig übrig. Der Markt der Älteren wurde jedenfalls entdeckt. Neue, bisher weitgehend ungenutzte Chancen für Produktion, Handel und Werbung werden erschlossen, mit dem Ziel, auch den älteren Menschen das anzubieten, was sie für ein erfülltes Leben brauchen.

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