Vase - © Illu: iStock/ S-S-S (Bildbearbeitung: R. Messerklinger)

Warum wir alle Idealisten sind

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Die einen wollen die Erde retten, andere trachten nach einem größeren Auto. Egal ob „Gutmensch“ oder Materialist: Ideale prägen das ganze Leben. Woher sie kommen, was sie mit uns machen, und warum Werte Halt geben, erklärt die Psychologin Caroline Erb.

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Die einen wollen die Erde retten, andere trachten nach einem größeren Auto. Egal ob „Gutmensch“ oder Materialist: Ideale prägen das ganze Leben. Woher sie kommen, was sie mit uns machen, und warum Werte Halt geben, erklärt die Psychologin Caroline Erb.

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Wie wir leben und was wir für wichtig halten, ist uns in die Wiege gelegt worden. Was man im Erwachsenenalter daraus macht, nicht. Die eigenen Werte gilt es ständig zu reflektieren. Wie sie uns prägen und wie man sie sinnvoll nützen kann, erklärt die Psychologin Caroline Erb.

DIE FURCHE: Wir befinden uns gerade in einer Zeit vielfältiger Krisen. Haben Idealisten heutzutage schlechte Karten?

Caroline Erb: Das würde ich so nicht sehen. Vielleicht ist eine idealistische Lebenseinstellung mehr denn je gefragt, um all den Krisen und großen Herausforderungen besser begegnen zu können, ohne dabei naiv oder unrealistisch zu sein. Es heißt ja immer auch so schön, dass eine Krise eine Chance bedeuten kann. Würde jeder nur egoistisch seine eigenen Interessen verfolgen, hätte das natürlich auch äußerst negative Folgen für eine Gesellschaft. Es erfordert derzeit allerdings sehr viel Optimismus, Mut, Engagement und manchmal vielleicht auch fast eine gewisse Disziplin, um zuversichtlich in die Zukunft zu blicken und auch andere mitzureißen und zu ermutigen. Dankbarkeit, für das, was alles gut läuft und gut funktioniert, ist auch eine wichtige Ressource.

DIE FURCHE: Wie entsteht Idealismus im Menschen? Ist er von der Erziehung geprägt oder von ganz anderen Faktoren?

Erb: Idealismus bedeutet, sein Denken und Handeln an Idealen auszurichten. Die Welt ist die Idee, die wir von ihr haben. Eigene Bedürfnisse werden teilweise untergeordnet, Selbstlosigkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Empathie, Gerechtigkeit und Engagement sind wichtige Eckpfeiler für das Streben und die Sehnsucht nach einer „besseren Welt“. Unsere familiären und persönlichen Erfahrungen spielen eine große Rolle, was wir als ideal und erstrebenswert erachten. Gab es beispielsweise prägende Vorbilder und Bezugspersonen, wurde zu Hause leidenschaftlich diskutiert, hat sich jemand sozial oder politisch engagiert, hat man Stellung zu wichtigen Fragen des Lebens bezogen, welche Werte wurden hochgehalten und gefördert, gab es Schicksalsschläge oder individuelle Erfahrungen, die mein Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst haben? Soziokulturelle Faktoren spielen natürlich auch eine Rolle, welchen Idealen jemand nacheifert.

DIE FURCHE: Warum brauchen wir überhaupt Ideale im Leben?

Erb: Konstruktive Leitbilder geben Halt und eine Richtung vor, die positive Impulse und Veränderungsprozesse in Gang setzen können. Sich für etwas engagieren, „für etwas brennen“, ist ein leidenschaftlicher Vorgang, der andere mitreißen und mobilisieren kann, was wiederum den Gemeinschaftssinn stärkt und Bindungen schafft.

DIE FURCHE: Was passiert, wenn der Idealismus zur Belastung wird, wenn man also „die Welt retten will“?

Erb: Man sollte immer wieder seine Erwartungshaltung überprüfen und seine Ziele realistisch bewerten und adaptieren. Oft geht es um kleine Rädchen, die man verstellen und verändern kann. Dabei gilt es, eine gesunde Balance zwischen Geben und Nehmen zu finden und die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und körperlichen Grenzen zu beachten. Auch die eigenen Motive sollten immer wieder hinterfragt werden. Es besteht sonst die Gefahr, „sich selbst zu verlieren“, zu resignieren oder ein ständiges Gefühl des Scheiterns zu haben. Die Selbst wirksam keit auch „im Kleinen“ ist wichtig, ebenso das Aufladen seiner „Batterien“, man braucht selbst gute und erfreuliche Erlebnisse und Begegnungen, um nicht abzustumpfen und auszubrennen.

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