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Demokratie im Bauen

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I

Um 18 80, als Frank Lloyd Wright seine Laufbahn begann, dominierte in der Architektur das klassische Konzept des statischen Raumes. — Der Raum war unterteilt in einzelne Einheiten, die in sich selbst abgeschlossen waren. Für Wright, wie auch für Sullivan, Whitman, Emerson und viele andere, die in Amerika eine völlig neue Ordnung sahen, hatte diese statische Ordnung eines veralteten Systems wenig Beziehung zu dem riesigen jungen Land. In Amerika war alles Größe, Vitalität und Bewegung. Dieser Geist war alles eher als statisch, er bedeutete gigantische Distanzen, bewältigt von Schiffen und Eisenbahnen, Millionen von Menschen, kommend aus allen Teilen der Welt, ungeheure Aktivität pulsierte in den Städten, die in phantastischer Schnelle wuchsen. Wright wollte dieser neuen Dimension Ausdruck geben. Er sollte dies in vielfacher Hinsicht tun.

Wrights besondere Größe liegt in der Tatsache, daß er die Konzeption des Raumes veränderte — und in weiterer Folge die Struktur und Konstruktion, um sie seinen räumlichen Vorstellungen anzupassen.

Seine Verwendung des Materials, Verbindung des Bauwerkes mit der Landschaft, der Umgebung, seine Art der baulichen Komposition hat die Architektur unseres Jahrhunderts außerordentlich bereichert und ein höchst persönliches und individuelles Idiom eingeführt.

Wright ist ein Nachkomme von Pionieren und Siedlern, er sah mit Schärfe die Widersprüche, die in der Beziehung zwischen den unbegrenzten Weiten des amerikanischen Mittelwestens zu den akademischen Gesetzen damaliger Architektur lagen.

Er hatte im Jahre 1883 als Vierundzwanzig- jähriger seine eigene Praxis begonnen. Als gekoBinrprvi nach e i nom, .B au i ngcru c u r stud i um n der Universität von Wisconsin. Bauingenieur deshalb, weil diese Universität keine Architekturfakultät hatte. Der Akademismus des Ingenieurtrainings konnte Wright nicht viel vermitteln, und er verließ kurz vor der Graduierung die Universität, um nach Chikago zu gehen.

Das Chikago der achtziger Jahre war eines der architektonischen Zentren der Welt. Das Konzept des Hochhauses war erfunden — Louis Sullivan gab diesem Konzept künstlerische Form. Wright fand Arbeit bei der Firma Adler & Sullivan und war bald die rechte Hand Sulli- vans. Bis heute spricht Wright von Sullivan als dem „lieben Meister”.

Dieses Verhältnis fand jedoch 18 83 ein jähes Ende durch Zwistigkeiten zwischen beiden, weil Wright nebenbei eigene Bauten durchführte. Seine ersten eigenen Häuser zeigen wohl Einflüsse Sullivans’, besonders im Baukörper und in der Ornamentierung. Viel klarer sind jene Häuser, die später als „Präriehäuser” bekannt wurden.

Die Zerstörung des schachtelartigen Raumes war ein gradueller Prozeß. Er begann im Innenraum. Die Innenwände wurden ersetzt durch feste und verschiebbare Elemente, welche den Innenraum um diese Körper „fließen” lassen. Der starre, in sich selbst geschlossene Grundriß furde aufgelöst und zentripedal um einen Mauerkern gebildet. Die Mauern, die die Innenräume einschlossen, wurden eliminiert — später auch die Außenmauern. Wände mit Fensterlöchern wurden ersetzt durch Glasflächen, die mit Mauerflächen abwechselten. Besonders die Ecken wurden durch Glasflächen gebildet, weil gerade diese starre Begrenzungen anzudeuten schienen. Das Dach, oft durch waagrechte Glasschlitze von den Außenwänden separiert„ wurde Teil des räumlichen Konzeptes und nahm eine neue Bedeutung an.

Wright baute in den Jahren 1883 bis 1910 eine große Anzahl Häuser. Als Dr. Kuno Frank, ein deutscher Austauschprofessor an der Harvard-Universität, 1908 mehrere von Wrights Präriehäusern sah, wollte dieser Wright überreden, nach Deutschland zu kommen — Wright lehnte ab. Durch die Vermittlung Dr. Franks kam die Veröffentlichung eines vierbändigen Werkes von Plänen und Photos fast aller gebauten Häuser Wrights und vieler Zeichnungen von Projekten zustande, das einen außerordentlichen Einfluß auf die moderne Architektur nahm. Als Wright 1910 aus persönlichen Gründen fluchtartig die USA verließ, ifrar diese Publizierung ein Anlaß für ihn, sich längere Zeit in Berlin aufzuhalten.

Das Lebenswerk Wrights ist fast genau in drei Hauptphasen einzuteilen — die eben besprochene Zeit — die ersten „goldenen Jahre”, dann die Jahre von 1910 bis in die frühen dreißiger Jahre, Jahre des Kampfes und der Vorbereitung. Endlich die dritte Periode, die „zweiten goldenen Jahre”, Jahre der Auswertung und der Ernte, die in Anbetracht der unerhörten Vitalität Wrights — er wird heuer 90 Jahre alt — versprechen, noch eine Weile anzuhalten.

Von verschiedenen Seiten wurde oft auf den Einfluß japanischer Architektur auf das Werk Wrights hingewiesen. Er besuchte 1906 zum ersten Male Japan und wanderte wochenlang auf dem Lande herum, mit japanischen Kleidern angetan. Es besteht kein Zweifel, daß japanisches Denken und japanische Kultur Wrights Architektur beeinflußten. Es kann anderseits jedoch kein Zweifel darüber sein, daß seine grundsätzlichen Konzeptionen eher die Vitalität des jungen Amerika verkörperten, als die Fortsetzung einer wohl hochstehenden, aber veralteten und steril gewordenen Tradition. Was immer Wright auch von Japan empfangen haben mag, er hatte Gelegenheit, einiges zurückzugeben.

Wright reiste 1916 mit einem Auftrag für ein Hotel für den kaiserlichen Hof nach Tokio. Das Hotel hatte erdbebenfest und feuersicher zu sein. Eine flexible Fundierung, schwimmend im sumpfigen Grund, trug eine Betonkonstruktion mit Auskragungen an beiden Seiten — ähnlich einem Teller, der auf den Fingern balanciert wird. 1923 — in einem der größten Erdbeben in der Geschichte Tokios — wurde jedes Haus in der Umgebung des Imperial-Hotels zerstört — das Hotel selbst blieb unversehrt.

Die auf rechtwinkelige Formen aufgebauten frühen Bauten Wrights — so komplex sie auch sein mögen — zeigen eine allzu begrenzte Lösung für das neue räumliche Konzept Wrights. Eine Periode des Suchens und des Experiments begann. Waren die frühen Bauten Wrights meistens Ziegelbauten, so begann er jetzt nach neuen Materialien zu suchen.

II

Es war natürlich, daß Wright die Inspirationen nicht im rationellen Gedankengut oder im Werk der Ingenieure suchen würde, wie seine europäischen Counterparts: Le Corbusier, Bauhaus und so weiter, sondern, wie es bei seinen panthei- stischen Idealen nicht anders zu erwarten war, in den Formen der Natur. Die Umsetzung in das architektonische Konzept war direkt und unvermittelt: der große offene Feuerplatz im Zentrum jedes typischen Wrightschen Hauses — fast immer aus großen gebrochenen Steinen gemauert, sehr oft Wasserbecken und Springbrunnen in Verbindung mit dem Wohnraum. Das berühmte „Haus über dem Wasserfall” ist direkt über einen angestauten Teich gebaut, der einen kleinen Wasserfall freigibt — in einer heute noch unerhört mutigen Konstruktion auskragender Betonplatten. Wright verlangt vom Haus, daß es Teil der Topographie wird, daß es den Charakter und die Eigenheiten des Bodens annimmt und organischer Teil der Landschaft wird. Er verlangt, daß sich das Bauwerk organisch entwickelt, aus den Gesetzen des Prinzips und des Materials, daß es Teil der großen Ordnung wird, die in jeder Pflanze, in jedem Kristall ist — organische Architekturi

Wright hat sich immer wieder mit den Problemen der Massenproduktion beschäftigt. Fast alle Häuser seit den frühen zwanziger Jahren basieren auf einem geometrischen Modul, ob nun quadratisch, dreieckig, sechseckig oder ein System von Kreisen und Kreissegmenten. Eine ganze Periode in Wrights Werk kennzeichnen Häuser aus speziell entworfenen Betonblöcken. Sein Konzept der Vorfabrizierung wird klar in der Behandlung der einzelnen Teile — in diesem Falle Betonblöcke, die mit geometrischen Ornamenten versehen sind, die für verschiedene Zwecke variiert und durchbrochen werden. Diese Idee des „integralen” Ornaments hatte schon Louis Sullivan: Ornament in Einheit mit dem strukturellen Konzept — im Gegensatz zu den aufgetragenen Ornamenten der Eklektiker.

Wright sagt, daß modulares Bauen nur durch Geometrie aurgedrückt we’den kann. Er glaubt, daß diejenigen, die das vorfabrizierte Element als eine Art Zwangsjacke empfinden, die Möglichkeiten des industrialisierten Bauens nicht erkennen. Die Idee, die über allen Manifestationen von räumlicher Auflösung, Anwendung technischer Produktionsmittel und Verarbeitung naturgewachsener Materialien steht, kann nicht nur von optischen Gesichtspunkten aus verstanden werden. Hinter ihr steht die Liebe Wrights für die demokratische Lebensform und für Amerika.

Das „usonische Haus” (Usonien — der Name, den Samuel Butler vorschlug für jenen Teil des amerikanischen Kontinents, den wir United States nennen) ist Wrights eigene und persönliche Anwendung der Prinzipien von Freiheit und Demokratie.

Das „usonische Haus” ist das Element einer Gesellschaftsform, die „frei ist für die Herrschaft des Individuellen im Jeffersonschen Sinn”.

Dieses Haus bildet die Grundzelle für ein Konzept einer neuen anti-städtischen Lebensform — „Broadacre City” (Weitland Stadt) Wrights Vorschlag (ein Hektar Boden pro familie) propagiert die vollkommene Zerstörung der Stadt. Broadacre City ist die utopische Perfektion und die Schlußfolgerung aus jener Idee, mit der Wright das Haus zur Prärie hin öffnete. Diese Idee ist nicht so utopisch, wie sie im ersten Moment erscheint. Der Wunsch des Amerikaners nach dem eigenen Haus, Grund und Boden ist äußerst groß und liegt für viele finanziell durchaus im Bereich des Möglichen.

Broadacre City ist ein Ergebnis einer Periode in Wrights Arbeit, die, wie schon erwähnt, eher der Entdeckung architektonischen Neulands gewidmet war, als der Ausführung von Bauten. Wright litt mehr unter der großen Wirtschaftskrise der späten zwanziger Jahre als die meisten anderen Architekten. Fast keines der großen Projekte wurde ausgeführt. Er gab mehrere Bücher heraus und hielt viele Vorträge, seine Werke wurden in vielen Ausstellungen gezeigt.

III

Als Wright 1910 die USA verließ, um sich in Europa aufzuhalten, war für ihn kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Tage des Präriehauses vorbei sein würden. Bei seiner Rückkehr nach Chikago im Jahre 1911 fand Wright jedoch veränderte Verhältnisse vor. Die Chikagoer Gesellschaft zeigte sich weniger aufnahmefähig für Wrights Radikalismus als in den vorhergehenden Jahren. Die Aktivität Chikagos, die um die Jahrhundertwende ihren Höhepunkt erreicht hatte, war zehn Jahre später ausgeklungen. Bald nach seiner Rückkehr begann Wright auf dem Besitz der Familie Wright in Wisconsin ein Haus für seine Mutter zu bauen. Bevor dieser Bau fertig war, entschloß sich Wright, seinen eigenen Wohnsitz dahin zu verlegen. Heute ist „Taliesin” — ein Name den Wright aus seiner schottisch-walisischen Abstammung ableitete — ein loser Komplex von Haus, Studio, Farm und Schule, über eine hügelige Landschaft verstreut —, eine komplexe Verbindung jener Elemente, die Wrights Leben und Philosophie ausmachen. Die Tatsache, daß über eine Periode von 40 Jahren hindurch unablässig dazugebaut und umgeändert wurde, ist offensichtlich, und dieser Bau drückt vielleicht mehr als irgendein anderer die Wrightsche Idee des Hauses als lebendigen Organismus aus.

1932 verwirklichte Wright seine Vorstellung einer schöpferischen Gemeinschaft — eine Idee, die auf überraschende Weise das Jeffersonsche Ideal des universellen Menschen, der den Kontakt mit dem Boden besitzt, das Renaissanceideal der Meister-Schüler-Beziehung und die Arbeitsweise eines modernen Architekturbüros in sich vereinigt.

Die junget Leute, welche im Fellowship aufgenommen werden, haben neben Zeichenarbeiten an Projekten Wrights Landarbeiten zu verrichten und an der ständigen Erweiterung der Gebäude tätig mitzuwirken. Sonntägliche Filmvorführungen, Kammermusik, die von Mitgliedern der. Gemeinschaft ausgeführt wird und besonders die regelmäßig durchgeführten Frage- und Antwort-Frühstücke. an denen Wright Fragen, die an ihn gestellt werden, beantwortet, machen das kulturelle Leben der Gemeinschaft aus. Seit 1937 ist zu diesem Komplex, nunmehr Taliesin-Ost, auch ein Taliesin-West hinzugekommen Eine Gebäudegruppe in der Wüste von Arizona, aus Stein, Holz und Segeltuch gebaut. Geführt auf denselben Prinzipien wie Taliesin-Ost, dient es als Winterquartier. Alljährlich im Frühling und im Herbst geschieht der Umzug auf vier riesigen Lastwagen. Meister und Schüler, deren Familien, Wrights eigene Familie, alle begeben sich auf diesen Zug moderner Nomaden.

Viele Projekte entstanden in der Zeit vor und nach der großen Depression. Sie bildeten die Basis für Bauten, die viel später ausgeführt wurden. Wright erfand Formen und Strukturen — erst vollkommen abstrakt, Konstruktionen, die kein Ingenieur tatsächlich berechnen konnte. Er begann über Konstruktionen zu sinnen, bei denen, wie er schreibt, „Wände, Boden und Dach eine einzige Kontinuität formen und die Kräfte ohne Unterbrechung von einem in den anderen Teil fließen”.

Vieles hat sich verändert seit den Tagen der ersten Konzeption von Broadacre City. Wright hat die Veränderungen akzeptiert, und er reagiert in einer für ihn typischen Weise. Die Tatsache, daß sich die früheren Vorstädte in breite, alle Bewegung abwürgende Gürtel massiver Verbauung verwandelt haben, verlangt drastische Maßnahmen. Wrights Lösung ist die des Radikalen, des Dramatikers. Sein Vorschlag war ein Wolkenkratzer — eine Meile hoch —. der tagsüber 130.000 Menschen beherbergen würde und so eine .riesige Fläche um die Basis freimacht. Das konstruktive Prinzip ist die Weiterführung einer alten Lieblingsidee Wrights — ein Konzept, das 1923 zum ersten Male auftaucht und seither in allen von Wrights Hochhausprojekten angewendet wurde, wobei die einzelnen Geschosse von einem konstruktiven Kern, sozusagen einem Mast, auskragen. Es war von vornherein klar, daß\ dieser Vorschlag keine Aussicht auf Realisierung irgendwelcher Art hatte.

Es ist fast unmöglich, dem komplexiven Lebenswerk Frank Lloyd Wrights in allen Einzelheiten zu folgen, welches immer wieder überraschende Wendungen nahm Sein Beitrag zur Architektur wird sicher noch in den nächsten Jahrzehnten wirksam sein.

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