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Österreichs größtes Karosseriewerk

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Innerhalb van Jahresfrist hat Graf & Stift der Österreichischen Post 34 Ldnienomnibusse zu liefern. Das erste Fahrzeug aus dieser Serie wurde vom Verkehrsminister Diplomingenieur Dr. L. Weiß am 8. Mai im Werk Liesing der ältesten österreichischen Auto-fabrik übernommen. Moderner als bisher üblich präsentieren sich in Form und Aufbau diese neuen Fahrzeuge mit ihren hochgezogenen Seitenscheiben (35 Prozent mehr Fenster-flache als früher), mit dem flachen Dach, den überarbeiteten Gepäckskonsolen, mit der neu entworfenen Front- und Heckpartie. Auffallend ist, daß Rundungen verschwunden sind und nunmehr eine klare Linienführung vorliegt, wobei das Verhältnis von Grundfläche zur Nutzfläche günstiger gehalten werden konnte. Sämtliche Busse verfügen über 43 Sitzplätze, die normalen Linienbusse unter ihnen zusätzlich über 25 Stehplätze. Das Fassungsvermögen des Kofferraumes beträgt 4,4 Kubikmeter. Am bewährten Fahrwerk (Graf & Stift liefert seit jeher Fahrzeuge für die österreichische Postverwaltung) wurden auf Wunsch des Auftraggebers keine Veränderungen vorgenommen, nach wie vor wird auch der gleiche Motor, ein luftgekühlter Deutz-Diesel mit Direkteinspritzung (Sechszylinder in V, 150 DIN-PS) verwendet. Das Achtganggetriebe wird mit pneumatischer Schaltunterstützung betätigt. Die Bremsanlage als Zweikreis-Druckluftbremse ausgebildet, hat 15 mm starke Bremsbeläge. Am Fahrgestell sind Vorder- und Hinterachse von Graf & Stift. Die Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges beträgt 85 km pro Stunde. Im Vergleich zur früheren Type sind die Fahrzeuge um 11 cm kürzer, die lichte Innenhöhe ist um 9 cm höher und die Ablage hinter der Fondwand ist um 33 cm tiefer geworden. Die Trittstufen waren früher unterbrochen, nunmehr sind sie durchgehend. Vier Fahrzeuge aus der erwähnten Serie werden mit verbesserten Sitzen geliefert, sie haben hochgezogene Rückenlehnen und weiter ausgezogene Einzelsitze (Ellbogenfreiheit größer). Diese Busse werden dem Ausflugsverkehr dienen. Anläßlich der Ubergabe der neuen Type an den Verkehrsminister, die übrigens in Gegenwart hoher Beamter der Post und der Bahnverwaltung erfolgte, ließen es sich die Chefs der Firma Graf & Stift, Generaldirektor Diplomingenieur Josef Graf und Kommerzialrat Dipl.-Ing. Rudolf Graf nicht nehmen, die Gäste dm Werk Liesing herumzuführen.

Es gibt nur noch ganz wenige Autofirmen der Welt, die heute noch von den ursprünglichen Gründern beziehungsweise ihren Nachkommen geleitet werden und auch deren Namen tragen. Ford, Peugeot und Graf & Stift gehören zu dieser Gruppe. Das Döblinger Sbammwerk der Automöbilfabrik Graf & Stift hat in Liesing die größte Karosseriefabrik Österreichs aufgebaut, vom Gesamtpersonalstand von rund 1000 Personen arbeitet dort ein gutes Drittel. In Liesing werden Omnibusse mit selbsttragender Ausführung für unsere Post, für die Bundesbahn, für innerstädtische Verkehrsbetriebe, darunter auch Gelenkzüge und Stookomnibusse, gebaut. Die Aggregate werden überwiegend aus Döbling geliefert. Für Reiseomnibusse für den Privatverkehr werden seit einiger Zeit Einheiten in Kooperation mit Klöckner-Hum-boldt-Deutz erzeugt. Letztere Firma liefert Fahrgestelle und Motoren, Graf & Stift die Karossierien. Das Werk Liesing ist übrigens die einzige Karosseriefiaforik Österreichs, die Trolieybuase in Zweiachsaustführung und auch als Gelenkzüge liefert. Ferner werden auch Omnibusse mit Allradantrieb für Spezial-zwecke geliefert.

Dem Werk ist eine Abteilung für Kunststoff-verarbeitung und eine Sattlerei sowie eine eigene Galvanik angegliedert. Beim Rundgang konnte man sich vom Überwiegen der Handarbeit überzeugen, bekanntlich eines der Geheimnisse, warum sich unsere kleinen österreichischen Werke behaupten können: Nicht nur ist die Handwerksarbeit erstklassige Qualität, man kann Kundenwünschen leichter entsprechen. Man sah die Zusammensetzung der Karosseriegerippe aus vierkantigem Material, die Vorkonservierung, das mit Pinseln aufgebrachte Rostschutzmaterial, man konnte die präzise Arbeit geschickter Facharbeiter an den Holzschablonen beobachten und zusehen, wie etwa Rohre mit Stahlrollen statt mit Sägen geschnitten werden, ein Vorgang, der keine Späne erzeugt, wie überhaupt Sauberkeit der Arbeit hier besonders beachtet wird. Bei den Luftfederaggregaten, auch bei Bremsanlagen, wird die Luft durch Sintermetalle gefiltert, eine gewiß nicht billige, aber qualitativ hochstehende Methode, es wird in keiner Weise gespart, auch nicht bei der Ausstattung der Fertigprodukte, indem z. B. bei der Auskleidung statt eines weichen Holzbodens wasserfest verleimtes Sperrholz benützt wird. Die Bremsleitungen sind entweder innen verzinkt oder bei Leitungen, bei denen eine Galvanisierung unmöglich ist, aus Kupfer hergestellt. Mit anderen Worten: Überall, wo es um die Sicherheit geht, ist das Beste gerade gut genug.

Mit berechtigtem Stolz weist Kommerzialrat R. Graf darauf hin, daß sämtliche Einheiten, an denen zur Zeit im Werk Liesing gearbeitet wird, verkauft sind, es gibt nichts, was auf Lager käme, das Werk ist voll beschäftigt. Mit dem gleichem Stolz wird betont, daß sich die Firma auf die Anfertigung von Spezialfahrzeugen eingestellt bat. So stammt etwa die Einrichtung des in Europa einzig dastehenden Shell-Laborwagens von der Firma Graf & Stift, es werden ferner Röntgenzüge und der Audiometrie dienende Fahrzeuge (Gehörschwellenmessung), also für medizinische Zwecke, aber auch solche für kulturelle Belange eingerichtet, wie etwa Bücher-Gelenkszüge, also fahrbare Bibliotheken, erzeugt. 150 Einheiten pro Jahr ist die Kapazität im Durchschnitt, eine Ziffer, die nur scheinbar gering erscheint, wenn man bedenkt, daß es sich eben um ganz spezielle Ausführungen handelt. Dazu kommen dann noch etwa 60 Einheiten pro Jahr auf dem Lastwagensektor. Auch hier sind es Spezialfahrzeuge für kommunale Zwecke, fürs Bundesheer oder für die österreichische Mineralölverwaltung, wie etwa die fahrbaren Bohrtürme. E. W. S.

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