Die Nonstopgesellschaft

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Alles muß effizienter gehen. Das bedeutet vor allem wirksamere Nutzung der menschlichen Ressourcen. Die Folge: Beschleunigung, Pausenlosigkeit, Verlust der Lebensrhythmen prägen das Zeitmuster der Nonstopgesellschaft.

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Alles muß effizienter gehen. Das bedeutet vor allem wirksamere Nutzung der menschlichen Ressourcen. Die Folge: Beschleunigung, Pausenlosigkeit, Verlust der Lebensrhythmen prägen das Zeitmuster der Nonstopgesellschaft.

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Nonstop wollen wir fliegen, nonstop produzieren die Maschinen. Wir wollen immer und überall erreichbar sein. Rund um die Uhr können wir übers Internet weltweit einkaufen. Dies feiern wir als Fortschritt. Ist dieser Fortschrittsgedanke zukunftsfähig? Welchen Preis hat die Nonstopgesellschaft?

Durch technische Innovationen ist es gelungen, die Reisegeschwindigkeit um das Hundertfache zu erhöhen, die Datenverarbeitung um das Millionenfache zu steigern, die Geschwindigkeit der Kommunikation sogar um das Zehnmillionenfache zu beschleunigen. Informations- und Kommunikationsmedien wie Internet, E-mail und Handy lösen Raum und Zeit auf und führen zu einem Leben im Immer und Überall. Zeitsparmaschinen wie Computer wurden entwickelt, aber haben wir wirklich dadurch mehr Zeit?

Zeit ist Geld Zeit wird gemanagt und rationalisiert, um Zeit zu gewinnen. Aber oft tritt das Gegenteil ein, der Zeitdruck steigt. Um die Logik der kontinuierlichen Beschleunigung und das Spannungsverhältnis zwischen Zeitökonomie und Zeitökologie besser zu verstehen, ist ein historischer Rückblick im Zeitraffer hilfreich.

Erst ab dem 16. Jahrhundert zeigen die mechanischen Uhren auch die Minuten an. Zeit wurde berechenbar und, die Menschen begannen, ihre Arbeitszeit in Geld umzurechnen. Durch Kreditgeschäfte wie zum Beispiel den Wechsel, der inzwischen schon wieder Geschichte ist, waren Kaufleute und Bankiers gefordert, exakt die Zeit zu kalkulieren. Im 16. und 17. Jahrhundert folgte als weiterer Meilenstein in der Zeitökonomie die Aufhebung des Zinsverbotes. 1758 prägte Benjamin Franklin in seiner Abhandlung "The way to wealth" die noch heute geflügelte Parole "Bedenke, daß die Zeit Geld ist".

Mit der Erfindung der Dampfmaschine zu Beginn des 19 Jahrhunderts erfolgte ein Quantensprung der Beschleunigung, das Zeitalter der Industrialisierung war geboren. Eisenbahnen verknüpften Städte und Länder, Lokalzeiten mußten zu Territorialzeiten koordiniert werden.

Das Zeitverständnis hat sich seit dem Mittelalter radikal geändert. Der Glaube an die unbeeinflußbare Vorbestimmung wich der Auffassung der offenen, gestaltbaren Zukunft. Die Geldwirtschaft gab dazu wesentlich den Takt an, der Güterwohlstand mehrte sich. Die Beschleunigung mit der Informations- und Kommunikationstechnologie hat heute einen Höhepunkt erfahren.

Tempo der Welt Mit der Erfindung der Dampfmaschine konnte die Arbeitsproduktivität deutlich gesteigert werden, um das 30- bis 50fache, in einigen Fällen sogar noch deutlich höher. Heute fördern Maschinen, die von nur fünf Arbeitern bedient werden, im Tagbau 240.000 Tonnen Braunkohle pro Tag. Früher lag die Leistung der Bergleute bei einer Tonne pro Schicht. Maschinen und ihre zunehmende Automatisierung haben den homo oeconomicus befähigt, Stoffströme zu bewegen, deren Ausmaß heute massiv in natürliche Entwicklungsprozesse eingreifen.

Die Begleiterscheinungen der Steigerung der Arbeitsproduktivität haben eine neue Qualität erreicht. Menschliche Aktivitäten verschieben weltweit die natürlichen Mengenverhältnisse, wie das Beispiel des Treibhausgases Kohlendioxid zeigt. Seit dem Beginn der Industrialisierung ist seine Konzentration in der Luft um 20 Prozent gestiegen. Der Treibhauseffekt ist wissenschaftlich inzwischen anerkannt, nur aufgrund der Komplexität des Ökosystems Erde können indirekte und Langzeitfolgen nicht vorhergesagt werden. Allerdings verzeichnen wir bereits global eine dramatische Zunahme von Naturkatastrophen.

Es werden künstliche Stoffe in die Umwelt emittiert, die in der Natur bisher nicht vorkamen. Vielerorts wurde auch die ökologische Funktionsfähigkeit von Ökosystemen bereits gestört oder beeinträchtigt. Die Schere zwischen Wirtschaftswachstum und Wohlstand und Lebensqualität öffnet sich. "Das Steigerungsprinzip des kalkulatorischen Zeitnutzens, mit dessen Hilfe wir unseren Güterwohlstand entscheidend verbessern konnten, wird zur Bedrohung, sozial, ökonomisch und ökologisch," analysiert Karlheinz Geißler in seinem Buch "Vom Tempo der Welt".

Eine öko-soziale Zeitpolitik wird in der nachhaltigen Entwicklung eine zentrale Rolle einnehmen. Das heißt in Stichworten: Eigenzeiten, soziale Zeiten, Tages- und Wochenrhythmen sind zu beachten, angemessene Geschwindigkeiten zu fördern, die Zeiten der Tiere, Pflanzen und Ökosysteme zu berücksichtigen, Kultur- und Naturzeiten nicht gegeneinander zu setzen. Die Skandale der Nahrungsmittelindustrie wie BSE und Salmonellen beispielsweise haben ihre Wurzel in der Mißachtung der Zeiten der Tiere.

Der Autor ist Mitarbeiter von Umweltmanagement Austria.

KONGRESS ZUM THEMA Zeitökonomie oder Zeitökologie?

Über eine Welt jenseits des pausenlosen Nonstop und über die Rolle, die Zeitökologie für eine Nachhaltigen Entwicklung spielt, referieren und diskutieren im Rahmen eines Kongresses in Wien unter anderen: Univ.Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger, Universität St. Gallen, Univ. Prof. Dr. Gerhard Strohmeier, IFF Abteilung Raum und Ökonomie, Dr. Walter R. Stahel, Institut für Produktdauerforschung, Dr. Martin Held, Evangelische Akademie Tutzing Termin: 2.12.1999, 17.00 Uhr bis circa 21.00 Uhr (Buffet) 3.12.1999, 9.30 bis 17.15 Uhr Ort: Millennium Tower, Handelskai 94 - 96, 1201 Wien Information: NÖ Landesakademie, Neue Herrengasse 17A, A- 3109 St. Pölten, Tel. 02742 294 7450, Fax DW 7452

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