Die tonalen Reize der Natur

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Zu Besuch bei Bernie Krause, dem Pionier der elektronischen Musik. Der Bioakustiker sammelt und erforscht die Klänge lebender Organismen.

Bernie Krause wurde 1938 in Detroit geboren. Er wuchs in New York auf, zog in den 1960er-Jahren an die Westküste und arbeitete in Los Angeles und San Francisco als Musiker. In den Muir Woods am Pazifik entdeckte er die tonalen Reize der Natur, verwandelte sie zunächst in Musik und wurde Bioakustiker. Sein Soundarchiv enthält ökologische Klanglandschaften aus der ganzen Welt, die man heute so nicht mehr hören kann.

Bernie Krause: Ich bin unter anderem im Klanggeschäft, weil ich schlechte Augen habe. Und weil ich so schlecht sehe, war meine ganze Welt immer stark von dem geprägt, was ich hören kann. Mit dreieinhalb Jahren spielte ich Violine, mit viereinhalb studierte ich klassische Komposition, aber als ich vierzehn war, wechselte ich zur Gitarre, das hat sicher etwas mit den Hormonen zu tun.

Die Furche: Sie haben Musik studiert und landeten bei der Gruppe "The Weavers“, wo Sie den Sänger Pete Seeger ersetzten. 1964 studierten Sie bei Karl Heinz Stockhausen elektronische Musik. Dann lernten Sie den Musiker Paul Beaver kennen ...

Krause: Wir trafen uns 1966. Paul hatte einen zehn Meter langen Tisch mit einer Reihe von Oszillatoren und Filtern und all diesen elektronischen Ausstattungen, alles in Einzelteilen. Da rannte er hin und her an dieser Tonbühne, sie nannten das damals Tonbühne, wo sie den Film projizierten und er die Klangeffekte dazu erzeugte. Und als es dann den kompakten Synthesizer gab, war uns klar, das wird eine ganz große Nummer in der Musik. Wir kratzten unser letztes Geld zusammen und mit 1500 Dollar kauften wir einen der allerersten Moog-Synthesizer.

Die Furche: Sie haben Ihre Anlagen beim Monterey Pop Festival vorgestellt und gleich zehn Synthesizer verkauft an Gruppen wie "The Doors“. Hat das deren Musik verändert?

Krause: Sehr, das Problem war nur, sie kauften sie zwar, aber sie waren zu stoned, um sie zu spielen. Wir verkauften also nicht nur die Synthesizer gegen Kommission von Moog, wir waren auch mit den Bands im Studio und spielten die Synthesizer für sie. Wir arbeiteten für zahlreiche Musiker wie Van Morrison, George Harrison, Barbara Streisand. Und nebenbei haben wir an den Soundtracks für 145 Filme mitgearbeitet, für "Rosemarys Baby“ von Polanski, "Apocalypse Now“ von Coppola und solche Filme. Paul starb 1975 an einem Schlaganfall auf der Bühne.

Die Furche: Francis Ford Coppola wohnt ganz in der Nähe hier in Glenn Ellen. Wie war das Zusammenarbeiten mit ihm?

Krause: Ich habe viel von der Musik für "Apocalypse Now“ gemacht, etwa ein Drittel von dem, was mit Synthesizer gemacht wurde, einen großen Teil der Hubschraubergeräusche am Anfang. Das Problem war nur, Francis hat mich gefeuert - achtmal. Aber jedes Mal hat er mich wieder geheuert, er gab mir jeweils das doppelte Honorar, das ist der Grundstock für dieses Haus hier.

Die Furche: Sie leben mit Ihrer Frau Kathie in einem Bergwald oberhalb der Kleinstadt Glenn Ellen im Sonoma Tal, Kalifornien. Eine helle Villa mit massiven Wänden aus gestampftem Lehm, das ist Wild Sanctuary, eine Zuflucht in der Wildnis ...

Krause: Ich habe direkt nach "Apocalypse Now“ aufgehört. Ich wollte nicht mehr, es war nicht mehr interessant. Das Geld war okay, aber nicht die Drogen, die Egos. Ich hatte schon zehn Jahre zuvor mit Paul Beaver eine Platte namens "Wild Sanctuary“ gemacht. "Wild Sanctuary“ war das erste Musikalbum mit ökologischen Themen, das war 1968, sechs Jahre nachdem Rachel Carsons berühmtes Buch "The Silent Spring“ erschienen war. Es war das erste Album, in dem natürlicher Klang als Grundlage für die Orchestrierung diente. Und dieses Album war der Schlüssel für das, was ich den Rest meines Leben tun wollte.

Mit 41 Jahren ging ich wieder zur Universität und studierte Bioakustik. Bio bedeutet Leben und Akustik ist Klang, Klang lebender Organismen also. Da bekam ich meinen PhD, und danach entwickelte ich Klangskulpturen. Die Idee einer Klangskulptur bedeutete einfach, dass ich die Naturklänge in Museen inszenierte, Klangräume in Aquarien, Zoos, Tiergärten, damit die Leute die Klänge der wirklichen Natur hören konnten. Ich führte sie in diese Klangräume ein, die sich so anhören sollten wie in der wirklichen Welt. Also keine Wiederholung, zufällige Flugrichtungen der Singvögel, eine interaktive Software, die auf die Schritte des Besuchers reagierte.

Die Furche: Sie sind durch die ganze Welt gereist und haben Tierstimmen aufgenommen, auch für Ihre eigene Forschung. Hier in Glenn Ellen haben Sie das Material seit 1983 archiviert, ca. 4500 Stunden Klänge von der Erde und aus dem Meer, etwa 15.000 Einzeltierstimmen können Sie selbst unterscheiden. Was ist an diesem Archiv so besonders?

Krause: Das ist eine sehr seltene Sammlung. Sie müsste den Status einer Welterbe-Sammlung bekommen. Nicht wegen dem Umfang - das lässt sich heute mit Digitaltechnik leicht überbieten, sondern weil 50 Prozent aus Habitaten stammen, die es nicht mehr gibt, die zerstört wurden oder wo man die Klanglandschaft in der ursprünglichen Weise nicht mehr hören kann.

Ich habe ein striktes Protokoll eingehalten, deshalb ist dieses Archiv auch so wichtig. Jedesmal, wenn ich aufgenommen habe, und zwar analog oder digital, habe ich die gleichen Mikrofoneinstellungen benutzt, sodass jemand, der sich später an diesen Ort begeben würde, technisch die gleiche Aufnahmesituation herstellen könnte. Damit könnte man vergleichen, wie sich eine Klanglandschaft verändert hat, warum auch immer, wegen Umweltverschmutzung, Klimawandel, und der klimatische Wandel ist ja dramatisch - der Frühling beginnt hier zwei Wochen früher als vor zwanzig Jahren, als ich mit meinen Aufnahmen anfing.

Die Furche: In Berlin gibt es ein wissenschaftliches Tierstimmenarchiv, dort geht es offensichtlich um eine Tradition des Aufnehmens einzelner Arten oder Individuen. Warum ist das für Sie nicht so interessant?

Krause: Das Problem ist, wenn Sie diese Klänge aus dem Kontext herausnehmen, dann verlieren Sie wichtige Informationen darüber, warum die Tiere vokalisieren. Tiere vokalisieren in jedem gegebenen Habitat in Beziehung zueinander, damit sie sich aus dem Weg gehen können und damit sie im Kontext einer größeren Klanglandschaft als Einzelne gehört werden können.

Die Furche: Wie sind Sie auf diesen ökologischen Zusammenhang gekommen?

Krause: Ich hatte eine Art ästhetisches Schlüsselerlebnis, als ich im Auftrag der Universität von Kalifornien in Kenia war, um eine Klangskulptur für sie zu entwerfen. Eines Nachts, nachdem ich schon sehr lange aufgenommen hatte und sehr müde war, wurde mir schlagartig klar, dass ich das alles als organisierten Klang hörte, dass die ganze Klanglandschaft eine Synergie aufwies, ein Klang hatte Auswirkungen auf den nächsten, das hing alles zusammen. Das erlebte ich alles in einem Dämmerzustand, ich hatte fast 30 Stunden gearbeitet. Als ich ins Studio zurückkam, projizierte ich sofort ein Spektrogramm, eine grafische Illustration von Klang, die zeigt, wie die einzelnen Klänge frequentiell und zeitlich organisiert sind. Und siehe da, es bestätigte sich, was ich gehört hatte, was ich dachte, gehört zu haben. Und jetzt wollte ich dringend wissen, ob das auch bei anderen Habitaten so war, und so oft ich ein neues Habitat auf dem Schirm holte, zeigte sich immer das gleiche Prinzip.

Die Furche: Das Spektrogramm eines Habitats liest sich fast wie eine moderne Orchesterpartitur. Sie schreiben in Ihrem Buch über bestimmte Völker in entlegenen Naturumgebungen, die dieses Orchester der Tiere, diesen synergetischen Klangraum richtig hören und akustisch lesen können. Es gibt musikethnografische Aufnahmen, die eine deutliche Interaktion der indigenen Musiker mit den Waldgeräuschen zeigen. Kann das ein Ursprung von Musik sein?

Krause: Alles in unserer Kultur wurzelt im Klang der Natur. Klanglandschaften geben uns entscheidende Informationen über unsere Lebensbeziehungen in der Stadt wie auch auf dem Land und in den wenigen verbliebenen wilden Gegenden. Unsere Musik kommt von hier, und das ist mir das wichtigste, denn der Mensch hat Klanglandschaften nachgeahmt, um zu Musik und Sprache zu gelangen.

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