Fröhlich gescheitert

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Die Secession macht aus der Anti-Struktur des Kult-Romans"Tristram Shandy" einen Ausstellungsstil.

Der rote Faden hat in der Geschichte der abendländischen Kultur seine Geschichte gehabt und diese Geschichte ist abgelaufen. Viel zu lange hat er uns vorgegaukelt, dass es nicht nur etwas gäbe, das die Welt im Innersten zusammenhält, sondern dass wir dazu auch noch irgendwie einen Zugang finden könnten. Nun ist endgültig Schluss mit dieser Frotzelei. So ähnlich könnte das Motto zur von Helmut Draxler in der Secession kuratierten Schau Shandyismus lauten.

Freilich dient ein auch schon in die Jahre gekommener Leitwolf als Fährtenleger und Vorläufer für das Unternehmen. Laurence Sternes Roman The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ist nicht nur Namensgeber, sondern liefert auch die Struktur. Wobei man vor das Wort Struktur ein Minuszeichen setzen sollte, ähnlich der Vorgangsweise in der Mathematik. Damit kann man auch im negativen Zahlenraum die herrlichsten Berechnungen anstellen. Das wissen nicht zuletzt diejenigen am besten, die Konten im Soll-Bereich zu verwalten haben - da wird geschwind aus nichts noch mehr nichts, was selbstverständlich nicht gerade nichts bedeutet.

Die Struktur in Sternes Roman ist hingegen nicht derart berechenbar. Der Zeitstrang in der Erzählung ist über den Haufen geworfen, der Autor wird erst im dritten Kapitel geboren, nachdem er die ersten beiden bereits erzählt hat. Auch das optische Erscheinungsbild trägt dieser Strategie Rechnung: schwarze Seiten suggerieren Dichte, marmorierte Seiten gestatten eine Erholungspause, während leere Stellen die Leser zur Ergänzung auffordern; im Text werden im typografischen Spiel Passagen zur Unlesbarkeit hervorgehoben.

Nicht gerade verwunderlich, dass dieser Abgesang auf die klassische Dichtung zu keinem Bestseller avancierte. Niemand erkannte, wie wunderbar ein fröhliches Scheitern an der Welt sein kann. Befürchtungen, dass alles ins reine Chaos abgleiten könnte, haben sich nicht bewahrheitet, es hat dennoch alles seinen Platz, auch wenn es zumeist ein ungewohnter Platz ist. Erst jene Zeit, die wir heute gerne als Moderne bezeichnen, hat aus dem literarischen Stil von Laurence Sterne nicht nur einen umfassenden künstlerischen Stil gemacht, sondern, weil Kunst und Leben in allen Hochzeiten eng umschlungen gehen, wurde daraus auch ein Lebensstil. Wen sollte es wundern, dass nun daraus auch ein Ausstellungsstil werden kann.

Jenseits vom roten Faden hat auch in der Schau in der Secession alles seinen Platz. Helmut Draxler versuchte eine Verschränkung von historischer Dimension und aktueller Strategie. So trifft man auf (scheinbar) Abgeklärtes, auf Marcel Duchamp etwa, der in seiner Schachtel im Koffer die gesamte Welt als die Zusammenfassung seiner Kunst präsentiert. Ein paar weitere Namen aus der Kategorie "eh schon wissen" wie Max Bill, Marcel Broodthaers, Robert Frank, Arnulf Rainer oder Georg Baselitz untermauern die These, dass die Wirkungsgeschichte von dem, was hier unter dem Titel Shandyismus zusammengefasst wird, noch einer umfangreicheren Entdeckung harrt.

Dazu hat Draxler Gastkuratoren und-kuratorinnen eingeladen, in Vitrinen ihren spezifischen Zugang in Form von Themenblöcken zu präsentieren, was zu einer Spurenlese aus den unterschiedlichsten künstlerischen Medien führte. Daneben belegen einige zeitgenössische Kunstschaffende in ihren Interventionen die Aktualität des Shandyismus.

In ihrem parallel gezeigten Projekt nimmt Andrea Bowers den roten Faden auf ihre eigene Art auf. Sie zeigt die Arbeit jener Menschen, die den AIDS Memorial Quilt ausstellen und im Lagerraum beaufsichtigen. Dieser Riesenquilt entstand, weil man seit 1987 für jeden Aidstoten einen Quilt in der Größe eines Grabes nähte. Diese Erinnerungsspur ist mittlerweile zu einer 54 Fußballfelder füllenden Größe herangewachsen und in seiner Gesamtheit seit über zehn Jahren nicht mehr gezeigt worden - die Erinnerungsspur droht gekappt zu werden. Zumindest ihr Video verhindert dies.

Shandyismus.

Autorschaft als Genre

Secession

Friedrichstraße 12, 1010 Wien

Bis 15. 4. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr

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