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Bundeshymne

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Nicht sobald hat ein öffentliches Preisausschreiben weite Volkskreise so stark beschäftigt wie gegenwärtig der Aufruf der Bundesregierung zu einem Kampf der Wagen und Gesänge um eine neue österreichische Bundeshymne. Es ist naheliegend: Es geht um eine Wort- und um eine Tondichtung, die geeignet sein sollen, volkstümlich und repräsentativ zu werden. Eine Volkshymne, wenn sie das ist, was ihre Bestimmung verlangt, gehört wie Fahnen und Wappen zu den Insignien eines Staates. Einst umgab mystischer Glanz die Sinnbilder herrscherlicher, staatlicher Autorität und Souveränität, Krone und Szepter; sie waren sakrale Zeichen, Symbole, die ehrfürchtig bewahrt wurden. Noch heute bildet das Amt des Kronhüters in England eine der höchsten Staatswürden. Unser nüchterneres Zeitalter gebraucht landläufig als Hoheitszeichen die Fahne, das Wappen, die Nationalhymne; sie verlangen internationale Achtung. Geht an der Gaffel die Flagge hoch, so grüßt sie zur See das entgegenkommende Schiff; wird auf fremdem Boden das Wappen einer Gesandtschaft verletzt, so gilt dies als eine sühneheischende Beleidigung des Staates; rauscht bei feierlichem internationalen Anlaß die nationale Ijjymne des Gastlandes oder des Gastes auf, so gebührt ihr die Ehrfurchtsbezeugung aller, welcher Staatsangehörigkeit sie audi sein mögen. Denn aus der Hymne spricht der Aufschwung der Seele eines Volkes in den erhabensten .Empfindungen seiner Vaterlandsliebe und seiner Treue zu überliefertem geistigen Erbe. Auch ihr wohnt eine Mystik inne, eine, die aus den höchsten Sphären menschlicher Geistigkeit in den Alltag herüberleuchtet. Es genügt nicht, daß ein guter Poet und ein guter Tondichter sich zusammentun, damit eine Nationalhymne entstehen könne, und selbst ein noch so wohlgeformtes Dekret wäre nicht imstande, dies für ihr Werk zu erreichen, wenn etwa diesem Gesang jene Weihe fehlen möchte, die ihm nur aus den geheiligten Tiefen der Volksseele zukommen kann.

Warum Österreich einer neuen Bundeshymne bedürfe, ist von berufener Stelle bei der Begründung des Preisausschreibens dargelegt worden: Die Melodie der österreichischen Bundeshymne ist unter der nazistischen Herrschaft ebenso wie viel anderes österreichisches Kulturgut mißbraucht worden und niemand solle argwöhnen, daß, wenn Österreicher diese Hymne spielen und singen, irgendwelche Wunschträume nazistischen Einschlages mitsprächen. — Es ist heute wohl jedem Österreicher geläufig, wie ernst es den verantwortlichen Männern unseres Staates um die Reinigung von jedem Überbleibsel der qualvollen siebenjährigen Erniedrigung unseres Volkstums zu tun sein muß und wo immer es erforderlich erscheint, ihr Zugreifen pflichtgemäß ist. Und jedermann hierzulande weiß auch, welche vorsichtige Bedachtnahme auf die Meinung der Umwelt ihnen angesichts der erst langsam sich entlastenden Spannungen für die Wiederkehr des gegenseitigen internationalen Vertrauens auferlegt ist.

Für Österreich soll also das Aufgeben der Haydn-Hymne in Betracht gezogen werden. Ihr majestätischer Chor hat das österreichische Volk mehr als ein Jahrhundert lang durch Glück und Ehren, Heimsuchungen und Enttäuschungen, über die Zertrümmerung des alten Reiches durch die erste Republik geleitet; sie war in jener furchtbaren Nacht des 11. auf den 12. März, da die Panzerkolonnen Hitlers über unsere Grenzen hereinbrachen, der letzte Gruß, das letzte schluchzende Gelöbnis, das wir Österreicher noch als freie Menschen unserem

Lande darbrachten. Alle unsere heiße Liebe zu dieser Heimat unser Schmerz und unsere auf Gott vertrauende Hoffnung wurden in diesen Tönen zum Gebet. Und nun Abschied von der Haydn-Hymne?

Der Nazismus hat viel in unserem Lande verwüstet. Wenn er es zustande gebracht hätte, durch siebenjährigen Mißbrauch der Haydn-Hymne dieses österreichische Kleinod zunichte zu machen, dann wäre es. ihm gelungen, unserem Volke ein Stück

seines innersten Herzensbesitzes zu entwinden.

Es wohnt eine geheimnisvolle Kraft in der unsterblichen Tonschöpfung des großen' österreichischen Meisters. Es gibt in der ganzen Welt nur vereinzelte Tondichtungen, die derart in der musikalischen Empfindungswelt großer Nationen heimisch geworden sind, wie diese. Aul deutschem Boden unterlegte man ihr schon zur Zeit des Deutschen Bundes den Text des „Deutschland-

liedes“; in Frankreich erfühlte man ihre Erhabenheit so tief, daß man nach ihr zu Zeiten das Sakramentslied „Tantum ergo“ sang, einen der grandiosesten kirchlichen Hymnentexte; das offizielle Prayer-Book der Anglikanischen Kirche verwendet seit langem das Haydnsche Tonwerk für das ergreifend schöne Kirchenlied. „Glorious things of Thee are spoken“. Es wird niemandem im Ausland einfallen, deshalb, weil eine untergegangene Herrschaft sich dieser Komposition bediente, sie dabei übrigens in Zeitmaß und Rhythmus fast bi? zur Unkenntlichkeit verballhornte, sich der Schöpfung eines der größten Tondichter zu entäußern.

Die Haydn-Hyme ist heute ein Stück internationalen Kulturgutes, so wie es heute die Werke der Klassiker der großen Nationen sind. Und sie ist vor allem unser heimatliches Kulturgut, kostbares österreichisches Ureigentum, Aussprache der österreichischen Seele über die Grenzen der Zeit, ihrer äußeren Geschehnisse und staatsrechtlicher Formungen hinaus. Österreich würde ärmer sein, wenn es seine Haydn-Hymne nicht mehr besäße. Dies wußten auch die Führer der ersten Republik, als sie nach einem grundstürzenden Wandel an der Tondichtung festhielten und ihr nur einen zeitgerechten Text gaben.

Und wieder wird es auf den Text ankommen, wenn es des Österreichers Denken und Wollen, seine friedvolle und arbeitsfreudige Einordnung in das neue Zeitalter, in unserer Mitte und vor anderen Völkern feierlich zu bekunden gilt. Gewiß wird der Einführung der Jugend, die nur die verderbte Liedweise aus der Zeit der Entwendung kennt, in den Geist der Haydn-Hymne und einen neuen zeitgerechten Text eine wichtige Stelle in der vaterländischen Erziehung zukommen; es mag sein, daß eine kurze Übergangszeit notwendig sein wird, in der man, wie schon jetzt als Behelf für innerösterreichische festliche Gelegenheiten, etwa das Spiel des „O du mein Österreich“ oder die Landeshymnen verwendet. Auch eine völlige Neuschöpfunp„ möge sie noch so gelungen sein, würde nicht ersetzen können, was die Haydn-Hymne für den österreichischen Menschen und sein vaterländisches Nationalbewußtsein bedeutet.

Ein Preisausschreiben? Man kröne den Dichter des besten zeitgerechten Gesanges und huldige dankbar dem Genius, der uns Österreichern die schönste Nationalhymne der Welt, der Menschheit aber ein von großen Völkern ehrfürchtig verwandtes Kulturgut und den treuesten Spiegel österreichischen Geistes geschenkt hat! f.

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