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„Deutschlandlied“

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Ein freies österreichisches Wort ist am Platze. Nur mit Befremden kann zur Kenntnis genommen werden, daß auf orschlag der Regierung Dr. Adenauer Bundespräsident Heuss die Haydn-Hymne piit dem Text on Hoffmann on Fallersieben als deutsche Nationalhymne beschlagnahmen ließ. Beruft man sieb in Bonn auf Herkommen und Tradition? Die 1797 entstandene Tondichtung Josef Haydns konnte etwa noch zur Zeit des Deutschen Bundes, da die deutschen Bundesländer und Österreich unter einem gemeinsamen staatsrechtlichen Dache wohnten, noch mit Sinn und Fug 1841 on dem Breslauer Professor Hoffmann für sein Deutschlandlied der alten Gemeinschaft …. on der Maas bis an die Memel, on der Etsch bis an den Belt.. . singhafte erwendung finden; Text und ertonung wichen denn auch nach 1870 der .Wacht am Rhein“, dem im kriegerischen Überschwang gesättigten Päan, der das junge Deutsche Reich zu seinem Aufstieg begleitete. Erst 1922 kehrte man in Deutschland wieder zu dem „Deutschlandlied“ zurück, alsbald gefolgt on dem Hitlerregime, das in dieser Mischung mit österreichischem Kulturgut schon eine symbolische erkündigung seines Reichsanspruches erblickte. Kann all dies eine Tradition begründen, die eine neuerliche Inkamerierung österreichischen geistigen Eigentums in den stäatliäierf Formen- gebrauch der westdeutschen Republik legitimieren würde?

i-Man muß hier wohl ganz deutlich sein: Die Haydn-Hymne stellt ein or aller ‘Weit bekanntes geistiges, aus österreichischer Empfindungswelt geborenes ‘ERjentum dar, ein Herzstück unseres ol- tkes, eine Aussprache der österreichischen Seele.

Das ist in den letzten Jahren so oft und eindringlich und weithin hörbar on Österreichern gesagt worden, daß dieser Rechts orbehalt schwerlich am Rhein un- gehört geblieben ist. Man darf denn auch annehmen, daß das Bemühen um einen eigenständigen Feiergesang für die westdeutsche Bundesrepublik, das deutsche Dichter und Musiker in den letzten Jahren beschäftigte, dem richtigen Empfinden entsprang, es sei das „Deutschlandlied nicht nur ob seines Textes heute eine politische erlegenheit, sondern auch deshalb, weil Text und ertonung um der Würde Deutschlands willen erster Herkunft aus westdeutschem Boden sein müßte, nicht ausgeliehen und nicht einem urhebertümlichen Einspruch ausgesetzt. Der Fall wird nicht sympathischer dadurch, daß die deutsche Hymne, die zu Sil ester 1950/51 im deutschen Rundfunk probeweise und seither als Abschluß der Mittemachtsendungen zu Gehör gebracht wurde — der Text stammte on R. A. Schröder, die Musik on Hermann Reutter —, sich nicht einzubürgern ermochte, und die jähe Rückkehr zu Hoffmann on Fallersleben und Haydn ein schmerzliches Bekenntnis zu dem enttäuschenden Ertrag eines häuslichen ersuches wurde.

Es seien nicht Rekriminationen erhoben, ohne an die eigene Brust zu schlagen. Man mag uns nicht zu Unrecht am Rhein orhalten, daß wir Österreicher das kostbare eigene Gut ungenützt gelassen haben, und selbst der heftige Widerspruch der öffentlichen Meinung, die zur bitteren Satire gewordenen Auskünfte, mit denen die Praxis sich gegen die ihr aufgelegte Wahl eines Nationalliedes wehrte, die Berufenen nicht zu einer Korrektur eranlassen konnte. Gewiß war das nicht ein erzicht, der den Zugriff anderer erlaubt hätte, und gewiß war man allzu ängstlich, als man in Österreich nach dem Kriege der erwendung der Haydn-Hymne aus dem Bedenken auswich, es könnten sich bei feierlichen internationalen Anlässen Störungen ereignen, wenn Österreich sich mit einem Tonwerk präsentierte, das, mißbraucht, daran erinnerte, daß es den Marschtritt der Kolonnen Hitlers beim überschreiten fremder Grenzen begleitete, und sein Text on orstellungen durchflochten war, die in dem Konzept eines neuen Europa nicht mehr Platz haben. Begreiflich, daß nun auch in Deutschland aus demselben Grund ernste Ein wände gegen die getroffene Wahl erhoben werden.

Das Endergebnis? Hüben und drüben wird man gewahr werden, daß man durch die Annexion der Haydn-Hymne dem Geiste entgegengehandelt hat, der in höheren Sinne abseits primiti er Politik die Dichtung Hoffmanns on Fallersleben beschwingte, dieselbe Dichtung, die man jetzt mit dem künstlerischen österreichischen Mantel überkleidet.

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