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Das europäische Panorama

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Schon in den düsteren Jahren Zwilchen dem Tilsiter und dem Wiener Frieden, also zwischen 1807 und 1809, sprach Friedrich von Gentz davon, daß man „über die Neuordnung Buropas speculiere, aber vom Speculieren zum Effectuieren sey noch ein weiter Schritt“. Und doch ahnte dieser klarste Beobachter der europäischen Gesamtlage, daß sich gewisse Voraussetzungen für Möglichkeiten abzeichneten, die Umklammerung der napoleonischen Diktatur, die damals vom Tajo bis zur Weichsel reichte, langsam zu lockern. Talley-rand distanzierte sich immer deutlicher von den korsischen Gewaltmethoden, und in Wien hatte Metternich die Leitung der österreichischen Außenpolitik übernommen, was eine völlige Umorientierung bedeutete. Dem klugen Rheinfranken war es auf seinem Pariser Botschafterposten klar geworden: nicht weiterer, noch so heldenhafter Widerstand, sondern eine zunächst hinhaltende Anpassungspolitik

konnte zur allmählichen Überwindung des „Empereurs“ führen. Und die Entwicklung der nächsten Jahre sollte ihm in überraschender Weise recht geben. Die große Koalition, die den Korsen von Moskau über Leipzig nach Waterloo geführt, bestätigte den Anteil der diplomatischen Vorarbeit an diesen Siegen und erforderte nun eine klare Zielsetzung für die Neuordnung Europas als letzte Sinndeutung dieser Erfolge. Denn auch die so heroischen ..Hundert Tage“ von März bis Juni 1815 hatten bewiesen, daß das Schicksal Europas nicht mehr nur „mit dem Degen“ zu meistern war; sie vermochten Napo-

leon nur „zur Wahrung des allgemeinen Friedens“ von Elba nach St. Helena zu führen.

Die Präliminarien zu diesem Friedenswerk fanden in London statt; sie zeigten die Gegensätze zwischen Ost und West — Österreich hielt sich vermittelnd in ihrer Mitte — so deutlich, daß Ende 1814 ihre Fortführung notwendig erschien, wollte man nicht einen offenen Konflikt zwischen den „hohen Alliierten“ riskieren. Als Verhandlungsort bot sich Wien in seiner zentralen Lage besonders günstig an. Und hier entfaltete nun Metternich, unterstützt durch seinen vielgewandten „Pressechef“ beim Kongreß, den schon eingangs erwähnten Gentz, ein Höchstmaß an Verantwortungsbereitschaft, Geschmeidigkeit, Zielstrebigkeit und Geduld. Hier geschah es auch, daß der Riß zwischen Rußland und Preußen so breit wurde, daß in ihn sich bald Frankreich als fünfte Verhandlungsmacht einfügen konnte, Frankreich, repräsentiert von einem Talleyrand, der nun das böurbo-nische Legitimitätsprinzip als gediegenes Vertragselement einführte und damit immer sicherer in den Vordergrund trat. Er näherte sich dadurch auch dem Endziel der Metternieh-schen „Balancepolitik“, der Errichtung einer neuen, einander gleichberechtigten, lebensfähigen Pen-tarchie. Das wurde das Hauptthema des Wiener Kongresses; es sollte nicht Sieger und Besiegte geben, sondern das gemeinsame Anliegen sollte sich in einer neuen europäischen Integration als Grundlage einer dauerhaften Priedensordnung bestätigen.

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