6763580-1968_25_06.jpg
Digital In Arbeit

Judenstern im roten Feld

Werbung
Werbung
Werbung

In der UdSSR leben heute schätzungsweise 3 Millionen Juden, von denen sich 1959 2,25 Millionen zur jüdischen Nationalität bekannten, daher auch nach sowjetischem Gesetz in ihren Personal- und Arbeitsdokumenten den Vermerk „Jewrej“ (Jude) tragen. Nur ein Fünftel davon gab, bekenntnishaft, Jiddisch als Muttersprache an. Obwohl in der sowjetischen Verfassung die kulturelle Freiheit garantiert ist, gibt es heute in der UdSSR in jiddischer Sprache keinen Schulunterricht, kaum Theater oder Bibliotheken, nur eine einzige Zeitschrift. Seit 1953 erschienen etwa 20 Bücher in Jiddisch, das heißt nur vier Prozent der allein im Jahre 1930 herausgegebenen jiddischen Bücher.

Solcher sich darin manifestierender Repression der vor dem zweiten Weltkrieg in Rußland blühenden jüdischen Kultur entspricht die empfindliche Behinderung des religiösen Lebens und die Diskriminierung im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben. „So ist den Juden die Arbeit in der Hauptverwaltung der Armee (mit Ausnahme der Intendantur und des Veterinärwesens), in der Diplomatie und im Außenhandel streng untersagt“, in den wichtigsten Zweigen von Wissenschaft und Technik versucht man junge jüdische Anwärter auf freie Stellen femzuhalten (FETJÖ, Judentum und Kommunismus). Dem entspricht die Ankündigung von Kultusminister Katharina Furtsewa schon drei Jahre nach den blutigen antisemitischen Verfolgungen unter Stalin, daß die Anzahl der

Juden in gewissen Positionen verringert werden müsse, „um Platz für die bodenständigen Elemente unserer Republik zu schaffen“ („National Guardian“, 8. 6. 1958).

Im Vergleich mit anderen Nationalitäten der UdSSR gleicher Größenordnung wird vollends evident, daß die Zurücksetzung der ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachenden Juden in kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen Belangen systematisch erfolgt. Daneben werden auch Artikel und Bücher publiziert, deren Tenor, aus der Ablehnung des Staates Israel allein nicht mehr verständlich, gefährlich an Streichers Pamphlete erinnert — aber es gibt, nach offizieller Darstellung, in einem „sozialistischen Land“ keinen Antisemitismus mehr. Juden werden da als Wucherer und blutsaugende Kapitalisten beschrieben, mit Flöhen und schmutzigen Insekten verglichen. Moses wird als Betrüger, falscher Zauberer, ja als Dieb an den alten Ägyptern „entlarvt“. In kaum mehr überbietbarem Zynismus werden die zionistischen Führer auf Karikaturen als Speichellecker vor einem nationalsozialistischen Stiefel diffamiert.

Diese Strömung ist im russischen Volk allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Russische Intellektuelle, junge Kommunisten erhoben sich gegen den wiederauflebenden Rassenhaß und identifizierten sich mit den Verfolgten, Jewtuschenko verlieh ihnen in seinem Gedicht „Babij Jar“ reinsten Ausdruck.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung