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„Vater des Völkerrechts“ als Dichter

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Anno 1626 — also sieben Jahre, ehe noch,,"die, frommen .Oberammcrgaüer i ihr Gelübde ablegtcn — erschien in München, der Hauptstadt der Katholischen Liga, ein Passionsspiel des niederländischen Protestanten Hugo G r o t i u s, den die Welt als „Vater des Völkerrechts“ kennt. In jenem Jahrhundert der blutigen Religionskämpfe, die im Dreißigjährigen Krieg gipfelten, war es ein ungewöhnlicher Akt der Toleranz, daß der Rektor des Münchner Jesuitenkollegs, P. Jacob Keller, die Druckerlaubnis erteilte.

Das 1608 entstandene lateinische Spiel ist seither mehrmals nachgedruckt und auch übersetzt worden, doch wurde es bisher nie aufgeführt. Eine Hörspielfassung, die der Niederländische Rundfunk im Jahre 1941 senden wollte, fiel der Zensur der Besatzungsmacht zum Opfer, welche weder für Grotius noch für Passionsspiele Sympathie empfand. So erhielt Radio Wien die Gelegenheit zu einer Welturaufführung.

Die neue deutsche Übersetzung stammt von einem Namensvetter des Jesuitenrektors, dem Völkerrechtler DDDr. Hans K. E. L. Keller, der Sekretär der Internationalen Grotius-Stiftung und Stadtrat von München ist. Im Verlag der Grotius-Stiftung, München, ist das Passionsspiel „Christus P a- t i e n s“, zweisprachig — lateinisch und deutsch — herausgekommen (138 Seiten, mit einer Einleitung durch den Übersetzer, Preis 7 DM). Der lateinische Text ist phototechnisch von einem erhaltenen Original des Jahres 1626 übernommen.

Die Tragödie beginnt mit einem langen Monolog des Heilands. Ihm antwortet der Chor der Jüdinnen. Einem Monolog des Petrus folgt ein Disput zwischen Pontius Pilatus und Kaiphas — der dramatischeste Teil des Spiels. Später kommt es zu einem Dialog des Kaiphas mit Judas. Schließlich drängt der Pöbel Pilatus zum Todesurteil. Durch einen Botenbericht erfahren wir den Kreuzestod des Erlösers. Im 5. Akt treten Joseph von Arimathia, Nicodemus, Johannes und schließlich Maria auf, mit deren Prophezeiung das Spiel endet.

Wie man aus dieser kurzen Angabe erkennen kann, ist die Tragödie nicht bühnenwirksam, ja der Rundfunk scheint das einzige, das ideale Medium für dieses gedankenvolle Werk mit seinen „inneren Monologen“ zu sein. Die Wiener Aufführung einer nur unwesentlich gekürzten Fassung hinterließ in den Hörern einen starken Eindruck.

„Indem wir den erhabensten Stoff wählten, den es für eine Tragödie geben kann“, bekennt Grotius im Vorwort, „verfielen wir aber zugleich auf den schwierigsten von allen. Denn jede Erzählung, welche den heiligen Schriften ent lehnt ist, bietet der dichterischen Erfindung nur einen ganz geringen Spielraum ,.. Wie. viele von jenen Begebenheiten sich obendrein gegen die der Tragödie eigene Kunstform sträuben, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten, wäre ich nicht durch die Erfahrung belehrt worden . . . Wenn sich Dir, geneigter Leser, beim Lesen nur ein Bruchteil des Genusses mitteilt, den ich beim Schreiben empfand, wäre mir ein schönerer Erfolg beschieden, als ich zu hoffen wage.“

Dank dem Übersetzer, der das schwierige Versmaß des Originals in einer flüssigen Sprache wiedergibt, kann der Leser dreieinhalb Jahrhunderte nach der Entstehung dieses „Ereignisses des Geistes“ (Joseph Gregor) mühelos und mit Gewinn den Gedanken des Vaters des Völkerrechts folgen, der in seiner Verherrlichung Christi die Mutter Gottes sagen läßt:

„Die Völker wirst Du einst befrieden und sein Recht Wirst einem jeden Volke Du gewähren. Dann, Fürwahr, wird Deine Herrschaft ohne Ende sein!“

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