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Wissenschaftliche Kritik aus internationaler Sicht

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Die großen politischen Umwälzungen der letzten zwanzig Jahre — zu schweigen von den Folgen des zweiten Weltkrieges — haben den geistigen Kontakt der Völker und vielfach auch der Intellektuellen sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Technische Hemmungen (Reduzierung des Literaturaustausches, kriegsbedingte Lähmung der Verlagsbetriebe und des Buchhandels in manchen Ländern, beträchtliche Beschränkung des Postverkehre) waren noch verhängnisvoller als die — unleugbar vorhandenen — nationalen und politischen Ressentiments. Die derart entstandene Isolierung, namentlich der auf geisteswissenschaftlichem Gebiet tätigen Forscher, hat den wissenschaftlichen Fortschritt ungünstig beeinflußt. Immer häufiger zeigt 6ich ein verwirrendes Neben- und Durcheinander von Bemühungen, die vielleicht oft gemeinsame Ziele haben, aber infolge sich geltend machender Abkapselung der notwendigen Vertrautheit mit neuer wichtiger Fachliteratur entbehren. Insonderheit leidet unter diesem übelstand die Produktion in weniger verbreiteten Sprachen, weil sie der Welt nicht hinreichend bekannt wird.

Eine mehrsprachige Zeitschrift, In der Experten verschiedener Nationen zu bedeutenden Neuerscheinungen der einzelnen Fachgebiete Stellung nehmen und auf diese Weise ihr Spezialwi6sen einem weiten Kreis von Interessenten zugänglich machen, ist das beste Mittel, die — unentbehrliche— Diskussion wieder in Gang zu bringen und geistige Autarkiebestrebungen zu überwinden oder wenigstens zu mildern. Die Zeitschrift mit dem Namen Erasmus, Speculum 6Cientiarum* (Kommissionsverlag: H. R. Sauerländer & Co., Aarau) hat eine große Mission. Daß diese Zeitschrift seit dem Jahr 1949 in der Schweiz ein Heim

gefunden hat und daß ihr Leiter Schweizer Ist, darf als ein gutes Omen betrachtet werden. Die Ansässigkeit in der Schweiz gewährleistet Freiheit der Meinungsäußerung, Möglichkeit einer echten Internationalität und wirtschaftliche Stabilität (die für die Erledigung der komplizierten verlegerischen und buchhändle-risctien Probleme Bedeutung hat).

„Erasmus“ — das internationale Literaturblatt der Geisteswissenschaften — ist keine Neugründung. Die Zeitschrift besteht seit dem Jahr 1946. Ihr geistiger Vater war der große niederländische Kulturhistoriker Jan Hui-z i n g a. Seit der endgültigen Niederlassung des „Erasmus“ in der Schweiz ist es gelungen, gewisse Ubelstände (unregelmäßige Erscheinungsweise, häufiger Wechsel des Verlagsortes, oft mangelhafter Kontakt der Mitarbeiter in vielen Ländern, allzu unbekümmerte oder gelegentlich allzu diktatorische Redaktionsführung) zu überwinden. Rühmenswert ist es, daß die neue Leitung das wohlwollende Interesse staatlicher Stellen (nicht zuletzt schweizerischer Behörden) und finanzielle Unterstützung durch die Regierung einiger Länder zu erwirken verstand, wie auch Förderung durch die „Unesco“. Die Zahl der festen Bezieher beträgt fa6t tausend — was viel ist, denn führende deutsche Zeitschriften geisteswissenschaftlicher Art haben mitunter nicht mehr als dreihundert Abonnenten —, und die Zusammenarbeit de6 Redaklionskomitees ist effektiv geworden.

Im Reich des Geistes sind die Stimmen großer und kleiner Nationen gleichberechtigt, aber jene Völker, deren Sprache nicht zu den Weltsprachen gehört, vermögen sich nur schwer geltend zu machen: im „Erasmus“ ist für sie Raum.

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