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Zauberer des Geldes

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Auch die heutige Geschichtsschreibung wählt sich noch in den seltensten Fällen Themen aus dem Bereich der Wirtschaft. Gert von Klaß bildet hier eine Ausnahme. Nachdem er dem deutschsprachigen Leser schon Bücher über die Kohle-, Stahl- und Textilindustrie geschenkt hat, zeichnet er in seinem neuesten Werk das Porträt von Hugo Stinnes, eines der bedeutendsten Industriekapitäne der Zeit zwischen 1890 und 1925.

Menschen, die der heutigen jungen Generation angehören, werden kaum mehr wissen, wer dieser Mann war. Menschen, die noch die Inflation nach dem, ersten,Weltkrieg erlebten„ werden įhn ąls eifipn der größten Gewinner dieser traurigen Epoche in Erinnerung haben. Hugo Stinnes war aber viel mehr als ein Inflationsgewinner. Diese Epoche erlaubte es ihm nur, sein Organisationstalent auf vollsten Touren und in einer genialen Weise spielen zu lassen. Auch vor dem ersten Weltkrieg war er bereits einer der größten Industriellen der Welt, der um 1910 ein jährliches Privateinkommen von rund einer Million Goldmark besaß. (Und dafür — damals! — nur eine jährliche Einkommensteuer von 40.000 Goldmark bezahlte.)

Stinnes’ Großvater hatte einst als Kohlenschiffer am Rhein begonnen. Eines Tages dachte sich der alte Stinnes: Warum soll ich immer nur fremde Kohle transportieren? Transportiere ich eigene, habe ich doppelten Gewinn. Schnell kaufte er einige Zechen, und der erwartete Erfolg stellte sich auch prompt ein. Der Enkel dachte ähnlich wie sein Großvater. Er begann als Besitzer der ererbten Kohlenbergwerke. Bald aber beteiligte er sich an verschiedenen Banken und besaß so das immer nötige Kapital. Dann baute er seinen Konzern weiter aus. Welche Industrie, so fragte er sich, benötigt Kohle am meisten? Die Stahlindustrie. Stinnes schuf sich einen Konzern für Kohle und Stahl. Dann schritt er weiter. Gliederte seinem Konzern die Elektrizitätswirtschaft ein, denn sie lebte zumindest im damaligen Deutschland hauptsächlich von der Kohle. Er beteiligte sich an anderen Banken, gliederte sich auch die Papierindustrie ein, kaufte sich Zeitungen, wie die berühmte „Deutsche Allgemeine”, besaß eine Reihe von Fluß- und sogar Hochseeschiffen, besaß schließlich auch Hotels und Kurhäuser und griff sogar in weiser Voraussicht nach dem Oel. Seine bedeutendsten Konzerne, an denen er sich führend beteiligte, waren die „Luxemburgische Bergwerksund Hütten-Aktiengesellschaft”, das „Rheinischwestfälische Elektrizitätswerk” und schließlich die „Siemeps-Rheinelbe-Schpckert-Unipp”.

Als Stinnes 1924, kaum 45 Jahre alt, starb, zerfiel sein Konzern. Was begreiflich war, da niemand mehr vorhanden war, der diese gigantischen Vertikal- und Horizontalverbindungen riesiger Industrien überschauen und leiten konnte.

Stinnes, der persönlich weder am Geld noch an der Macht hing, der äußerlich wie ein deutscher Universitätsprofessor wirkte, war vielen Zeitgenossen ein Rätsel. In der Zeit der Inflation, da alle Werte zerrannen, verstand er es im Gegenteil alles zu Gold zu machen. So wirkte er auf viele seiner Zeitgenossen als eine Art Zauberer, ja oft als eine Art Dämon des Geldes. Er war weder das eine noch das andere. Dieser persönlich so bedürfnislose Mann war nur einer der genialsten Organisatoren, die die Welt je besaß, vergleichbar einem Ford, einem Rockefeller oder einem Bata, der nicht in erster Linie Geld verdienen wollte, ‘ sondern , vor allem Lust am Organisieren der schwierigsten Industriezweige und Lust am kaufmännischen Leben hatte.

Die Biographie von Gert Klaß hat diesen Mann mit Recht dem Vergessen entrissen. Wie alle Bücher des Wunderlich-Verlages ist auch das vorliegende sehr vornehm und gut ausgestattet.

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