Leben des Wole Soyinka, erster Akt Titel

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Die Autobiographie des afrikanischen Dichters, Revolutionärs, politischen Gefangenen und Nobelpreisträgers: Teil Eins bricht ab, wo es interessant wird.

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Die Autobiographie des afrikanischen Dichters, Revolutionärs, politischen Gefangenen und Nobelpreisträgers: Teil Eins bricht ab, wo es interessant wird.

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Wole Soyinka, ein Name, der Assoziationen auslöst: Literatur, Engagement, Gefängnis. Soyinka ist Nigerianer und wurde 1986 Afrikas erster Nobelpreisträger, also einer jener, die gut sind für Quizfragen. Er ist Vorsitzender der United Democratic Front of Nigeria, die die nationale Uhr wieder in Gang setzen will, die am 12. Juni 1993 durch einen Putsch gestoppt wurde: "Die Zeit ist gekommen, alle kleinlichen Differenzen zu begraben und alle Fähigkeiten zusammenzuführen, um einen größtmöglichen Effekt für die Wiederherstellung der Nation zu gewährleisten."

Wer mehr über Soyinka erfahren will, für den liegt nun der erste Band der Erinnerungen vor. Zeit, Bekanntschaft zu schließen, sich für die traditionelle afrikanische Kultur und den Kampf für ein Ende kolonialer Bevormundung zu öffnen. Am Ende kommt die Geduldprobe, denn wenn das Interesse geweckt ist, bricht das Buch ab. Die "Streunerjahre" behandeln nur die Zeit bis 1965.

Es beginnt mit der Heimkehr im Flugzeug von England nach Nigeria, einer Landung im Morgengrauen und den von den Ansichtskarten bekannten aufgescheuchten Silberreihern. Mit dem Aufsetzen der Räder ist Maren, der Held der Geschichte, wieder arm geworden, die sichere Landung hat ihn zum Bettler gemacht, denn damit sind alle Polizzen, die er vor dem Abflug bei einem Versichungsautomaten gelöst hat, verfallen. "Ich weiß, daß ich im Leben nie reich sein werde, hatte er den Mitreisenden verkündet, die wie er von ihrem Studienaufenthalt in der Hochburg des Kolonialismus heimkehren, aber hier habe ich die einmalige Chance mich zu rühmen, daß ich im Tode reich sein werde! Andre gaben ihr knappes Geld für Geschenke anderer Art aus; sie waren bestürzt über die Hemmungslosigkeit, mit der er einen Antrag nach dem anderen ausfüllte ..."

Das Flugzeug stürzt nicht ab, ist jedoch auch die Heimkehr geglückt? Die Eingangsszene bündelt die Gespaltenheit Soyinkas, die Unmöglichkeit, heimzukehren, denn die Heimat muß erst geschaffen, muß erst erkämpft werden. Wer dies ernst nimmt, sich nicht arrangiert, für den ist der Tod wahrscheinlicher als das Überleben auf einem Flug zwischen Europa und Afrika. Ein Land, das im Begriff ist, seine Unabhängigkeit zu bekommen, ist Nährboden für Machtgelüste und Eitelkeiten, vor allem, wenn eine reiche Oberschicht in England zur Schule gegangen ist und sich die Unarten der besseren Kreise angeeignet hat. Maren gehört nicht dazu und läßt bereits in London bei den neuen Männern kein Fettnäpfchen aus. In der postkolonialen Selbstfindung spielen die Universitäten eine zentrale Rolle. Kein Wunder also, daß die rivalisierenden Gruppen (es gibt in Nigeria rund 250 ethnische Gruppierungen, wobei die Haussa, Yoruba und Ibo den Hauptanteil ausmachen) ihren Kampf auch auf den Universitäten austragen. Eine davon ist Ibadan im Südwesten des Landes, an der auch Maren unterrichtet und von der er sich verabschiedet, als die Gängelung für ihn unerträglich wird.

Für Maren ist die Universität der Bezugspunkt, "ein Auffangbecken für die Werte, die die Gesellschaft in ihrem gedankenlosen Konkurrenzkampf um die Macht und materiellen Besitz über Bord zu werfen beschließen könnte". Der Kampf endet mit Niederlagen, die Günstlinge siegen, Maren schreckt 1961 nicht davor zurück, den mächtigen Leuten in die Quere zu kommen und verweigert die Veröffentlichung seiner Stücke durch die Universität. Mosaiksteinchen im Bild eines Unbeugsamen, das in diesem Buch ergänzt wird.

1967 wurde Soyinka verhaftet und 28 Monate in Isolationshaft gehalten, weil er gegen den Biafra-Krieg war, der ausbrach, als separatistische Kräfte die Ostregion abzuspalten versuchten. Doch diesen Abschnitt wird erst der zweite Teil behandeln. Mit seinem Theater und kleinen Sketches provoziert Maren, die Parteien, die sich demaskiert fühlen, mit ihren Schlägerbanden drohen oder Andersdenkenden Vipern in die offenen Fenster werfen. Als Flucht vor der Brutalität bieten sich Abstecher zur Österreicherin Susanne Wenger an, die in Oshogbo mit ihren Statuen eine Art heiligen Ort geschaffen hat. Ihr beim Batiken zuzusehen, "war wie eine Therapie". Eine andere sind ausgedehnte Reisen. Aufschlußreich ist Soyinkas Beschreibung des Ausflugs zu einem Theaterfestival nach Kuba oder die versuchte Vereinnahmung durch die Gewerkschaften oder eine vom Ostblock aus organisierte antikolonialistische Konferenz in Kairo, die für ihn auf dem Flughafen endet: "Zum Teufel mit den ganzen Verfechtern einer Pflicht des Künstlers, ihren prächtigen Kongreßsälen und intellektuellen Symposien!"

In Nigeria steht es nicht gut für die Demokratie, wenn Politiker verkünden, auf die Zustimmung durch das Volk könne verzichtet werden, wo doch die Engel im Himmel der Partei bereits ihre Stimmen gegeben haben. Soyinka idealisiert seine Rolle nicht: "Ich bin auch nur ein Mensch... Wenn mich der Feind in seinem Lager willkommen heißt, dann kann ich einfach nicht anders. Die Absurdität der Situation ist einfach unwiderstehlich."

Nigeria ist nach allen Himmelsrichtungen gespalten. Da wäre die NPC (Northern People's Congress), die AG (Action Group im Westen) und der NCNC (National Council of Nigeria and the Cameroons) im Osten. Kürzel und Personen können beim Lesen schon einmal durcheinanderkommen. Dieser Dschungel muß jedoch durchschritten werden, wobei vieles unklar und unbenannt bleibt. Der Verlag hat versucht, Wegweiser aufzustellen, einzelne Ausdrücke und Formulierungen werden erklärt, doch angesichts der Fremdartigkeit der Umgebung kann dies nicht genügen. Der Rezensent ist sich beim Lesen ziemlich alleingelassen vorgekommen und muß bekennen, die Geschichte der ethnischen Konflikte in Afrika nur ansatzweise zu kennen.

Trotz der vielen weißen Flecken auf dieser Landkarte fasziniert die Persönlichkeit Soyinkas, der 1964 gegen den Wahlbetrug nicht mehr nur künstlerische Mittel einsetzte und mit einer kleinen, notdürftig bewaffneten Gruppe die Übertragung der tatsächlichen Wahlergebnisse durch einen Radiosender gewährleistet hatte.

Seit der Fußball-Weltmeisterschaft wissen wir auch aus dem berufenen Munde eines österreichischen Sportreporters, daß Nigeria einen Diktator hatte, der kurz vor dem ersten Spiel der Nationalmannschaft verstorben sei. Von Verwunderung über die Trauerminute am Anfang des Spiels, die der Reporter dem Respekt vor einem Diktator zuschrieb, der immerhin den Tod des Regimekritikers Ken Saro Wiwa zu verantworten hatte, war nichts zu merken.

Wer nicht auf den zweiten Band warten und sofort mehr über Wole Soyinka nach 1965 erfahren will, findet zum Beispiel seine Rede anläßlich der Nobelpreisverleihung ("This past must adress its present") oder die Lehren, die er Martin Luther King verdankt, im Internet unter http://www.almaz.com/nobel/literature/1986a.html, denn das Besondere des Autors, seine Verbindung von Tradition und Moderne, erschließt das Buch leider nur ansatzweise.

IBADAN Streunerjahre 1946 - 1965 Erinnerungen von Wole Soyinka Ammann Verlag, Zürich 1998 498 Seiten, geb. öS 364,-

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