Lesen bringt Erfolg

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Eine neue Studie bestätigt: Bücherwürmer und Computerfreaks können oft identisch sein.

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Eine neue Studie bestätigt: Bücherwürmer und Computerfreaks können oft identisch sein.

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Seit etwa einem Vierteljahrhundert hält sich hartnäckig das Gerücht, daß unsere Gesellschaft einer aliteralen Zeit entgegensteuere.

Lehrer klagen, daß viele im Umgang mit Telefon, Fernsehen, Computer und Internet geübten Kinder und Jugendliche nur mehr mühsam Schriftzeichen auflesen und deren Bedeutung entschlüsseln können. Von Zeit zu Zeit kursieren Angaben über die Zunahme des sogenannten sekundären Analphabetismus, das heißt den Verlust der Lesefähigkeit im Erwachsenenalter. Kulturpessimisten verkünden einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem zunehmenden Gebrauch der Medien und dem geringen Stellenwert der Kulturtechnik Lesen. Und macht es nicht nachdenklich, wenn zur gleichen Zeit in mehreren Publikationen die Geschichte des Lesens und der Bibliothek, die Rolle des Lesers, die Wirkungsgeschichte von Texten in den buntesten Farben beschrieben und gewürdigt wird, als gelte es, ein letztes Mal vor dem Untergang, den Glanz des Buchzeitalters und der Lesekultur heraufzubeschwören?

Dabei gibt es Bilder, die so ganz und gar nicht an Krise denken lassen, sondern eher an Aufwind und Konjunktur: Die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vermehren sich weiterhin, jede technologische Erneuerung im Medienbereich hat Berge von Buchveröffentlichungen im Gefolge.

Werden Bücher durch neue Medien ersetzt werden? Lesen weniger Leser mehr Bücher? Oder sind User, Benützer von Computer und Internet, eher auch Leser? Oder gibt es trotz Fernsehen, Computer und Internet gute Gründe, zum Buch zu greifen?

Das Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien hat im vergangenen Jahr eine diese Fragestellung erhellende Studie "Leseförderung als Kommunikationspolitik" vorgelegt.

In den Herbst- und Wintermonaten 1996/97 hatte man 2.000 Österreicherinnen und Österreicher über 14 Jahren über ihr Leseverhalten und ihre Mediennutzung befragt. Es stellte sich heraus, daß trotz des sprunghaften Anstiegs der technischen Medien noch immer die Tageszeitung mit 82 Prozent vor dem Kabel- und Satellitenfernsehen zur Grundausstattung der Haushalte zählt, was kein Argument für die Lesekompetenz ist, aber für Textpräsenz spricht.

Werden die Langzeittrends unter die Lupe genommen - seit 1972 gibt es alle sieben bis neun Jahre eine ähnliche Kulturstudie -, so fällt auf, daß sich in diesem Zeitraum von 25 Jahren die Zahl der täglichen Buchleser von acht Prozent auf 15 Prozent nahezu verdoppelt hat, während die Zahl der Nichtleser von 43 auf 33 Prozent gesunken ist. Diese erfreuliche Entwicklung an den Polen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Reichweite des Buches geändert hat. Regelmäßig zum Buch greifen weniger Personen, im Durchschnitt lesen sie 79 Minuten täglich.

Die Projektverantwortlichen, Margit Böck und Lilo Stalzer, sehen zwischen der schwindenden Reichweite des Buchlesens und der gestiegenen Nutzung des Fernsehens und der neuen Medien einen engen Zusammenhang. Aber es läßt sich nicht bestätigen, daß der Computer das Buch verdrängt. Im Gegenteil, eher lesen jene Personen, die den Computer beruflich oder in ihrer Freizeit nutzen, Bücher. Oder auch umgekehrt: Personen, die gerne lesen, eignen sich auch gerne Kenntnisse auf dem Computer an. Diese Beobachtungen gelten für alle Bildungsgruppen, mit der Einschränkung, daß das Bildungsniveau, zumindest die Berufsausbildung die Vorliebe für Bücher und für Computer bestimmt. Personen mit Matura oder Hochschulabschluß stehen Büchern und Neuen Medien näher.

Lesen ist also sehr bedeutend für die Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien, und das vermutlich nicht nur wegen der Handbücher zur Hard- und Software.

Der typische österreichische Leser ist eigentlich eine Leserin, denn Frauen lesen häufiger Bücher als Männer, in der Gruppe der Vielleser fallen sie mit 64 Prozent gegenüber 37 Prozent wohl deutlich auf. Überdurchschnittlich präsent ist die Gruppe der 14- bis 19jährigen, nur hängt die Lesehäufigkeit nicht unbedingt mit der Lesefreude zusammen. Hier schlägt sich im numerischen Ergebnis einfach die Tatsache nieder, daß es in Schule und Ausbildung Pflichtlektüre gibt.

Die Unterschiede in der Leseintensität zwischen ländlichen und städtischen Regionen dürften auch der Infrastruktur zuzuschreiben sein. Die Erreichbarkeit von Bibliotheken, Buchhandlungen und kulturellen Aktivitäten, die mit Büchern in Verbindung stehen, scheint durchaus die Zugangsbedingungen einzelner Personen und den gesellschaftlichen Stellenwert des Lesens zu bestimmen. Denn 41 Prozent der Befragten in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern lesen keine Bücher. Aber 34 Prozent der Bewohner von Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern bezeichnen sich als Vielleser.

Lesehäufigkeit und Lesedauer sagen zwar einiges über das Problemfeld des Lesens aus, entscheidend aber ist die Lesekompetenz. Und diesbezüglich müssen die Ergebnisse der Studie nachdenklich stimmen, denn sie zeigen auf, daß sich die Kluft zwischen denen, die Zugang zu Informationen haben, und denen, die sie nicht haben, zusehends vergrößert. Etwa 16 Prozent der Befragten konnten einen einfachen Lesetest nur unterdurchschnittlich bewältigen. Wenn aber Lesen zu einer Schlüsselqualifikation geworden ist, deren Gebrauch über die Nutzung von Medien und damit von Informationen entscheidet, und schlußendlich über schulischen, beruflichen und sozialen Erfolg von Menschen, dann muß es gesellschaftliches und politisches Anliegen sein, durch Maßnahmen der Leseförderung dem einzelnen Benachteiligten Entwicklungschancen anzubieten.

Es kommt nicht von ungefähr, daß sich Mitsubishi Motors Deutschland seit 1996 an der Lesekampagne der Stiftung Lesen in Mainz als Partner beteiligt. Die offizielle Begründung lautet: Wir sehen eine wichtige Aufgabe darin, die Jugend in ihrer Kreativität und in ihrer Ausbildung zu fördern, denn sonst werden wir auch langfristig unseren Wohlstand nicht sichern können. Und dann werden uns irgendwann die Kunden ausgehen. Denn wirtschaftliche Prosperität ist nur möglich, wenn man auch geistige Prosperität hat.

Die Autorin ist Leiterin des Literarischen Forums der Katholischen Aktion Österreichs und Wiens.

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