Masken und GESICHTER

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Diesen November beteiligt sich Wien wieder am Europäischen Monat der Fotografie. Anlass für einen ortsunabhängigen Gang durch Porträtbände.

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Diesen November beteiligt sich Wien wieder am Europäischen Monat der Fotografie. Anlass für einen ortsunabhängigen Gang durch Porträtbände.

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Pablo Picasso sagte, als er die Schriftstellerin Gertrude Stein in Paris porträtierte, das Gesicht sei so alt wie die Welt. Er drückte damit diplomatisch aus, welche Schwierigkeiten ein junger Maler mit dem Abbild eines Gesichts haben kann. Steins Gesicht im Halbakt hat er am Ende nach unendlichen Sitzungen übermalt, um es später durch eine gemalte Maske mit ihren Zügen zu ersetzen. Die Krise des Porträts hielt an, als der Fotograf Man Ray die berühmte Autorin ins Bild setzen sollte. Er lichtete sie schließlich, fast zwei Jahrzehnte nach Picassos Versuch von 1906, vor dessen Bild ab. Nun betrachtet die Autorin in Maske von der Wand herab die zwanzig Jahre ältere Frau Stein, die den Blick ihrerseits maskenhaft auf den Betrachter richtet. Das ist nur ein Beispiel von vielen rätselhaften Blickdispositionen, die der Kunsthistoriker Hans Belting in seinem Essay "Fotografie und Maske" diskutiert, einem von 20 Texten in seinem Buch "Geschichte des Gesichts"(Faces, Beck 2014).

Die Maske der Abwesenheit

"Das Bildnis eines Gesichtes ist eine Maske der Abwesenheit des realen Gesichts", schreibt Belting und führt im Raum der europäischen Kunstgeschichte vor, wie "das Gesicht" sich wandelt: von der Entstehung der Maske im Kult bis zu den Cyberfaces, jenen Masken ohne Gesicht, digital konstruiert aus Pixeln und auf nichts mehr verweisend als auf ihre Bildschirm-Identität - und auf eine ferne Ähnlichkeit. Aber mit wem? Das digitale Cyberface muss befremdlich erscheinen, es muss den Betrachter enttäuschen, der im Porträt des Anderen immer den Beweis seines eigenen Menschseins sucht. Und doch stellen Bildautoren von Fotobüchern mit ihren Konzepten schon immer scheinbar festgefügte Konventionen des Blicktausches in Frage, sie suchen den Betrachter mit allen ihren Mitteln zu "täuschen".

Das Porträtprojekt "die weißen" im Fotobuch "faces!" von Monika Fischer und Mathias Braschler (Residenz 2013) ist ein Muster in dieser Tradition. 2002 haben sie in New York Mitarbeiter verschiedener Botschaften weiß gepudert und bemalt, fotografiert und dieserart neue Identitäten für sie erfunden. Es ist ein verblüffendes Doppelspiel: Wir sehen die Abwesenheit des realen Gesichtes - allerdings in einer zweiten, realen Maske. Wir ahnen in diesen Maskenporträts eine zweite Natur, vor allem eine zweite Hautfarbe, aber diese "faces!" verweisen weniger, wie der Kommentar im Buch will, auf "Wesenszüge verschiedener Kulturen", sondern vor allem auf ethnische Differenzen unter der Maske, an der Oberfläche des Gesichts. Und doch erzeugen diese Masken der Weißheit eine beruhigende Anwesenheit, hier erscheint das universale Gesicht, eine Ahnung vom alten Gesicht, das Picasso einst so irritierte. Oder gilt das hier nur für weiße Bildbetrachter?

Im Maskenspiel bleibt immer ein Rest Unerklärlichkeit, und doch scheinen rationale Energien zu wirken: "Der Maskencharakter des Porträts soll durchbrochen werden", das ist eine weitere These von Hans Belting. In seiner Monografie demonstriert der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler viele Versuche von Fotografen, sowohl den Maskencharakter zu durchbrechen als auch Blickdispositionen zu erobern, neuen Sinn für neue Bilder. Es ist kaum auf den Punkt zu bringen, was hinter dem Durchbruch sichtbar wird, die Strategien von Fotografen sind oft disparat, ihre Sujets mal zufällig und mal traditionell, ihre Umsetzungen oft genug je weniger künstlerisch durchdacht, je mehr der Fotograf dem Tagesgeschäft verpflichtet bleibt. In den Fotobüchern zum Thema Porträt lässt sich dennoch eine Entwicklung ablesen -hinter den Masken wartet Präsenz.

Hinter den Masken

Edward Steichen war zunächst Maler, belieferte dann Vogue und Vanity Fair mit Künstlerporträts, kuratierte Fotoausstellungen in New York und stellte also künstlerische Ansprüche an die etwas schief beäugte Fotografie. Sein eigenes Werk erscheint dennoch eher akademisch oder handwerklich, obwohl der Reiz der Maske gerade bei Prominenten offenbar wird - wie kann der Kunstfotograf die professionelle Maske, das Gesicht des Schauspielers darstellen, ohne sie zu einem Fetisch des Medienkultes zu machen? Durchbrochen hat Steichen wohl nur die mediale Vormacht der Malerei, fotografische Maskendurchbrüche sind selten bei ihm, die Pose der Schauspieler wird zur Fotomaske im Dienst der Show (Die Künstlerporträts, Deutscher Kunstverlag 2014).

Inge Feltrinelli gelangt schon weiter hinter die Masken der Prominenz. Sie nimmt als junge Frau die Kamera in die Hand und landet ihren ersten Scoop mit einer Serie über Ernest Hemingway. Das männliche Idol - beim Hochseefischen hat sie ihn ebenso fotografiert wie beim Mixen der Drinks, erfährt bei ihr jedoch eine ironische Würdigung: sturzbetrunken schläft der große Meister am Boden seines Lesezimmers. Eine menschlich-allzumenschliche Geste, die Hemingway durchgehen ließ. Feltrinelli hat den Kult systematisch demontiert, indem sie sich immer wieder selbst ins Bild bringt (Mit Fotos die Welt erobern, Steidl 2013).

Eine Haltung konstruktiver Ironie legt auch Philippe Halsman an den Tag, der 1959 sein Jump-book veröffentlicht: er entdeckt einen schulemachenden Zugang zum neuen psychologischen Porträt, indem er über 170 Probanden in die Luft springen lässt und im Sprung fotografiert - dazu gehören die angesagten Filmstars ebenso wie der etwas steife Edward Steichen oder das herzogliche Paar von Windsor. In der engagierten Werkausgabe von Prestel sind Proben dieser ersprungenen Porträts zu sehen, die Edition besticht auch durch eine Dokumentation über Halsmanns fotografische Arbeit mit dem genialen Selbstdarsteller und Perfektionisten Dalì (Astonish me! Prestel 2014).

"Ich bin der Überzeugung, dass alle großen Fotografen imstande sind, in der Luft eine Spur Phantom-Präsenz zu erfassen", schreibt der Fotograf Horst Tappe anspielungsreich. Seine Porträts aus fünfzig Jahren, von Nabokov, Rushdie, Liza Minelli, Lee Marvin, Gyorgy Ligeti, Picasso oder Ryszard Kapuscinski und Alfred Hitchcock sind absolute Close Ups, Gesichter im Großformat und in perfekter Ausleuchtung. Die Maske der Abwesenheit verliert hier schon sehr an Macht über das Bild, das Porträt wird zur Gesichtslandschaft, in der ein geduldiger Betrachter durchaus Spuren einer Phantom-Präsenz ahnen kann. Es geht also nicht mehr um die Gestaltung der Abwesenheit, sondern um eine magisch-mögliche Vergegenwärtigung. Sie kommt bei Tappe weniger durch die Luft als durch scharf kalkuliertes Licht, wie es die Bauhaus-Fotografen vormachten. (Die Kunst des Porträts. Till Schaap Edition 2014)

Die humane Präsenz

Nun gerät bei Tappe die Form des Porträts durch die Monumentalisierung zu einem fotografischen Staatsakt, einem säkularen Hochamt für die Prominenz, doch auch der Maskencharakter der Repräsentation wird durchbrochen. Und so erkühnt sich der aus Wangerooge stammende Fotograf Ingo Gebhard, das gleiche hoheitliche Format und Prinzip auf die "Meermenschen" seiner Heimatlandschaft anzuwenden, auf den Anstreicher "Muli" Schütte, den Fahrradmonteur Arno Weber, die Ordensschwester Sr. Anselma Kestermann. (Meer-Menschen, Hatje Cantz 2014). Noch spannender wird es bei Christine Turnauer. Sie nennt ihr neues, opulentes Werk gleich "Presence", in der vollen Absicht, globale Präsenz im Fotobuch zu verwirklichen (Hatje Cantz 2014). Diese Bildautorin kommt ihrem Ziel schon ziemlich nah, indem sie Gesichter verschiedener Hautfarben präsentiert, kontrapunktiert von der unglaublichen Zartheit ihrer Kinderporträts und den ungeschminkten Falten der Alten.

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