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Abseits der Kennedy-Route

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Die Franzosen besprechen die Tour de France. Aber nicht alle meinen die gleiche. Für die meisten ist es der große Radrennzirkus. Für andere ist die Europareise des amerikanischen Präsidenten auch eine „Tour de France“, weil sie rund um Frankreich herumführt.

Isolierung Frankreichs?

Die Kennedy-Tour wurde hier mit Unbehagen verfolgt. Aber das Unbehagen beruht nicht bei allen auf der gleichen Einsicht. Die Opposition zur (nichtkommunistischen) Linken und zur Rechten der Gaullisten bedauert die Isolierung Frankreichs. Seine „Neutralisierung“ komme schließlich- nur der Sowjetunion zugute. In der Umgebung der Regierung — aber auch in anderen, nicht gaullistischen Zirkeln — hielt man Kennedys'Deutschlandbesuch in der Vorschau für unnötig und hält ihn im Rückblick für ein Fiasko. Man nimmt zwar mit Genugtuung zur Kenntnis, daß sich der amerikanische Präsident während seiner Pressekonferenz in Bonn auch nicht durch die heimtückischesten Fangfragen zu einer Verurteilung des deutsch-französischen Vertrages verleiten ließ und lediglich bemerkte, er ziehe alles „Multilaterale“ dem „Bilateralen“ vor. Aber beinahe schadenfroh redete man sich ein, Kennedy sei es nicht gelungen, die Angst des deutschen Bundeskanzlers vor stillen russisch-amerikanischen Abmachungen über Deutschland zu beschwichtigen, und in der Bundesrepublik geistere nach wie vor das Gespenst eines geheimen Kompromisses zwischen den beiden Weltmächten herum, eines Kompromisses auf Kosten Deutschlands.

Es ist überhaupt bemerkenswert, wie diese besorgten Skeptiker sich in die Haut Adenauers hineinzudenken bemühen. Es will ihnen nicht gelingen, sonst wäre ihnen nicht entgangen, daß Adenauer im deutsch-amerikanischen Communique ausdrücklich eine integrierte, mit den Vereinigten Staaten assoziierte europäische Gemeinschaft

befürwortete und dadurch den deutschfranzösischen Vertrag zu einem zweitrangigen, subsidiären diplomatischen Werkzeug degradierte.

Gestern de Gaulle, heute Kennedy — und morgen?

Nachträglich, angesichts des Triumphzuges des amerikanischen Präsi-

denten durch die deutschen Lande, gehen einigen Franzosen die Augen auf über den Sinn deutschen Jubeins. Gestern de Gaulle, heute Kennedy. Und vorgestern, und morgen? „Die jubeln ja jedem zu, der etwas Sex-Appeal oder Grandeur ausstrahlt“, hört man ernüchtert.kommentieren.

Um das Maß der Enttäuschung vollzumachen, haben die Allensbacher Meinungsforscher soeben herausgefunden, daß 76 Prozent der (Westdeutschen eine „gute Meinung“ von Kennedy haben, während Präsident de Gaulle bei seinem Deutschlandbesuch im letzten September nur von 50 Prozent der Deutschen diese gute Note erhielt.

Die französischen Berichterstatter in Bonn sind beinahe verärgert, weil Kennedy sich so schonungsvoll und nachsichtig über die verschiedenen politischen Sonderzüge Frankreichs äußerte. Spöttisch schrieben sie von einem „farblosen Communique“ und von einer „Pressekonferenz ohne Brio“. Sie hätten wahrscheinlich lieber gesehen, wenn Kennedy mehr Offenheit, ja sogar mehr Rücksichtslosigkeit gezeigt hätte, wie sie es sonst von ihrem eigenen Präsidenten gewohnt sind. Sie wären wohl beglückt gewesen, wenn Kennedy den deutschen Partnern geradeaus gesagt hätte: „Wir sind für die multilaterale Atomstreitmacht der NATO, damit ihr nie in Versuchung kommt, euch eine eigene Atombewaffnung zuzulegen!.-* Ob allerdings eine solche Ehrlichkeit die Bundesrepublik dem Frankreich de Gaulles nähergebracht hätte, wie manche Franzosen hoffen?

Das „Risiko des Glaubens“

Kennedys große Rede in der Frankfurter Paulskirche hat dann schließlich dafür gesorgt, daß auch die Liebhaber einer deutlichen Sprache auf ihre Rechnung kamen.

Pierre Charpy von „Paris-Presse“ vergleicht Kennedys Aufforderung, Vertrauen zu haben in die amerikanische Bündnistreue, mit der berühmten „Wette“ Pascals: „Ihr habt alles zu gewinnen und nichts zu verlieren, wenn ihr so handelt, als würdet ihr glauben, ich sei eure Rettung.“ Der Vergleich hinkt; das hindert aber nicht, daß an diesem „Risiko des Glaubens“ sich die Wege Deutschlands und Frankreichs trennen könnten.

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