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Chancen für normale Zivilgesellschaft

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Der gewählte Präsident Nigerias sitzt im Gefängnis, alte Parteien sind verboten, der Gründer einer neuen steht vor Gericht.

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Der gewählte Präsident Nigerias sitzt im Gefängnis, alte Parteien sind verboten, der Gründer einer neuen steht vor Gericht.

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Die Provinzgouverneure, der Generalstabschef und der Finanzminister wurden abgesetzt, die Leitungsgremien sämtlicher staatlicher Unternehmen fristlos entlassen, die Leiter der Gewerk-schaften abgesetzt: Die Liste der neuesten drakonischen Maßnahmen des durch einen Militärputsch gegen den gewählten Präsidenten Abiola an die Macht gekommenen Generals Sani Abacha ist endlos (FURCHE 34/1994). Offenbar spitzen sich die Gegensätze zu. Beobachter sprechen bereits von der Gefahr eines neuen Sezessionskrieges ä la Biafra, diesmal des gesamten Südens gegen den Norden. Wird die internationale Gemeinschaft bald wieder aufgerufen werden, Massaker zu verhindern; Flüchtlinge zu verpflegen und gar, wie in Haiti, mit militärischen Mitteln eine demokratische Ordnung wieder zu schaffen? Bei fast hundert Millionen Nigerianern ein hoffnungsloses Unternehmen.

Sieht man sich die Vorfälle etwas genauer an, ändert sich das Bild. Dabei muß man sich erinnern, daß der Biafrakonflikt ein Trauma hinterließ, das alle Seiten vor ähnlichen Abenteuern zurückschrecken läßt. Parallel zu den harten Maßnahmen des Putschgenerals entwickelte sich seit langem schon ein Grundschwall demokratischer Bestrebungen, die sich nicht auf Waffen stützen, sondern auf permanenten Druck auf allen Ebenen. Das wirkliche Kräfteverhältnis entspricht keineswegs den oberflächlichen Vorgängen.

General Abacha stammt aus dem Norden und meist wird seine Herrschaft als Versuch des Nordens gesehen, den Süden mit militärischen Mitteln zu beherrschen. Daß er General Mohammed Chris Aili, den ebenfalls aus dem Norden stammenden Generalstabschef der Armee absetzte und durch einen Offizier seines eigenen Stammes der Kaduna ersetzte, zeigt dagegen, daß es ihm nicht um den Norden, sondern um seine eigene Herrschaft geht und daß diese Herrschaft bereits auf wackeligem Grund steht. Abacha, das ist der Mann, von dem behauptet wird, er stehe hinter der „Nigeria connection“ zu den kolumbianischen Drogenkartellen und zu den asiatischen Heroinproduzenten. Da seine Ratgeber vermeiden wollen, daß Nigeria ins internationale Abseits gedrängt wird, versuchen sie, so etwas wie eine gefügige demokratische Öffentlichkeit zu schaffen. So haben sie für den Präsidenten das Projekt einer Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Finanzministers Pius Okigbo ausgearbeitet, um die finanzielle Gebarung der Regierungen seit 1988 zu prüfen. Die Kommission sollte den Bericht dem Präsidenten vorlegen, der ihn dann, als Saubermann, veröffentlicht hätte. Weiters rieten sie ihm, die allseits verlangte Constituante, die verfassunggebende Nationalversammlung zuzulassen, sie jedoch mit ihm ergebenen Delegierten zu füllen.

Allen diesen Manövern zum Trotz entglitt Abacha und seinen Leuten die Kontrolle über die seit Juni tagende Constituante. Zu Beginn des Monats hatten die Delegierten etwa beschlossen, für die zukünftige Verfassung eine Rotation von Präsidenten südlicher und nördlicher Herkunft festzulegen. Dieser Tage schrieben sie den Parteipluralismus ins Verfassungsprojekt. Gleichzeitig werden aber Gründer von neuen Parteien - die alten sind verboten - vor Gericht gestellt. Gani Fawekin wurde unter der Anklage des Hochverrats ins Gefängnis geworfen, am 24. Oktober verordnete das Gericht seine Freilassung. Sein Prozeß ist für den 11. Jänner anberaumt.

Auch die Sache mit der Expertenkommission zur Überprüfung der Finanzgebarung von früheren Regierungen lief nicht nach Plan. Es wird in Lagos behauptet, Abacha sei so primitiv, daß er von vornherein angenommen hätte, ein ehemaliger Finanzminister, also ein Mann, der an der Quelle saß, der müsse doch mitgestohlen haben, also entsprechend verständnisvoll prüfen. Dabei war Pius Okigbo als einer der besten und integersten Finanzminister des Landes bekannt. Okigbo zögerte keinen Augenblick, die Recherchen seiner Kommission auf das Regime Abacha auszudehnen und kam auf interessante Ergebnisse. Von 1988 bis Juni 1994 wurde« aus den Öleinkünften des Landes von der Kanzlei der Präsidenten Batangida und Abacha insgesamt 12,4 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 136 Milliarden Schilling, auf „Spezialkonten“ abgezweigt. 204 Millionen Dollar lagen noch auf diesen Konten. Was mit dem Rest geschah, ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Erwähnt wurden in den aufgefundenen Unterlagen nur nichtdefinierte „spezielle Projekte“. Zum Vergleich: die Staatsschuld Nigerias beträgt 31 Milliarden Dollar.

Für Pius Okigbo kam es nicht in Frage, den Bericht einfach an den Präsidenten abzuliefern. Er veröffentlichte ihn. Bei einer Pressekonferenz teilte er Exemplare an Journalisten aus. Von der Pressekonferenz schaffte er es gerade noch, den nächsten Flug nach London zu erreichen. Denn natürlich ist Okigbo kein Selbstmörder.

Der Gegensatz zwischen den demokratischen Elementen der verschiedensten Richtungen und dem durch Putsch an die Macht gekommenen Präsidenten Abacha spitzt sich unaufhaltsam zu. Doch die Erfolgschancen stehen diesmal auf Seiten der Kräfte, die für Nigeria eine normal funktionierende Zivilgesellschaft erstreben.

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