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Das große Bauernsterben

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Aus den Gegenüberstellungen der Ergebnisse der letzten Volks- und Betriebszählungen in den mitteleuropäischen Staaten ergibt sich ein sehr starker Rückgang der Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen und der kleinsten, weniger als 0,5 Hektar umfassenden, sowie der kleinen, 0,5 bis 5 Hektar großen bäuerlichen Betriebe. Diese dürften sich fast ausschließlich im Eigentum von Personen befunden haben, die neben der Betreuung ihrer Scholle noch eine zweite Beschäftigung ausübten, sich aber immer mehr dieser zuwandten, als der Ertrag ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit immer weniger den geleisteten Aufwendungen entsprach. Kennzeichnend für die Abnahme des Arbeitsertrages mit dem Rückgang der Fläche sind die Ergebnisse der Buchführungen:

Der Arbeitsertrag einer Arbeitskraft war zum Beispiel im Jahre 1961 im niederösterreichischen Flachlandgebiet: 10.143 Schilling auf 5 bis 10 Hektar umfassenden Betrieben;

13.046 Schilling auf 10 bis 20 Hektar umfassenden Betrieben;

17.042 Schilling auf 20 bis 50 Hektar umfassenden Betrieben;

29.263 Schilling auf mehr als 50 Hektar umfassenden Betrieben.

Für Liegenschaften, auf welchen Sonderkulturen betrieben werden, gelten etwas andere Verhältnissei

Da den kleinen, kapitalschwachen Betrieben die Möglichkeiten fehlen, die notwendigen Anschaffungen zu tätigen (und auch zu amortisieren), muß wohl noch mit einem weiteren Rückgang der Zahl der Kleinbetriebe gerechnet werden.

Über die unterste Besitzgrenze, von der an auch unter den heutigen Verhältnissen noch mit einem befriedigenden Erfolg der Arbeit gerechnet werden kann, gehen die Ansichten auseinander. Manche sprechen auch den größeren Liegenschaften, für die sich zum Beispiel nicht die Anschaffung eines leistungsfähigen Mähdreschers lohnt, die Lebensberechtigung ab, andere schließlich schielen zur „Kolchose“ hin.

Welche Folgen können nun Von einem mehr oder minder umfangreichen Bauernsterben erwartet werden? Sprechen die Erfahrungen, die man ehedem in ähnlichen Fällen machen konnte, für ein ruhiges Zusehen — oder für den Versuch, diese Entwicklung zu verzögern oder besser aufzuhalten?

Modellfall England

Aus der Geschichte sind uns mehrere Fälle eines umfassenden Bauernsterbens bekannt. Der für uns interessanteste ist der im England des 19. Jahrhunderts. Bis dahin galt die britische Landwirtschaft als die beste, leistungsfähigste, mit den vollkommensten Einrichtungen ausgestattete, als das kaum erreichbare Vorbild für die festländische. Die Engländer waren aber noch bessere Kaufleute. Um nur ja recht billig erzeugen und ihre Waren günstig jenseits des Meeres verkaufen zu können, zogen sie die dort gewonnenen Nahrungsmittel immer mehr den heimischen vor. Kennzeichnend für diese die bäuerlichen Interessen völlig außer acht lassende Einstellung war der Satz: „Unsere Rinder weiden auf den Prärien Amerikas.“

Während die Händler und Fabrikanten Geld scheffelten, verarmten die Bauern. Tausende wanderten aus, andere gingen in die Fabriken, wo man ihre Arbeitskräfte suchte, und nur wenige blieben als Pächter auf dem fast nur noch als Schafweide genutzten Land zurück. Auf die Leistungen der Landwirtschaft glaubte man verzichten zu können, da ja die Flotte, die größte der Welt, für die ungestörte Versorgung der Insel sowie für den reibungslosen Absatz der Erzeugnisse sorgte.

Nachziehverfahren

Während des ersten Weltkrieges trat unvermittelt ein einschneidender Umschwung ein: Die Versorgung aus Übersee gestaltete sich immer schwieriger. Nun begann man, sich der heimischen Landwirtschaft zu erinnern, und mit englischer Gründlichkeit wurde alles unternommen, sie wieder leistungsfähig zu machen. Mit beachtlichem Erfolg! Aber eine jahrzehntelange Vernachlässigung kann nicht, auch nicht mit großen Aufwendungen, so rasch wieder wettgemacht werden. Der Staat verwendet alljährlich 13 Milliarden Schilling (190 Millionen Pfund) für Ausgleichszahlungen (Deficiency Payments), und auf Grund des Kleinbauernprogramms vom 1. April 1959 erhalten 8 bis 41 Hektar Land besitzende Bauern Zuschüsse bis 80.000 Schilling für die Ausgestaltung ihres Vieh- und Maschinenbestandes.

Die englischen Bemühungen zeigen, welche Mühe und Kosten aufgewendet werden müssen, um einen fast verlorengegangenen Bauernstand, dessen Fehlen sich in so vieler Hinsicht übel bemerkbar gemacht hat, wieder lebensfähig zu machen.

Wir sind heute noch in der glücklichen Lage, einen voll leistungsfähigen Bauernstand zu besitzen. Schützen wir ihn und sorgen wir, daß gerade nur jene Betriebe aufgegeben werden, die unter den gegebenen Verhältnissen tatsächlich ihre Lebensfähigkeit verloren habenl

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