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Das „verschacherte“ Burgenland

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Unter diesem Titel brachte die „Deutsche Wochen-Zeitung“, Hannover, in ihrer Ausgabe vorr 25. August 1967 „Eine erschütternde Enthüllung aus Budapest“, die zweifellos für Österreich Beachtung unc Richtigstellung verdient.

In diesem Aufsatz wird nicht weniger behauptet, als „daß die Christlich-soziale Partei Österreichs in der Jahren 1919 und 1920 mit führender ungarischen Amtsstellen in konspirativer Verbindung stand, um mi1 ungarischer Hilfe gewaltsam die alleinige Macht in Österreich über nehmen zu können. Als Gegenleistung wurde den Ungarn der österreichische Verzicht auf das Burgenland zu einer Zeit angeboten, da bereits die Friedenskonferenz von St-Germain Österreich das Burgenland zugesprochen hatte“. Eine besondere Rolle in dieser Konspiration habe der nachmalige Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel gespielt, der übrigens „auf Grund der neuesten zeitgeschichtlichen Forschungsergebnisse nun zweifellos eine neue, und zwar negative Würdigung erfahren“ müsse.

Überraschend sind die Quellen, auf die sich der genannte Artikel beruft, nämlich die beiden folgenden „wissenschaftlichen“ Aufsätze:

Julius Deutsch: Enthüllungen durch Aktenfunde. — In: Arbeit und Wirtschaft, Wien, 21. Jahrgang, Heft 7—8, v. Juli/August 1967, Seiten 24 bis 27; und

Ldjos Kerekes: Die „Weiße

Allianz“. Bayrisch-österreichischungarische Projekte gegen die Regierung Renner im Jahre 1920. — In: österreichische Monatshefte. Mitteilungsorgan des österreichischen Ost-und Südosteuropainstituts, Wien. 7. Jahrgang, 5. Heft, vom September 1965, Seiten 353 bis 366.

Liest man den als Quelle zitierten Aufsatz von Julius Deutsch, der sich Im wesentlichen auf den Artikel von Leijos Kerekes stützt und diesen eigentlich nur in gekürzter Form wiedergibt und kommentiert, wird man vergeblich nach einer dokumentarischen Beweisführung der aufgestellten Behauptungen suchen; denn die in Faksimile beigegebenen beiden Briefe des seinerzeitigen Heimwehrführers Dr. Steidle stammen aus den Jahren 1929 und 1930 und haben somit für die aufgestellten Behauptungen über Ereignisse der Jahre 1919 und 1920 überhaupt keine Beweiskraft. Mit um so größerer Erwartung liest man sodann den immer wieder als wissenschaftliche Quelle herangezogenen Aufsatz von Läjos Kerekes in den „österreichischen Ostheften“; aber auch mit um so größerer Enttäuschung.

„Enthüllungen“

Schon die redaktionelle Einleitung überrascht, wenn es darin heißt: „Während die österreichischen und die deutschen Archive der Zwischenkriegszeit der zeitgeschichtlichen Forschung weitgehend verschlossen sind, so daß die systematische Auswertung dieses Quellenmaterials schwer fällt, hat Ungarn seine Archive der wissenschaftlichen Bearbeitung freigegeben.“ Im Artikel der „Deutschen Wochen-Zeitung“ vom 25. August 1967 hat derselbe Gedanke bereits eine viel schärfere Formulierung gefunden: „Während in Österreich die politischen Sünden der Marxisten und Christlichsozialen aus der Zeit der Ersten Republik noch immer in beiderseitigem Einvernehmen der ÖVP und der SPÖ unter dem wohltätigen Mantel der Aktensperre der Zeitgeschichtsforschung entzogen bleiben, hat nun ein ungarischer Historiker an Hand von Budapester Ministerialakten Licht in eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Zwischenkriegspolitik gebracht. Die von Läjos Kerekes über die Jahre 1919 und 1920 in den .österreichischen Ostheften' veröffentlichten Untersuchungen bergen auch heute noch politische Brisanz in sich.“

Das „reiche Archiv“

Worin liegen nun die „brisanten“ und erschütternden Enthüllungen?

Der junge ungarische Historiker Läjos Kerekes verspricht einleitend, „aus dem relativ reichen Aktenbestand der ungarischen Archive schöpfend, ... der Öffentlichkeit bisher unbekanntes Material über die außenpolitischen Zusammenhänge der gesellschaftlichen Kämpfe im Jahr nach der Gründung der österreichischen Republik vorzulegen. Demnach seien zwischen monarchistisch-konservativen österreichischen Organisationen und der damaligen ungarischen Regierung Verhandlungen geführt worden, in denen „die Lösung, welche die westungarische Frage, vorläufig für Österreich, durch den Friedensvertrag von St-Germain gefunden hat“, öster- reichischerseits „als eine durchaus ungesunde, den Interesse der beiden Staaten widersprechende“ bezeichnet wird. Soweit solche Erklärungen von österreichischen Privatpersonen und privaten Organisationen abgegeben worden sein mögen, sind sie zweifellos nicht Ausdruck patriotischer Gesinnung. Keinesfalls aber sind derartige „Dokumente“ Beweise für die Haltung des österreichischen Staates und der österreichischen Regierung.

Direkt gegen die damalige christlichsoziale Parteiführung wendet sich Kerekes, wenn er nun im weiteren Verlauf seiner Darstellung behauptet, „im Lauf des Monates März“ (1920) sei „die Leitung der .Vereinigung für Ruhe und Ordnung' durch einige prominente Führer der Christlichsozialen und der Deutschnationalen — Seipel, Vaugoin u. a. — ergänzt“ worden, „womit die Organisation von privater auf die Parteiebene gehoben wurde und dadurch bedeutend an Stärke zunahm“. Überraschenderweise hat Kerekes vergessen, diese Behauptung quellenmäßig zu belegen.

Seipel und Gratz

Dafür aber behauptet er weiter, Seipel habe am 13. März 1920 mit dem ungarischen Gesandten Gratz verhandelt und betont, „die Christlich-soziale Partei betrachte die Übernahme der Regierungsgewalt als eine ihrer dringenden Aufgaben, benötige dazu aber die entsprechende bewaffnete Rückendeckung. Der im Aufbau begriffene Heimatschutz (Heimwehr) würde diesem Zweck entsprechen, seine Bewaffnung sei aber mangelhaft, so daß er ein Auftreten gegen die Linke nicht riskieren könne. Zur Ausrüstung der Heimwehr ersuchte Seipel die ungarische Regierung um Überweisung von 50 Millionen Kronen. Die Überlassung dieser Summe machte Gratz von zwei Bedingungen abhängig: Die Wende nach rechts müsse innerhalb kurzer Zelt erfolgen, und die chpjst- lichsoziale Regierung, die dann an die Macht käme, müßte die Burgenlandfrage mit Ungarn auf friedlichem Wege lösen. Seipel nahm beide Bedingungen an und gab zum zweiten Punkt folgende schriftliche Erklärung ab: „österreichischersedts wird erklärt, in der westungarischen Frage besteht die Bereitwilligkeit, auf die von Ungarn gewünschte Lösung einzugehen. Da jedoch ein förmlicher Verzicht Österreichs auf Westungarn derzeit Schwierigkeiten begegnet, müsse die Frage dilatorisch behandelt werden, österreichischer- seits wird die Verpflichtung übernommen, daß diese Frage nur im Einvernehmen mit Ungarn gelöst wird und Westungarn bis dahin bei Ungarn belassen wird. Die Verhandlungen werden daher auch nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages von Trianon fortzusetzen sein, ohne daß eine Räumung des Gebietes verlangt werde, und es werden auch österreichischerseits keine Schritte unternommen werden, damit die Räumung seitens der Entente gefordert beziehungsweise beschleunigt werde. Die Verhandlungen werden dann in entsprechenden Intervallen so lange geführt werden, bis entweder eine Einigung oder ein freiwilliger Verzicht Österreichs auf Westungarn möglich wird.“

„Nicht gelungen ..."

Als Quelle für diese wirklich überraschende schriftliche Erklärung gibt Läjos Kerekes an: Orszägos Levältär (Staatsarchiv), Külügy- minisztėrium (Ministerium des Äußeren), res. pol. (reservat politisch), 1920-20-307.

Da eine derartige schriftliche Erklärung absolut nicht zum politischen Poträt Seipels paßt, habe ich mich am 18. September 1967 an das genannte Staatsarchiv in Budapest mit der Bitte gewandt, mir eine Kopie dieser Erklärung zu übermitteln.

Unter dem 29. November 1967 antwortete daraufhin das Staatsarchiv Budapest, „daß es trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist, die schriftliche Erklärung Dr. Ignaz Seipels über Westungarn, die Läjos Kerekes als Külügyminiszterium res. pol. 1920-20-307 zitiert, unter dieser Signatur aufzufinden“.

Bemerkenswert erscheint auch die Antwort auf mein Ersuchen um eventuelle weitere Dokumente Seipels aus dem dortigen Archiv: „Was Ihr Ersuchen bezüglich Forschungen über weitere Ignaz Seipel betreffende Dokumente im Ungarischen Staatsarchiv betrifft, bitten wir Sie, die Zustimmung des Ungarischen Außenministeriums durch die österreichische Botschaft zu solchen Forschungen zu erwirken.“ Die Freigabe der Archivbestände der Zwischenkriegszeit ist also auch in Ungarn durchaus nicht so gesichert, wie es die redaktionelle Einleitung des Kerekes-Artikels behauptet.

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