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Lexikon in drei Bänden

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Das kluge Alphabet. Lexikon für jedermann in drei Bänden. 100.000 Stichwörter, 3024 Seiten mit 5100 zum Teil farbigen Abbildungen, Wirtschafts- und Landkarten im Text und auf Tafeln. Im Propyläen- Verlag bei Ullstein, Berlin 1957. Preis je Band 188 S.

Die Herausgabe dieses dreibändigen Ullstein- Lexikons war — das sei gleich eingangs festgestellt — eine lobenswerte Tat, an der Redaktion, Mitarbeiter und Verlag wohl gleichen Anteil haben. Sofort sticht die ruhige und seriöse Gesamtgestaltung ins Auge: die gute, einfallsreich komponierte Bebilderung, die vorziigliche graphische Gestaltung des Textes. Die ihn ergänzenden Bildtafeln sind sorgfältig ausgewählt, selbst kleine Zeichnungen und Photographien kommen auf dem erstklassigen Papier wie gestochen zur Geltung. Der Inhalt steht der Gestaltung nicht nach: Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit der Information, eine neueste biographische Nomenklatur und eine trotz der räumlichen Beschränkung überraschende Reichhaltigkeit. Dabei ist die Anschaulichkeit der Darbietung, glückhaft ausgewogen zwischen Quantität und wünschenswerter Verdeutlichung des Gegenstandes, nicht verlorengegangen. Wie sehr man sich bei Ullstein auf knappe und treffliche Charakterisierung versteht, zeigen etwa die Artikel über Thomas Mann, Saint-Exupéry und Richard Wagner. Hoher Wert kommt auch der rückhaltlosen Objektivität zu, wie bei jenen, schmerzliche Erinnerung wachrufenden Worten: Oradour, Deutschenaustreibungen, Geschwister Scholl. Hervorzuheben sind noch die zuverlässigen Beiträge über Oesterreich, Wien (beide sehr gut), Weltkrieg, Kunst, Polen, USA, Sowjetunion.

Dem Rezensenten obliegt es nun noch, sich einer, angesichts der beispielhaften Gesamtleistung, nur ungern übernommenen Aufgabe zu entledigen, nämlich einige kritische Einwände vorzubringen. Aber eine aufrichtige Besprechung eines solchen geglückten Werkes ist eine bessere Würdigung, als vorbehaltloses Lob.

Eine Fehlliste wäre bei einem dreibändigen Unternehmen wohl fehl am Platz, indes sei durch einen Hinweis auf kleine Inkorrektheiten — auch Homer schläft zuweilen — der Redaktion des „klugen Alpha bets“ und dessen Lesern für eine eventuelle Neuauflage ein kleiner Dienst erwiesen. Zuerst seien zwei unrichtige Schreibweisen angeführt, beziehungsweise Druckfehler berichtigt: Custozza, nicht Custoza, Hammarskjöld, nicht Hammerskjöld. Gumpoldskirchen, berühmt wegen seines Weines, ist keine Randgemeinde Wiens, sondern eine stolze Matkt- gemeinde Niederösterreichs. Der „Austromarxismus“ wollte mehr als nur „eine aktive sozialistische Politik“. Um der historischen. Wahrheit willen sei gesagt, daß er radikalen Marxismus in sozialdemokratischer Spielart darstellte. Auf dem Linzer Parteitag 1926 wurde deutlich und unmißverständlich „Die Diktatur des Proletariats“ als Endziel proklamiert. „Schärf“, seit Mai 1957 mit einem Prozent Mehrheit österreichischer Bundespräsident, ist nicht erst „seit 1918 Sozialist“. Er würde, falls er davon erführe, ,nachdrücklich auf seine eifrige Parteigängerschaft schon als Gymnasiast verweisen. Er war aber auch nicht „1919—1938 Sekretär des Präs, des Nationalrates“. Dollfuß hatte nämlich schon 1933 das Parlament aufgelöst. Seipels, des größten Staatsmannes der Ersten Republik, Schlagwortbiographie bedarf doch eines Kommentars. Es heißt da: „urspr. kath. Priester und Hochschullehrer (Moraltheologie), 1921 Leiter der Christl.-Soz. Partei, 1922—29 Bundeskanzler; durch ein Attentat (1. 6. 1924) schwer verwundet; förderte die österr. Heimwehr, vertrat berufsständische Gedanken, schrieb u. a. „Der Kampf um die österr. Verfassung“. Seipel war zeitlebens ein „Mann der Kirche“, er trug die Prälatenwürde.“ Schade, daß ein taktischer Zug, .Förderung der Heimwehr, der ja den Sinn hatte, sowohl den „Links“- als auch den „Rechts“-Radikalismus auf Demokratie zu verpflichten, Erwähnung findet, und seine Großtat, die Rettung Oesterreichs, die Sanierung seiner Finanzen, unerwähnt bleibt. Sein berühmtes Hauptwerk hieß: „Nation und Staat.“ Inwieweit „Lueger“ für „Hitlers politisches Programm bestimmend" war, bleibe dahingestellt. Ungleich mehr war es unverdautes Nietzscheanertum.

Trotz solcher Schönheitsfehler bleibt es eine reiche, gediegene Tatsachen- und Gedankenfracht. Alles in allem: das erfüllte Versprechen eines lexikographisch erfahrenen Verlages.

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