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DER FILM UND DER ÖDIPUSKOMPLEX

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Wie in vielen Dingen, so hinken die Amerikaner auch in " Sachen Psychoanalyse „old Europe“ erheblich nach. Als im ehemaligen Abendland der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud, ihr Begründer, schon witzfähig geworden war (was an sich nichts gegen den Menschen, Forscher, Denker besagt), da erst „entdeckten“ sie ihn. Nach einer Weile schlug sich das auch in der US-Kinematographie nieder — heftig, hemmungslos, versteht sich, eben mit der für Zuspätkommende, um ihren Nachholbedarf Besorgte üblichen Massivität: zeitweilig erschien kaum ein Film, der nicht von psychoanalytischen Heilverfahren, von ihren Objekten, den Komplexen, den Fehlleistungen, den unterschiedlichen Formen des Sexualtriebes handelte. Man konnte es, vor allem „Es“, das solcherart exhi- bitionierte „Unbewußte“, schon nicht mehr sehen

Nun aber kommt die Universal-Filmgesellschaft auf die Idee, Sigmund Freud eine Leinwandbiographie zu widmen. Sie kommt damit, so scheint es, schon wieder zu spät. Nun denn, Denkmäler, auch solche aus Zelluloid, sind nicht an Ort und Zeit gebunden.

A 1s Regisseur des filmischen Porträts — mit Montgomery Clift in der Titelrolle (Freud-Tochter Anna: „Wer ist dieser Herr Clift?") — wurde der aus seiner keineswegs kitschfreien „Reader-Digest“-Kinematographie bekannte John Huston auserwählt: „Der Schatz der Sierra Madre“, „Asphalt-Dschungel“, „Moulin Rouge", „Moby Dick“ u. a. stammen von ihm. Nach angeblich „mehr als vierjähriger Vorbereitung“ drehte er zunächst in München, dann in Wien. Er tut das, wie erinnerlich, gegen den Einspruch noch lebender Familienmitglieder. Huston, ursprünglich Berufsboxer, dann mexikanischer Kavallerist, amerikanischer Journalist usw., hat ja Nerven, wie er sagt. Zudem ist er völlig unbelastet. Auf die im Zusammenhang mit dem Projekt gestellt Frage eines Reporters, ob er sich selbst schon einmal einer psychoanalytischen Behandlung unterzogen habe,

:epvidertej er: „Wieso das? Ich möchte meine Komplexe gerne behaftet!.“

TA er späte „Freud“-Film hat übrigens auch eine Geschichte.

Die Idee kam Huston bereits 1938 in einer Hollywooder Filmkantine, als er mit Gottfried Reinhardt, der einige seiner Filme produzierte, über den Wiener Gelehrten (den Gottfrieds Vater Max, der berühmte Theaterregisseur, persönlich kannte) sprach. Das Vorhaben konnte jedoch nicht realisiert werden. Im Jahre 1945 war erneut davon die Rede. Wieder wurde nichts daraus. Statt dessen drehte Huston im Auftrag des US-Kriegsministeriums einen Dokumentarfilm „Es werde Licht" über die Therapie nervenkranker Weltkriegsteilnehmer —, und zwar derart schockierend, daß der Streifen nicht freigegeben wurde: er hätte jeden davon abgehalten, Soldat zu werden

Nach längerer Zeit vergab der Regisseur einen Exposeauftrag für „Sigmund Freud". Das Manuskript schickte er Jean-Paul Sartre mit der Bitte um die Treatmentfassung. Dieser lieferte statt der erwarteten 150 Schreibmaschinenseiten fürs erste 500 engbeschriebene Blätter. Höflich gebeten, das Opus zu kürzen, legte er 700 Seiten vor, die er nach einer zweiten Überarbeitung sogar auf 1000 erweiterte. „Es ist das Werk eines Genies“, sagte Huston, krempelte die Ärmel hoch und haute das Ganze auf den normalen Umfang zusammen.

Gefragt, was er mit dem Film beabsichtige, antwortete sein Gestalter: „Ich möchte, daß das Publikum weniger selbstsicher das Kino verläßt..So weit — so gut: das kann ja nie schaden. Aber dann sagte der Meister: „Ich will in diesem Zusammenhang die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter erklären.“ Da hätten wir ihn also wieder, den guten, alten „Ödipuskomplex“ — und alles, was sich um ihn rankt, die Mutterb-’ndung, diesen und jenen aus dem der Revision bedürftigen Freudschen Denkmodell rein sexuell erklärten neurotischen Sachverhalt. Was wollen diese „Ladenhüter“, die von der modernen Wissenschaft gegenwärtig ausgeräumt werden?

John Huston wird, so kann man seinen Äußerungen entnehmen, eine Darstellung der Psychoanalyse mit Stand von etwa 1920 geben. Er wird das zwar, wie er betont, dezent, das heißt, „ohne schreckliche Szenen" tun — nur mjt „alltäglichen Beobachtungen“, so über Leute, die sich heillos vor Katzen fürchten oder sonst ein bißchen hysterisch sind. Aber genügt das? Gewiß setzt ein sich mit Vergangenem beschäftigendes biographisches Werk im Hinblick auf neuere Einsichten und Erkenntnisse Grenzen. Aber die Konsumenten sind Menschen von heute (genauer gesagt: des Jahres 1962 — da erst nämlich wird der Film zu sehen sein). Und sie können wohl, wenn es schon beabsichtigt ist, vom Lichtspiel Lebenshilfe auf neuzeitlicher Grundlage erwarten, derzufolge sie beispielsweise weit weniger unter ihrer Sexualität, als viel mehr unter ihrer Entfremdung leiden. Freud wußte das noch nicht. Huston aber weiß es — oder müßte es doch wissen.

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