6628274-1956_22_07.jpg
Digital In Arbeit

Der „Gewerkschaftsstreit“

Werbung
Werbung
Werbung

Durch 25 Jahre, von 1895 bis 1920, spaltete der sogenannte „Gewerkschaftsstreit“ die katholische Sozial- und Arbeiterpolitik. Vor allem im industriell fortgeschrittenen Deutschland. Gegeneinander standen hier: der „Katholische Volksverein in München-Gladbach“ und der „Verband katholischer Arbeitervereine, Sitz Berlin“.

München-Gladbach als Aktionszentrum der christlichen Gewerkschaften“ verfocht ein doppeltes Prinzip: einerseits das Prinzip der „K o n-fessionalitä t“, die religiös-sittliche Bildung als Sache ausschließlich katholischer Arbeitervereine; anderseits das Prinzip der „I n t e r k o n f e s s i o n a 1 i t ä t“, das berufs-wirlschaftliche Interesse als Sache christlicher Gewerkschaften. Bewußt wurde von der in Kirchenlehre und Kirchengeschichte angelegten Erkenntnis ausgegangen, daß der Christ in der Welt — Bürger zweier Türme sei. Er sei unbedingter Hörer der Kirche in religiös-sittlichen, bedingter jedoch in politisch-wirtschaftlichen Fragen! Errichte doch im weltimmanenten Geviert die Kirche nur eine Hürde vor dem Abgrund, nicht aber eine Behausung! In der Tat, in Politik und Wirtschaft ist der Christ in der Welt allein Bauherr, Hausherr, Christ aus erster Hand, mündig und selbstverantwortlich.

Völlig dagegen die andere Seite: der „Sitz Berlin“, die „Sitz-Berliner“, die „Katholisch-Integralen“, die einsilbigen Christen. Sie lehrten und tätigten nur eine Einbahnstraße des Glaubens. Sowohl in der Methode wie in der Organisation. Die Kirche möge und müsse führen auch in der Wirtschaft, in der Politik. Die kirchlich und konfessionell gelenkten „katholischen Arbeitervereine“ allein seien berechtigt, schließlich befähigt, neben der seelisch-geistigen Wohlfahrt auch die materielle ihrer Mitglieder zu besorgen. Fahne dieser extremen Sozialtheologie wurde der Ausspruch des Trierer Bischofs Michael F. Korum: „Auch wenn die Gewek-schaften nur katholische Mitglieder hätten, die Leitung aber einem Arbeiter zuwiesen, müßten wir sie bekämpfen. Alles kommt darauf an, daß die Geistlichen die katholischen Arbeiter in der Hand behalten.“

Der Kampf beider Richtungen, ein Gegensatz zweier Auffassungen von der Königswürde und

Königsaufgabe des Christen in der Welt, der ebenda kein „Laie“, sondern weltlicher Statthalter Christi ist, schien am Anfang unglücklich für München-Gladbach und damit für die christlichen Gewerkschaften auszugehen. Verwiesen doch mit entsprechenden Belegen die „Integralen“ auf die praktisch-seelsorgerlichen Gefahren interkonfessioneller Gewerkschaften, ihrer gelegentlich überbetonten Trennung von Wirtschaft und Moral, ihrer mit „Links“ vereinbarten Streike, welche auf dem Wege nach Brot die Broterzeugung für alle zu hindern drohten und so fort. Was Wunder, daß die deutschen Bischöfe in ihrem ,,Fuldaer Pastorale“ vom 23. August 1900 die von München-Gladbach befürwortete Teilung der Aufgaben zwischen katholischen Arbeitervereinen und christlichen Gewerkschaften ablehnten. Die Bischöfe wünschten, daß im Sinne der „Integralen“ die katholischen Arbeitervereine sich nach Berufen gliedern und selbst auch die materiellen Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen sollten.

München-Gladbach mit den christlichen Gewerkschaften widerstand! Nach wie vor unterstrichen sie die Notwendigkeit praeter-kirchen-rechtlicher Interessen- und Standesorganisationen der Katholiken. Versuche daraufhin, den Männern von München-Gladbach das Reden und Schreiben zu verbieten, scheiterten. Am Ende siegten auch die Männer von München-Gladbach, die Anführer der christlichen Gewerkschaften. Waren sie doch schon zwei Monate nach dem „Fuldaer Pastorale“ vom Freiburger Erzbischof Thomas Nörber ermutigt worden, „in der bisherigen Weise ruhig fortzuarbeiten“. Und zehn Jahre später, am 14. Dezember 1910, revidierten schließlich im Anschluß an Nörber fast alle Bischöfe in Fulda das Pastorale vom 25. August 1900 mit dem Ergebnis: Der katholische Arbeiter möge weiterhin in seiner Interessenorganisation, in der christlichen Gewerkschaft, daneben aber auch in einem kirchlich geführten katholischen Arbeiterverein tätig, mithin doppelt organisiert sein! Es setzte sich der Grundsatz in der Folgezeit durch, daß eine katholische Arbeiterbewegung durch Mitarbeit ihrer Mitglieder in den Gewerkschaften, auch in interkonfessionellen, ergänzt werden müsse. ,,Seelsorge“ da, „Mehlsorge“ dort, um ein Wort Dr. Seipels zu gebrauchen.

Das war auch der Standpunkt der Enzyklika Singulari quadem Pius' X. vom 24. September 1912. Gewiß, sie lobte im ersten Teil die „Berliner Richtung“. Sie anerkannte aber auch im zweiten Teil München-Gladbach, die „interkonfessionellen Gewerkschaften', und dies auf Grund ihrer Notwendigkeit im religionsgemischten Deutschland, auch auf Grund der Befürwortung eines gewichtigen Teiles des deutschen Episkopats. Entschärfte sich ab nun der Gewerkschaftsstreit, endete er endgültig erst 1920 mit der Selbstauflösung der Berliner Zentrale.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung