6602089-1953_46_01.jpg
Digital In Arbeit

Dr. Karl Gruber

Werbung
Werbung
Werbung

Der Herr Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, Herr Dr. Karl Gruber, ist amtsmüde geworden. Er wird demnächst aus seinem Amte scheiden. Nicht ganz unerwartet und in gewissem Sinne verständlich. Wenn man durch acht Jahre dem gesetzten Ziel nicht näherkommt, kann man verdrießlich werden und sich eine Veränderung wünschen. Die auswärtigen Angelegenheiten unseres Landes sind ein steiniger Acker, auf dem Lorbeer schlecht gedeiht. Der Entschluß des Herrn Ministers ist also begreiflich, nicht ganz verständlich sind jeioch die ungewöhnlichen Umstände, die er für den Abschied von seiner Ministerschaft gewählt hat. Er ging hin und schrieb ein Buch. Seinen Abgang verknüpfte er mit der Veröffentlichung seiner Memoiren. Die Erfahrungen und Wahrnehmungen, die ein Minister in seinem Wirkungskreise macht, sind nicht sein freies Privateigentum und nicht seiner beliebigen Verfügung anheimgegeben.

In geregelteren Zeiten als in den heutigen war es Brauch, Aufzeichnungen von Staatsmännern nach ihrem Rücktritt vom Amte sogar über ihren Tod hinaus unter Archivsperre zu legen, in der Absicht, damit einer objektiven Wahrheitsfindung und Geschichtsschreibung zu dienen. Aber Dr. Karl Gruber nahm für sich das Recht in Anspruch, Erinnerungen aus seiner Amtszeit, die einer unmittelbar bis an die Gegenwart heranreichenden Vergangenheit angehören, zu veröffentlichen — er tat es, wie er dem Wiener Vertreter der „Salzburger Nachrichten“ erklärte, aus maßgeblichen Gründen. Als erstes Motiv führt er die Notwendigkeit an, „verschiedenen falschen Darstellungen über die Nachkriegsentwicklung Oesterreichs entgegenzutreten“. Verwundert nimmt der schlichte Staatsbürger zur Kenntnis, daß nach dieser Aeußerung des Herrn Bundesministers der ganze, in seinem Bereich gelegene, für unser kleines Land sehr respektable Apparat zur Orientierung der Umwelt über die „Nachkriegsentwicklung Oesterreichs und zur Widerlegung falscher Darstellungen“ — der amtliche Pressedienst, das Netz der an die wichtigsten Auslandsposten verteilten Presseattaches, ausgesuchter Fachleute zur Orientierung der Oeffentlichkeit ihres Sektors, der bedeutende Organismus unseres Konsulatsund Botschafterwesens und selbst des Ministers eigene ausgezeichnete Beredsamkeit auf seinen zahllosen Auslandsfahrten und seine gewonnenen Beziehungen zum Ausland — so wenig Verwendung fand, daß zur Beseitigung der Informationslücken der Welt über Oesterreich eine private literarische Bemühung des Herrn Ministers notwendig erschien. Ein amtliches Weißbuch, ein übliches Hilfsmittel der Staatskanzleien in solchen Fällen, hätte zwar eine autoritativere Stellung gehabt. Aber Dr. Gruber sagt etwas anzüglich gegenüber den Diplomaten, mit denen er zu tun hat: „Die Diplomaten lesen von solchen Weißbüchern und amtlichen Darstellungen in der Regel nur ein paar Seiten.“

Der Herr Minister gibt einen zweiten maßgeblichen Grund für seinen Entschluß an, als Erzähler aus seinem Amte vor die Oeffentlichkeit zu treten: Da die neueste Entwicklung drohe, das Oesterreichproblem wieder auf die lange Bank zu schieben, habe sich die Notwendigkeit ergeben, „gerade im jetzigen Augenblick etwas zu tun, um das Interesse der Weltöffentlichkeit an Oesterreich lebendig zu erhalten“. Zu dieser Aufgabe ist er als beeideter Bundesminister zweifellos berufen, und für die großzügigste Erfüllung dieser Pflicht stand bisher an seiner Seite eine beamtete Körperschaft von hohem geistigem Rang, bei uns wie in allen Staaten Zerebralgehäuse für das Denken und Sorgen um die in der Umwelt zu sichernden Lebensbedürfnisse des Staates. Aber Dr. Karl Gruber versprach sich Besseres und Wirksameres, um Oesterreich vor dem Vergessenwerden zu bewahren, er schrieb Memoiren und veröffentlichte sie. Die Oeifentlichkeit ist über diese Privatarbeit zunächst durch mehrere Vorabdrucke in einem Wiener Blatt orientiert worden, deren Redaktion ohne Zweifel die ihr charakteristisch erscheinenden Absätze ausgewählt hat. Die Debatte, ob das Blatt mit der zur Sensation gestalteten Veröffentlichung recht gehandelt hat oder nicht, führt auf ein Nebengeleise. Die zu beantwortende Frage ist aber: Welcher wichtige Inhalt bildet die Rechtfertigung für die Veröffentlichung eines Ministers über Vorgänge aus seinem Dienstbereich? Diese Aufzeichnungen sind ein wunderliches Gemisch von netten Plaudereien, mehr oder weniger harmlosen Situationsschilderungen, kleinen Erlebnissen aus den Dienstfahrten eines vielgereisten Ministers und nicht selten über die Grenzen diplomatischer Delikatesse geratenen Bemerkungen. Dazwischen findet sich eine ausfällige Geschichte gegen verdienstvolle Parteifreunde, deren Nachbar in der Regierung der Verfasser war. Leider ist diese Passage der Veröffentlichung Doktor Grubers trotz ihrer Häßlichkeit oder wegen ihrer Häßlichkeit die bemerkenswerteste seiner Publikation. An ihr wird die Persönlichkeit des Autors selbst für die Oeffentlichkeit zu einem Rätsel. Was kann den Verfasser bewogen haben, fragt man, einer bekannten Episode aus dem Jahre 1947 eine Einkleidung zu geben, die eine schwere, unverdiente Verunglimpfung des Altkanzlers Figl darstellen muß? An einen damaligen Abgeordneten der Volkspartei war ein kommunistisches Anbot herangetragen worden, das für parteipolitische Konzessionen die Freilassung der zehntausende in Rußland befindlichen österreichischen Kriegsgefangenen versprach. Nationalratspräsident Dr. Hurdes sagte letzten Samstag auf der Landstraße auf einer Bezirkstagung der Volkspartei unter stürmischem Beifall der Versammlung: „Um die Befreiung der unglücklichen Landsleute herbeizuführen, wäre damals bald ein jeder bereit gewesen, mit Tod und Teufel zu verhandeln!“ Kanzler Figl, der 1947 von den Verhandlungen erfuhr und sich rasch überzeugte, daß es bei dem Anbot nicht um das Schicksal der Kriegsgefangenen, sondern um ein kommunistisches parteipolitisches Manöver ging, ließ die Verhandlungen abbrechen.

Vergeblich stellt man die Frage, warum Dr. Gruber dieses längst erledigte und seiner Zeit öffentlich, auch im Parlament besprochene Zwischenspiel aus der vielbewegten, mit mannigfachen Erwartungen und Enttäuschungen beladenen Nachkriegsgeschichte in romantischer Verbrämung aufs neue ins Rampenlicht gestellt hat. Er beging damit ein persönliches Unrecht gegen den Kanzler, an dessen Seite er damals diente, und der jetzt in der bescheidenen Zurückgezogenheit seiner Bauernbundkanzlei zwar nicht mehr die Macht eines Ministers, aber die Hochachtung hunderttausender Oesterreicher besitzt, die sich in ihm und mit ihm gekränkt fühlen. Man kann dem Herrn Bundesminister Dr. Gruber leider auch den Vorhalt nicht ersparen, daß er mit seinem Verstoß das Ansehen der Partei geschädigt hat, der er immer wiederum seine Berufung verdankte, und nicht zuletzt auch das Ansehen des Staates, in dem er eine der höchsten Würden erhielt.

Und er selbst: Welchen Gewinn zieht er' aus diesem Arrangement, das leider mit Literatur wenig zu tun hat? Das gemachte Aufsehen, das den Minister in die Mitte einer peinlichen Affäre stellt, ist ein fataler Ertrag, zumal wenn er seinen Abschied vom Amte begleitet. Man denkt an Dr. Karl Grubers Verdienste, die Schwierigkeit der Probleme, deren Bewältigung sein emsiges Bemühen in der Zweiten Republik auch zwischen Fehlschlagen gehörte, man denkt an seine großen Begabungen und manche sympathischen Züge seiner Persönlichkeit. Er geht leer aus. In seinem Wesen wohnt etwas Unberechenbares, das zeitweilig in sein Schicksal einzubrechen scheint wie ein jäher Wirbelsturm. Dieser überromantische Zug, ein ins Blut geschossenes Geltungsbedürfnis trieb den Partisanenführer aus dem zweiten Weltkrieg zum Abenteuerlichen. Es läßt einen zweiten Karl Gruber aus ihm hervortreten, der sich selbst seines in seiner nächsten Umgebung geübten „Atombombenwerfens“ rühmt.

Es tut einem leid um den anderen Karl Gruber, der ein wirklicher Staatsmann hätte werden können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung