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Heikle Geschichte, geßlhrliche Gegenwctrt

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Ein historisches Datum und der Umgang damit schafft Mißstimmung zwischen Deutschland und Frankreich - mit Folgen für Europa.

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Ein historisches Datum und der Umgang damit schafft Mißstimmung zwischen Deutschland und Frankreich - mit Folgen für Europa.

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Zur Zeit wird in Paris folgende Geschichte kolportiert: Präsi-I dent Mitterrand soll sich privat so geäußert haben: „Wo sollen wir denn hin mit den Deutschen, wenn wir sie am 6. Juni nach Omaha Beach einladen? Etwa in Bunker?"

Und dieser Mann soll der gleiche sein wie jener, der mit Bundeskanzler Kohl Hand in Hand im September 1984 nach Verdun ging, um den Ersten Weltkrieg endgültig zu begraben? Selbstverständlich ist diese Geschichte nicht ganz ernst zu nehmen, aber sie gibt dennoch die unausgesprochene Einstellung der Franzosen wider, nämlich: Deutsche sind hier fehl am Platz.

Der D-Day ist Sache der Franzosen und der Alliierten. Bedenkt man zudem, daß deutsche Medien noch immer von „Invasion" sprechen, wenn sie an den 6. Juni 1944 denken, wird die Sache noch etwas heikler. „Warum sollten wir nicht auch noch Adolf Hitler einladen, wenn er noch am Leben wäre?" meinte sogar kürzlich der Abgeordnete Robert Andrė Vivien im französischen Fernsehen. Helmut Kohl, der ja sicherlich nichts mit einem Nationalsozialisten gemein hat, weiß hoffentlich nichts von alledem ... Diese deutsch-französischen Mißstimmungen sind jedoch nicht jedermanns Geschmack; der Bürgermeister von Caen in der Normandie hat vorgeschlagen, den Kanzler für das Treffen am Abend des 6. Juni einzuladen, „zu einem gemeinsamen Fest, das die Rivalität transzendieren würde". Doch zu solch weitreichenden Gesten ist Jean-Marie Girault nicht autorisiert, ohne Mitterrands Zustimmung kann er bestenfalls den deutschen Botschafter, Jürgen Sudhoff, einladen, und das wird er auch tun.

Aber eigentlich ist die Sache für fast jeden klar -in Wirklichkeit geht es hier um die Zukunft Europas und um die Zukunft des ältesten „Liebespaares" Europas: Deutschland und Frankreich. Ihr Heiratsvertrag stammt aus dem Jahre 1958 und in 36 Jahren können bei einem Paar viele Unstimmigkeiten entstehen. Historische Brüche wie in den Jahren von 1989 bis 1990 sind jedoch etwas Schlimmeres.

Aus französischer Sicht ist das wiedervereinigte Deutschland so etwas wie eine lange vergessene Gefahr, die ein neues Gewicht bekam. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bonn und Paris über die Erweiterung der EU und Neueintritte in die NATO sovvde Bonns egoistische Mönetärpolitik in Sachen Wiedervereinigung haben der schönen Liebesgeschichte ein Ende gemacht. Übrig bleibt ein altes Paar, dessen Tage gezählt sind. Gott sei Dank sind keine neuen Liebhaber in Sicht. All das wird natürlich von deutscher Seite geleugnet und Außenminister Klaus Kinkel kam sogar am 24. März nach Paris, um zu beweisen, daß kein Wort vom Ende dieser Liebesgeschichte wahr ist. „Ich bestreite, daß es zwischen Bonn und Paris wichtige Auseinandersetzungen gegeben hat", meinte er in einem Interview in der französischen Zeitung „Le Monde".

Aber vieles ist endgültig passe: das Problem der Sicherheit gegenüber der Sowjetunion existiert nicht mehr, die Berliner Mauer ist gefallen. Realistisch gesehen sind alle Allianzen aus der Zeit des Kalten Krieges überholt. Beide Partner haben heute mehr Freiheit und mehr Unabhängigkeit, jeder kann und muß neue Interessen verfolgen und neue Partner suchen. Deshalb ist der Zug Maastrichts aus den Schienen geraten, deshalb ist das deutschfranzösische Paar nicht mehr so verliebt wie in den ersten Tagen.

Viele sind der Meinung, daß heutzutage meinsame Interessen zwisehen Bonn und London bestehen. Die Deutschen stehen den Engländern näher als den Franzosen, wenn es um die EU-Erweiterung oder um den NATO-Eintritt geht.

Was die Franzosen anbelangt, stehen die meisten einer Erweiterung der EU positiv gegenüber, weil das Europa gegenüber den Vereinigten Staaten stärkt. Auch neue Kandidaten wie Schweden, Finnland und Österreich werden von den Franzosen begrüßt.

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