6790946-1970_37_08.jpg
Digital In Arbeit

Keine marxistischen Pfadfinder

Werbung
Werbung
Werbung

Die unmittelbar bevorstehende Aullösung der tschechischen und slowakischen Madfinderbewegung, die hier „Junak“ genannt wird, gibt den Blick frei auf ein bisher kaum beachtetes Teilproblem der wieder radikal konservativ gewordenen Tschechoslowakei: das der Jugendorganisationen. Nun gibt es Probleme mit der Jugend in fast jedem Land der Welt; Im Ostblock und in der Tschechoslowakei sind sie natürlich anders gelagert als im Westen.

Schon in der späten Novotny-Zeit hatte man erkannt, daß die Anfang der fünfziger Jahre schematisch und simpel konstruierte kommunistische Einheitsjugend, der „Ceskosloven-sky svaz mlädeze“ (CSM), den man nach dem Verbot aller anderen Jugendorganisationen geschaffen hatte, auf die Dauer untragbar und unhaltbar sei. In ihm waren die Schulkinder ebenso mitgliedsmäßig eingeschachtelt wie die Hochschüler, die Lehrlinge wie die Mittelschüler und die Landjugend. Es kam zwar selten zu Demonstrationen der Jugend — übrigens auch meist aus völlig nichtigen Ursachen, die große Studentendemonstration mit einer Reihe von Verletzten, weil es im Studentenheim immer wieder zu Stromausfällen gekommen war, was verständlicherweise dem Lernbetrieb nicht gerade zuträglich war. Bedrohlicher als dies war das bald nicht mehr übersehbare Desinteresse an dieser Form der Jugendorganisation. So entschloß man sich noch vor dem „Prager Frühling“ dazu, „Jugendklubs“ zuzulassen.

Im Frühjahr 1968 kam es dann nicht so sehr — wie viele behaupteten — zu einem Zerfall des kommunistischen Einheits-Jugendverbandes; er hörte ganz einfach zu bestehen auf, nachdem er eigentlich schon einige Zeit nur noch am Papier bestanden hatte. Und es kam zu einem Wiederaufblühen früherer Jugendorganisationen, ganz ähnlich wie vorübergehend auch auf dem Sektor der politischen Parteien. In den meisten Fällen gab übrigens auch das zuständige Innenministerium das „Plazet“ für diese Neu- oder Wiederbegründung von Jugendorganisationen. Neben den schon bestehenden „Jugendklubs“, von denen es bald 500 gab, schuf sich die Volkspartei einen „Klub der Jungen Generation“. Die 1948 verbotene Scout-Or-ganisation „Junak“ wurde nicht nur reaktiviert, sondern sehr bald die beliebteste Jugendorganisation des Landes. Die „Pioniere“ waren für die Schulkinder bis zum 15. Lebensjahr zuständig und betonten sehr bald ihren Willen zur Selbstständigkeit, und eine eigene Gruppe „Ju-vena“ wurde Kristallisationspunkt der Landjugend, deren Bestreben es vor allem war, mit Landjugendorganisationen anderer Länder Kontakte aufzunehmen. Eine eigene Gruppe entstand für Lehrlinge und Mittelschüler und natürlich auch für Hochschüler, die bis dahin keine eigene Organisation haben durften. Gerade sie hatten in der Folge den dornigsten Weg zu gehen.

Diese Entwicklung des Jahres 1968 war natürlich für die Sowjets ein Dorn im Auge und hier wieder vor allem für die „Komsomolskaja

Prawda“, die mit Kritik nicht sparte. Vor allem warf sie der Zeitschrift „Student“, die auch Parteien und Organisationen mit einem „nichtsozialistischen Programm“ gefordert hatte, vor, ihre Verantwortlichen seien „grüne Jünglinge“ mit „politischer Infantüität“.

In der Tschechoslowakei bemühte man sich schließlich — um ein Wort des damaligen Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Slowakei, Dr. Stefan Faltan, zu gebrauchen —, für diese neuen Jugendorganisationen ein „Integrationszentrum“ zu schaffen. Der alte Zentralismus auf dem Gebiet der Jugendorganisationen, erklärte Faltan noch im Mai 1969 im Organ der slowakischen Jugend „Smena“, sei sicher nicht gesund gewesen, die inzwischen eingetretene Desintegration allein garantiere auf der anderen Seite ebenfalls keine gesunde Entwicklung. Aber bereits im Herbst 1969 mußte der Pfadfinderverband erklären, er gedenke nicht, die bisherige politische Erziehung durch westliche Einflüsse aufs Spiel zu setzen und werde sich nicht der weltweiten Pfadfinderbewegung anschließen. Wörtlich erklärte der Führer der slowakischen Pfadfinder, Ivan Jancek, eine Zusammenarbeit sei nicht möglich, „da unsere ideologische Erziehung der Kinder und Jugendlichen im Geiste des Marxismus-Leninismus der gegenwärtigen Ideologie des Weltverbandes der Pfadfinder diametral entgegensteht“.

All das hat das nunmehrige Ende der tschechischen und slowakischen Pfadfinderorganisation verzögern, aber nicht verhindern können. Bald wird also der alte Einheits-Jugendverband restauriert sein — und mit ihm vermutlich das alte Desinteresse.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung