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Haben die Jugendorganisationen eine Zukunft?
Wer sich heute mit Jugendarbeit befaßt und diesen „Erziehungsbereich“ bereits in den ersten Nachkriegsjahren bis zum Beginn der sechziger Jahre miterlebt hat, stellt sich zwangsläufig irgendwann einmal die Frage, ob sein Engagement heute noch Sinn hat und wo die vielen jungen Menschen hingekommen sind, die noch vor knapp zwei Jahrzehnten hinter den Fahnen der politischen, kirchlichen und anderer Jugendorganisationen einhermarschiert sind. „Katholische Jugend“, „Rote Falken“ und „Pfadfinder“, um nur einige zu nennen, wetteiferten damals in dem Bestreben, bei den verschiedenen staatlichen, kirchlichen oder rein lokalen Anlässen das Ortsbild zu beherrschen und mit einer Vielfalt von Aktivitäten die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen.
Wir Erwachsene unterstellen der Jugend gerne, sie trete heute in der Öffentlichkeit - über ideologische Schranken hinweg - durch Aufmärsche und Demonstrationen gegen das „Establishment“, also gegen uns selbst, unsere Ideen und unser Verhalten in Erscheinung. Diese tatsächlich feststellbare Auflehnung junger Menschen gegen die Konsumgesellschaft wird - wie mir scheint - in zwei verschiedenen Richtungen verstanden.
Die eine wirft der Jugend Disziplin-
losigkeit vor und spricht von „Versagern auf allen Linien“, die erst einmal Notzeiten erleben müßten, um zu sich selbst zu finden. Diese negative Beurteilung der Reaktion eines Teiles der Jugend auf ein materialistisches Weltbild ist kein Zeichen unserer Zeit. Schon unsere Großväter wurden von der älteren Generation ähnlich beurteilt.
Die andere Richtung unter den Erwachsenen versucht - vielleicht aus schlechtem Gewissen heraus, vielleicht auch um ein gutes Geschäft zu machen -, die Aufbegehrenden bei der Ausführung unüberlegter Aktionen, die sie mit der Gesellschaft schließlich in Konflikt bringen müssen, zu bestärken. Auch diese Reaktion scheint mir nicht neu zü seinrLetztlich lebte doch jede Revolution der vergangenn 200 Jahre von Geschäftemacherei mit jugendlichen Idealvorstellungen.
Hingegen erblicke ich eine neue Entwicklung im natürlichen Spannungsfeld „Jugend - Establishment“ darin, daß die Wohlstandsgesellschaft häufig mit dem - mißverstandenen -Schlagwort von einer „freien und demokratischen Erziehung“, hausieren geht, in Wirklichkeit aber die Erziehungsaufgaben zugunsten materieller Wohlfahrt grob vernachlässigt, womit sie, zumindest in den Augen des
kritikfähigen Teiles der Jugend, unglaubwürdig wird.
Wenn wir unsere gegenwärtige Einstellung gegenüber der Jugend und ihren Problemen selbstkritisch betrachten, sollte uns auch klar werden, warum der Zulauf zu den in erster Li-.nie auf Bildung und Erziehung ausgerichteten Jugendorganisationen im allgemeinen stark abgenommen hat. Jede Jugendorganisation braucht leitende Hände, die sich der Bedeutung ihrer Aufgabe bewußt sind. Nur der Funktionär oder Führer wird in den Augen junger Menschen, die - Gott sei Dank - noch an Ideale glauben können, glaubhaft erscheinen und ihre Achtung gewinnen, der für sie Zeit hat und bereit ist, für andere Opfer auf sich zu nehmen. Ihm wird es auch heute noch gelingen, Jugendliche zu begeistern und dahin zu bringen, daß sich ihre Kritik zum Nutzen und nicht zum Schaden der Gesellschaft auswirkt.
Zugegeben, als „alter Pfadfinder“ voreingenommen, darf ich auf die noch oder wieder steigenden Mitgliedszahlen dieser unpolitischen und überkonfessionellen Jugendorganisation verweisen und in Erinnerung bringen, wieviele Burschen und Mädchen auch heute bereit sind, ihre Freizeit für Erdbebenopfer in Friaul, die Arbeit mit behinderten Kindern, das Reinhalten von Wäldern und ähnliche, der Allgemeinheit nützende Aktionen zu opfern.
Sollte ich Unrecht mit der Behauptung haben, daß sich der Einsatz lohnt und gerade die nicht ausschließlich auf materielle oder politische Ziele ausgerichteten Jugendorganisationen in einer Zeit, in der sich die Demokratie durch ideologische Verhetzung und Terror gefährdet sieht, eine echte Aufgabe hätten?
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