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Lachen und Weinen

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Leoni am Starnberger See ist ein kleiner Ort. Weder in Knaurs Weltatlas noch auf Freytag & Berndts Handkarten ist er zu finden. Und doch ist dieser kleine Ort nicht ohne Bedeutung. Es ist der Sitz des Druffel-Verlags, in dem bis jetzt Bücher von Ilse Heß (der Gattin von Rudolf Heß), Annelies von Ribbentrop (der Witwe Ribbentrops, die dessen Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen aus seinem Nachlaß herausgegeben hat), das Buch Alkmar v. Hoves „Achtung Fallschirmjäger“ mit dem Untertitel „Eine Idee bricht sich Bahn“ und einem Geleitwort des Fallschirmjäger-Generalobersten Student u. a. erschienen sind. Das neueste Buch — und bisherige Standardwerk — dieses ungeistig-geistigen Zentrums heißt „Lächle ... und verbirg die Tränen“.

Worum es geht, wird erklärend darunter gesagt: Es sind „Erlebnisse und Bemerkungen eines deutschen .Kriegsverbrechers' “ — selbstverständlich in Anführungszeichen. Der Buchumschlag zeigt eine rote Gefängniszellenwand, durch die ein Gitterfenster weißes Licht einläßt; mit dem schwarz gedruckten Titel ist automatisch die Farbenkombination Schwarzweißrot erreicht. Der Autor des Buches ist Dr. Julius Lippert, der in der Kampfzeit der NSDAP Chefredakteur des Goebbelsschen „Angriff“ und nach der Machtergreifung Oberbürgermeister von Berlin gewesen ist. Während des Krieges war er Feldkommandant von Arlon im besetzten Belgien; diese Tätigkeit brachte ihm sieben Jahre in belgischen Gefängnissen ein. Seit 1952 ist er auf freiem Fuße; das Ergebnis dieser Freiheit ist das vorliegende Memoirenbuch.

Lipperts Ressentiment wird nach berühmten Mustern durch die Verkündung eines neuen Europa getarnt, wie er es meint: „ ,So schön, wie Europa jetzt arrangiert ist, hätten wir es wohl auch noch hingekriegt', sagte einmal ein wallonischer Zellengenosse zu mir. Ich sah weder eine Veranlassung noch die Möglichkeit, ihm zu widersprechen.“ Aus dem gegenwärtigen Zustand Europas glaubt Lippert für sich und die Seinen das Recht ableiten zu können, Hitlers terroristischen Imperialismus und dessen „Neue Ordnung“ posthum zu verherrlichen. In seinem Buch versucht er die Schrecken des Hitler-Regimes durch angebliche geschichtliche Parallelen zu verharmlosen: schlecht waren nur die anderen, namentlich jene „internationalen Feinde“ der NS-Ordnung, die er auch zuweilen mit Namen nennt.

„Lächle ... und verbirg die Tränen“ — dieser Buchtitel soll keineswegs besagen, daß Lippert in der Haft Tränen über das Schicksal der Millionen dem Hitler-Wahnsinn zum Opfer gefallenen Menschen zu vergießen gelernt habe, die er nun unter dem verlegenen Lächeln eines Mitschuldigen verbergen möchte. Er hat sich auch das Wort des großen deutschen Feldherrn und Staatsmannes Otto von Bismarck nicht zu Herzen genommen, das da lautet: „Nur ein Esel ändert seine Meinung nicht.“ Stur und störrUch ist er weiter bei 1933 stehengeblieben:

„Wie für Millionen meiner Landsleute in aller Welt war mir Hitler nur ein Symbol... Wesentlich an ihm war, daß er begriffen hatte, zu jeder Politik gehöre Macht und ein Staatswesen könne nicht ohne Autorität geleitet werden. Damit symbolisierte sich in ihm die Sehnsucht aller Menschen in Deutschland nach 191S, die nach echter, aus der gegliederten Ordnung eines gemeinsam begriffenen Gefüges unmittelbar gewachsener Autorität strebten... In diesem Sinne begriffen, gab es Anhänger Hitlers, nicht etwa nur in unserem Vaterlande ... Die Welt war wider amorphe und parasitäre, bislang unangreifbar scheinende internationalistische Gruppen in Bewegung geraten und in diesem Weltkampf war Hitler nur Bannerträger unter vielen anderen. Daß ihm schließlich eine Art Vorrang und Vormachtstellung zufiel, lag in geographischer Lage und biologischer Kraft, in Tradition, Geschichte und psychologischer Verfassung Deutschlands und nicht zuletzt seiner führenden Schichten begründet. .. Lieber diesen Mann, der in den Augen seiner Gegner heute einfach als ein „Verbrecher“ gilt, zu diskutieren, halte ich für ebenso zwecklos, wie einen Streit über die historische Größe etwa eines Dschingis Khan, Napoleon, Julius Cäsar oder Bismarck .. Kein redlicher und vernünftiger Beurteiler wird leugnen können, daß wir — seine Anhänger und Gefolgsleute — einer Persönlichkeit gegenübergestanden haben, wie sie nur selten die Bühne der Weltgeschichte betritt.“

Der Vergleich mit Dschingis Khan scheint akzeptabel. Nur daß dessen Großmongolisches Reich immerhin 600 Jahre floriert hatte, was man von Hitlers Gründung nicht sagen kann. Aller Jammer über die weiß Gott nicht erfreuliche Welt von heute darf uns nicht vergessen lassen, Gott zu danken, daß die tausend Jahre wesentlich abgekürzt worden sind. Und Lipperts Verdienst ist es, durch sein lächelndes Buch an ihren Todeshauch zu erinnern, dem wir vor einem Jahrzehnt entkommen sind.

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