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Neue Blüte

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Wer heutzutage auf einem Straßenschild in Wien, Krems oder Horn den Namen „Piaristen-gasse“ liest, dem verbindet sich vielleicht damit <iie Vorstellung, daß in diesen Städten der Schulorden der Piaristen seine Wirksamkeit entfaltet. Er weiß vielleicht auch, wenn er in der Geschichte genügend bewandert oder mit dem Piaristenorden näher in Berührung ist, daß der Name von der lateinischen Bezeichnung für „Fromme Schulen“ kommt, die der spanische Priester Josef Calasanz, der vor -400 Jahren am 11. September 1556 geboren wurde, im Jahre 1597 zu Rom gründete. Vielleicht hat er auch schon gehört, daß Josef Calasanz der Pionier der unentgeltlichen Volksschule ist und seine Schulen in der ganzen, Welt segensreiche Verbreitung gefunden haben. Hat jemand selbst bei den Piaristen studiert oder etwa sein Kind in einer Piaristenschule, so werden ihm die derzeit existierenden Häuser in Wien und Niederösterreich bekannt sein. Niemand aber dürfte einen richtigen Begriff davon haben, welche ungeheure Rolle dieser Orden, der heute in Oesterreich mit seinen 26 Mitgliedern kaum bemerkt wird, durch seine Schultätigkeit in den vergangenen Zeiten der österreichischen Monarchie gespielt hat. Eine historische Würdigung dieses großen, umspannenden Werkes des hl. Josef Calasanz in der Vergangenheit Oesterreichs mag ein gerechtfertigter Beitrag zur Feier seines 400. Geburtstages sein, der heuer begangen wird.

Die ersten Sendlinge, die der hl. Josef Calasanz selbst noch ausschickte, legten den Grundstein zur Tätigkeit im ehemaligen Oesterreich durch die Errichtung eines Piaristenkollegiums in Nikolsburg im Jahre 1631. Dieses älteste Haus auf deutschem Boden hat seine Tradition bis in die neueste Zeit erhalten und fiel erst den Maßnahmen der tschechischen Volksdemokratie zum Opfer. Der verstorbene Bundespräsident Dr. Karl Renner war noch ein Schüler des Piaristengymnasiums in Nikolsburg. Durch die Gründung weiterer Häuser in Strasznitz, Leipnik, Leitomischl (Böhmen) sowie Warschau und Podolin (Polen) konnte bereits 1646 eine Provinz in Mitteleuropa gebildet werden, die den Namen Provincia Germania trug.

Achtzig Jahre später ist die Entwicklung trotz der Türkenkriege und des spanischen Erbfolgekrieges bereits sprunghaft weitergegangen. 1724 finden wir in der germanischen Provinz bereits 16 Häuser, von denen 13 in Böhmen, zwei im heutigen Oesterreich (Horn und Wien-Josefstadt) und eines im heutigen Deutschland (Radstadt) lagen. Aber nicht genug damit. Es hatte sich mittlerweile eine polnische Provinz mit 20 Niederlassungen gebildet, von denen fünf zu österreichischem Gebiet gehörten, dazu eine eigene ungarische Provinz, die bereits zwölf Kollegien umfaßte. Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts wirkten die Piaristen im damaligen Oesterreich somit an 32 Orten mit 440 Ordensmitgliedern.

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erlangte der Orden seine höchste Blüte. Die germanische Provinz war bereits so angewachsen, daß sie geteilt werden mußte. 1748 entstand zunächst eine eigene böhmische Provinz und eine österreichische Vizeprovinz, die 1751 selbständig wurde. Da auch diese beiden Provinzen noch zu umfangreich waren, wurden von der böhmischen die in Deutschland gelegenen Häuser Radstadt, Kirchberg und Kirn an der Nahe, von der österreichischen die bayrischen Kollegien Günsburg, Kempten, Wallerstefn und Donaueschingen sowie die beiden Schweizer Niederlassungen in Brieg und Rapperswil 1762 zu einer rheinisch-schwäbischen Vizeprovinz vereinigt, die durch Hinzurritt eines Kollegiums in Trier 1776 Selbständigkeit erlangte, aber später in den Napoleonischen Kriegen zerschlagen wurde. Durch die Aufhebung des Jesuitenordens (1773) übernahmen die Piaristen viele Gymnasien derselben und wurden so zum tonangebenden Schulorden im alten Oesterreich. Eine Statistik aus dem Jahre 1784 weist nicht weniger als 76 Niederlassungen im Bereich der Habsburger-Monarchie aus, von denen 24 in Böhmen, 31 in Ungarn, drei in Oesterreichisch-Polen und vier in Kroatien, eine in Italien und 13 im Gebiet des heutigen Oesterreich lagen.

Die Oesterreichische Provinz mit ihren 20 Niederlassungen lag unter den sechs nordischen Provinzen, zu denen außer Oesterreich noch Böhmen, Ungarn, Polen, Litauen und die Rh“;n:sch-Schwäbische Provinz zählten, an vierter Stelle. In Wien waren die Piaristen an neun

Plätzen tätig: in der Josef Stadt an der Pfarre Maria-Treu, am Piaristengymnasium und der Volksschule sowie am Löwenburgischen Adels-konvikt; auf der Wieden in St. Thekla an der Volksschule; in der Ungargasse auf der Landstraße; im Kollegium in der Singerstraße im ersten Bezirk, wo sich auch ein Konvikt befand, entstand 1760 die erste Handelsschule, in der bereits moderne Buchhaltung gelehrt wurde; das Theresianum und die Savoyische Ritterakademie standen unter Leitung der Piaristen, und 1802 übernahmen sie auch das Akademische Gymnasium.

Weitere Piaristenschulen gab es in Horn, dem ältesten Kollegium auf österreichischem Boden im heutigen Sinne (gegründet 1657), in Krems, in G^az, wo ein Waisenhaus bestand, im 20 km entfernten Gleisdorf, wo heute noch Kirche und Kloster das Ordenswappen tragen, in Freistadt (Oberösterreich), in Wiener Neustadt, in Görz sowie in Marburg, March, Karlstadt und Belo-var (Kroatien).

Nicht weniger als acht dieser Niederlassungen (darunter auch Graz) fielen den Klosteraufhebungen Josefs II. zum Opfer. Die kleinen Lahdstädtchen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder aufgegeben, das Akademische Gymnasium wurde verstaatlicht. So kam es, daß 1870 die österreichische Provinz nur noch sieben Häuser mit insgesamt 100 Mitgliedern zählte,“ und zwar außer den Kollegien Maria-Treu, St. Thekla und dem Löwenburgischen Konvikt in Wien noch Horn, Krems, Freistadt und Wiener Neustadt, während in Böhmen noch 24 und in Ungarn 29 Kollegien bestanden. Durch die Gymnasialreform von 1871 geriet das Werk des hl. Josef Calasanz fast zur Gänze in Verfall. Die Gymnasien in Wien, Horn und Krems gingen verloren, Freistadt und Wiener Neustadt mußten aufgegeben werden. So erreichte die ehemals blühende Provinz ihren heutigen Stand von fünf Häusern und ist damit unter den 17 Provinzen des Piaristenordens mit seinen 2333 Mitgliedern eine der kleinsten.

Sie hat aber eines vor den übrigen zentraleuropäischen Provinzen voraus, die nach dem ersten Weltkrieg zum Teil neu gebildet wurden, wie die slowakische oder die rumänische: sie kann als einzige in Freiheit arbeiten. Während alle 32 Häuser hinter dem Eisernen Vorhang, die einst zu Oesterreich-Ungarn gehörten, enteignet sind, mit Ausnahme von Budapest, Kecz-kemet und Krakau, wo noch Schule gehalten werden darf, während die Piaristen in diesen Gebieten, sofern sie nicht interniert sind, sich mit Laierrarbeit oder Pfarraushilfe beschäftigen müssen, ist der Geist des hl. Josef Calasanz in Oesterreich, wo er schon fast erloschen schien, v/ieder lebendig wirksam. Zwar ist der Rahmen bescheiden und die Kräfte unzureichend, aber langsam wird das Werk des „Patrons aller christlichen Schulen auf dem Erdkreis“, zu dem der hl. Josef Calasanz von Pius XII. erhoben wurde, auch in Oesterreich wieder aufgebaut. In Maria-Treu und St. Thekla bestehen wieder Volksschulen und Halbinternate mit regem Zu-sptuch, in Krems und Horn sind wieder Kon-vikte in Betrieb, seit 1939 ist neben der altehrwürdigen Pfarre in der Josefstadt auch eine in St. Thekla errichtet, und in den Piaristen-gymnasien in Wien, Krems und Horn, deren Eigentümer immer noch der Orden ist, wenn sie auch staatlich geführt werden, sind Pia-ristenpatres wenigstens als Religionsprofessoren tätig.

Ein Schulorden ist mehr als jeder andere der Gunst und Ungunst der Zeitverhältnisse unterworfen. Dies beweist die Geschichte des Piaristenordens schon seit Lebzeiten des hl. Josef Calasanz, der die Unterdrückung seines Instituts mit eigenen Augen mitansehen mußte. Dies beweist auch die Geschichte des Ordens in Oesterreich. Aber weil das Werk des hl. Josef Calasanz trotz schwerster Krisen sich doch wieder neu entfaltet hat, ist auch zu hoffen, daß jener Zweig der weltumspannenden Institution der „Frommen Schulen“, der in Oesterreichs Vergangenheit so stark und reich gediehen war, nach den mannigfachen Stürmen, die ihn fast total entlaubt haben, wieder frische Blüte und Frucht für die Zukunft ansetze.

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