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Eliten aus der „Semperstraße”

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Wenn man bisher in Oesterreich vom Ordenswesen sprach, so meinte man jene jahrhundert-, ja jahrtausendalten Niederlassungen der Chorherren des heiligen Augustinus, der Benediktiner, der Zisterzienser usw., die ihren wesentlichen Anteil pn der Entfaltung der christlichen Religion und der abendländischen Lebensform in unserem Vaterlande hatten, zuweilen sogar die Hauptkulturträger waren. Später kamen dazu noch die Gründungen der Franziskaner, der Dominikaner und in neuerer Zeit vor allem die der Jesuiten. Bei aller Bedeutung, die den älteren Ordensformen zukommt, soll dabei aber das Aufkommen und Wirken neuerer Ordensgemeinschaften nicht übersehen werden, vor allem jener, die bei uns in jüngster Zeit auf dem Gebiet der Jugenderziehung in den Vordergrund getreten sind. Es sind dies insbesondere die Piaristen, die Schulbrüder, die Marianisten, um hier nur die männlichen religiösen Genossenschaften zu erwähnen.

Auf den französischen Revolutionssturm, der fast alle älteren Orden verschlang, folgte ein wahrer Ordensfrühling zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zu vielen Neugründungen, die dem durch die Verfolgung aufgelockerten Geistesacker entsproßten, gehört auch die Gesellschaft Mariä oder der Marienbrüder. Ihr Stifter war Wilhelm Josef C h a m i n a d e, der Priesterheld von Bordeaux.

Im ganzen zählt die Gesellschaft Mariä heute 3000 Mitglieder, 11 Provinzen, 160 Niederlassungen, mehr als 70.000 Schüler. Einige der Anstalten gehören zu den bedeutendsten ihrer Länder, wie das Kolleg Del Pilar in Madrid mit mehr als 2000 Studenten, das Kolleg Santa Maria in Rom mit 1200 Schülern, in Paris das Institut Sainte-Maria mit mehr als 1000 Schülern, das, Kolleg Morgenstern in Tokio mit 1500 Studenten, in Honolulu das St.-Louis-College mit 1100 Studenten.

In das deutsche Sprachgebiet wurde die Gesellschaft Mariä durch den großen Bischof von Mainz, Emanuel von Ketteier (1852), eingeführt. Der gute Ruf, den die Söhne des Paters Chami- nades in kurzer Zeit an den Ufern des Rheins errangen, war Ursache, daß der damalige Fürstbischof von Seckau, Graf von A 11 e m s, sie auch an die Mur berief. Der 40. Gründungstag der Gesellschaft Mariä, der 2. Oktober 1857, wurde zum Beginn ihrer Wirksamkeit in unseren Landen. An diesem Tag, dem Schutzengelfest, zogen vier aus Frankreich kommende Marianisten in die Grabenstraße in Graz ein, um dort im Aufträge der kirchlichen Behörde die Leitung eines Waisenhauses zu übernehmen.

Durch fast drei Jahrzehnte führte die neue Ordensfamilie in der Steiermark ein verborgenes Dasein. Erst ein Menschenalter später, nachdem sie sich in ihrer neuen Umwelt verwurzelt hatten, begann eine schnelle Ausweitung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts siedelte die Gesellschaft Mariä nach Wiqn über. Der damals entstehende katholische Schulverein rief sie zur Mitarbeit. So wurde sie Mitgründerin und Mitleiterin einer Anstalt, die in der folgenden Zeit zu einem der bedeutendsten katholischen Schulunternehmen heranwachsen sollte. Es handelte ‘sich um das Lehrerseminar in Wien-Währing, Semperstraße 5, dessen eigentliches Haupt zunächst der Gründer des Schulvereines, Doktor Kaspar Schwarz, war. Aus diesem wichtigen Bildungszentrum, das unter Hofrat Gieße seinen Höhepunkt erreichte, gingen bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges mehr als e i n- tausend Lehrer hervor.

Die Provinz war in vollem Aufschwung, stand vor wichtiger Planung, als der Ausbruch des ersten Weltkrieges die rasche Aufwärtsentwicklung iäh unterbrach. Aber trotz schwerer Blut- und Geldopfer erholte sich die österreichische Ordenspfovinz verhältnismäßig schnell. Bald brach eine zweite Blüte an. Im Jahre 1938, also 80 Jahre nach dem Einzug in Oesterreich, erfreute sich die Gesellschaft Mariä eines ganz beachtlichen Bestandes. Da kam der zweite Zusammenbruch.

Doch auch er konnte das Wiedererstehen und das Neuaufblühen der marianischen Ordensfamilie nur aufhalten, nicht unterbinden. Durch weise Beschränkung auf das Wesentliche und das für die Zukunft Bedeutungsvolle war es möglich, nach dem Krieg eine Anzahl der wichtigsten Werke wieder zu neuem Leben zu erwecken. Das Schwergewicht wurde auf jene Unternehmungen gelegt, die für die allgemeine Volkserziehung am einflußreichsten sind, hauptsächlich auf die Lehrerbildung. Ein anderer Leitgedanke bei dieser Neuausrichtung war das Aufgeben bedeutender Randposten und die Sammlung und Verstärkung in den Brennpunkten des heutigen Lebens, also in den Großstädten. So leitet die Gesellschaft Mariä heute wieder zwei Lehrerbildungsanstalten mit Internaten (Wien, Linz), Im ganzen führt also die österreichische Ordensprovinz der Gesellschaft Mariä heute zwei Lehrerbildungsanstalten mit Internaten, ein Lehrerkonvikt, ein Realgymnasium mit Internat, vier Volksschulen, zwei Hauptschulen mit Internaten, fünf allgemeine Schülerheime, ‘zwei Landesseelsorgestationen. Einer ihrer Priester, Pater Doktor Leopold Prohaska, leitet in Salzburg das Institut für vergleichende Erziehungswissenschaft und ist zu gleicher Zeit Dozent an der dortigen theologischen philosophischen Fakultät für Pädagogik und Katechetik. Im ganzen betreut heute die Gesellschaft Mariä an die 2000 Schüler in Oesterreich, darunter fast tausend Heimzöglinge. Diese günstige Entwicklung nach einem fast völligen Zusammenbruch läßt die Marianisten in neuer Hoffnung und neuer Tatkraft in das 2. Jahrhundert ihrer Wirksamkeit in Oesterreich hineinschreiten.

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