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Sorgen mit den Sudeten

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Prag macht außerordentliche Anstrengungen, die einst von Deutschen besiedelten Grenzgebiete in Böhmen und Mähren zu besiedeln und endlich einen wirtschaftlichen Anschluß der Grenzbezirke an die im Landesinneren zu erreichen.

Erst kürzlich wurden durch einen Regierungsbeschluß 17 Erlässe, Weisungen und Instruktionen, die das Grenzgebiet betreffen, zusammengefaßt, und die von der.Regierungskom/-, mission für Fragen des Grenzgebietes erlassenen Durchführungsbestimmungen zeigen — -auck wenn man nur einige dieser Maßnahmen herausgreif —, welche Anstrengungen der Gesamtstaat für seine Grenzgebiete machen muß, aber auch, welch günstige Möglichkeiten man Siedlern bietet.

So erhalten Siedler, die einer landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaft, also einer Kolchose, beitreten, Haus und Wirtschaftsgebäude, landwirtschaftlichen Boden in einem Ausmaß von 13 Hektar zur Einbringung als Mitgliedsanteil an die Kolchose, eine Kuh und anderes. Für das durch den Staat instand gesetzte Haus sind 800 bis 2000 Kc (entspricht wertmäßig 800 bis 2000 Schilling!), und das noch dazu in Raten, innerhalb von fünfzehn Jahren zu zahlen. Die Kuh wird kostenlos beigegeben, darf nur nicht innerhalb von fünf Jahren verkauft werden. Siedler erhalten ferner Möbel bis zu einem Wert von 7000 Kc, junge „Eheleute“, die innerhalb von zwei Jahren nach der Eheschließung ins Grenzgebiet ziehen, wird ein wesentlicher Teil der Rückzahlung des Ehestandsdarlehens (bis zu 7000 Kc!) gestrichen. Darüber hinaus werden zeitlich beschränkte Mittel für die Ernährung der Familie in den ersten Monaten. Zuschüsse anläßlich des Berufswechsels, Reisekosten u. a. gezahlt.

Die Höhe des Betrages, der vom Ehestandsdarlehen gestrichen werden kann, zeigt vor allem deutlich die lächerlich geringe Summe, die

Neusiedler im Grenzgebiet für ein instand gesetztes Haus zahlen müssen, eine Summe, die nur dem durchschnittlichen Monatseinkommen eines tschechischen Arbeiters entspricht und nicht einmal den Betrag erreichen dürfte, den die Iastandsetzungsarbeiten dem Staat kosten, so daß das Haus und die Wirtschaftsgebäude praktisch verschenkt werden.

Die Erfolge all dieser Maßnahmen sind dürf-.-tfgundKlagen über die,Si*uatioa,im.Grenz-gebiet nehmen nicht ab: am 1. Juli 1959 lebten im Grenzgebiet 2,629.000 Einwohner, das sind 69,6 Prozent der Bevölkerung des Jahres 1939. Entsprechend der Entwicklung der Nachkriegszeit wurden die Grenzgebiete in drei Kategorien geteilt, noch immer befinden sich in der (schlechtesten) dritten die Bezirke Kaplitz, Prachatitz, Winterberg, Tachau, Bischofteinitz. Asch, Theusing, Podersam, Senftenberg und Römerstadt.

Gewiß kann man darauf verweisen, daß seit 1954 10.000 Häuser im Grenzgebiet für die in diesem Zeitraum eingewanderten 28.000 landwirtschaftlichen Arbeiter instand gesetzt wurden; man mußte aber gleichzeitig feststeilen, daß 50 Prozent aller Kaufläden und Gasthäuser im Grenzgebiet keineswegs mehr den modernen Bedingungen entsprechen, und mußte für deren

Renovierung aus Staatsmitteln weitere 30 Millionen Kc freigeben.

Trotzdem weisen die „Zemedelske Noviny“ darauf hin, daß der Mangel an Landarbeitern im Grenzgebiet katastrophal sei und daß etwa auf einen Arbeiter einer Kolchose im Bezirk Karlsbad im Durchschnitt 9 bis 10 Hektar Ackerboden käme. Von den für diesen Bezirk benötigten 900 Landarbeitern konnten nur 505 Siedler angeworben werden, gleichzeitig aber verließen 262 Landwirte den Bezirk, also mehr als die Hälfte der neugeworbenen Siedler.

In den höher gelegenen Gebieten verbleibt die Aufforstung die einzige Möglichkeit. In den Grenzgebieten ist das Ausmaß des landwirtschaftlich genutzten Bodens zwischen 23 und 30 Prozent, das des Ackerbodens in den einzelnen Bezirken zwischen 30 und 40 Prozent zurückgegangen.

AH diese Maßnahmen helfen nicht recht weiter. Es mangelt vor allem an Menschen. Das Organ des Verteidigungsministeriums, die „Obrana Lidu“, kritisiert zum Beispiel heftig, daß alljährlich einige Dutzend Grenzsoldaten im Bezirk Asch einheimische Mädchen heiraten, daß sich aber trotzdem die Einwohnerzahl des Bezirkes nicht erhöhe, ganz im Gegenteil sinke, weil sie, größtenteils sofort nach der Hochzeit, wieder abwandern. Und die kulturpolitische Wochenschrift „Tvorba“ zeichnet die Verhältnisse im Grenzgebiet noch düsterer: „Der Entwicklungsprozeß, den unsere Grenzgebiete tatsächlich schon seit der Befreiung mitmachen, ist keineswegs einfach ... Die Siedler sind aus allen Winkeln der Republik in diese Gebiete gekommen, wobei sie aber nicht einmal alle zur glei-oeherr! Zeit? gekommen sind, denn von den ersten Siedlern ist in der Regel nur ein Teil dort geblieben, und der Rest befindet sich in dauernder Fluktuation. Dieser Zustand dauert in manchen Gebieten bis heute an.“ Und sehr bezeichnend wird fortgesetzt: „ ... aber auch auf anderen Gebieten treten Schwierigkeiten auf, deren Überwindung keineswegs einfach ist. Vor allem deshalb, weil sich manche Leute nicht wohl fühlen und verschiedenen Launen und Einflüssen unterliegen ... manche Siedler richten sich ihr Leben im Grenzgebiet nur als Provisorium ein ... die Häuser sind nicht hergerichtet, und wenn Investitionen gemacht werden, dann sind es in der Regel bewegliche Dinge, die gekauft werden... dabei handelt es sich nicht um lauter Personen, die gern hamstern oder die man als verloren betrachten muß, sondern um ehrliche Leute, die ein wenig eingeschüchtert sind und nicht ganz klar sehen. Sie denken nämlich etwa folgendermaßen: ,Wer weiß, wie es hier nach einer gewissen Zeit aussehen wird und was hier noch alles passieren kann!'.“ Und nicht minder resigniert erklärt das KP-Zentralorgan „Rüde prävo“: „Wenn nämlich jemand in einen fremden Ort übersiedelt, dauert es eine Weile, bis er sich eingewöhnt hat. Und wenn er sich am neuen Ort — sei es auch ein schönes Haus — allein fühlt wie ein Baum in der Wüste, dann kapituliert er vor den Anfangsschwierigkeiten viel leichter und geht wieder fort...“

In den Grenzgebieten hat man mit der Errichtung von Kokhosen die ersten stürmischen Erfolge erzielt. Das war verständlich, denn gerade hier hatte man ja am systematischsten Eigentum zerstört und vernichtet. Die Bauern im Innern Böhmens und Mährens hingen viel mehr an ihrer Scholle, die oft durch lange Generationen im Besitz der Familie war. Im - Grenz£eMf“erlebt“ rrtfn“* aber aucITäie'''' schmerzlichsten Mißerfolge.

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