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So nah - und doch so fern

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Abseits von Autostraßen und Fremdenverkehr liegt Prekmurje, das Uebermurgebiet, selbst den nächsten Nachbarn unbekannt! Es ist ein Ländchen eigener Art, im Wahren Sinn des Wortes ein Ländchen für , sich, Verbindungsland, Schwelle und Toreingang, der aus dem Bergland der Zentralalpen in die große ungarische Tiefebene hinüberleitet.

Eine primitive jugoslawische Landkarte hat mir beiläufig den Weg gewiesen. Cankova, Gerlinci, Fiksinci, Kramarovci, Ocinje steht da zu lesen. Gemeint sind die einst deutschen Ortschaften Kaltenbrunn, Jörgelsdorf, Füchselsdorf, Sinnersdorf und Guizenhof. Weit hinten im Süden und Westen ragen die Burgen Ober-radkersburg und Riegersburg, Kapfenstein und Gleichenberg als Wehr der grünen Mark, an denen sich so oft der feindliche Ansturm brach, nachdem, e,rjas Uebam.urge.biel überrannt hatte.. Immer wieder kehrte der Bauer zur verwüsteten Scholle zurück und trotzte allen Gewalten. Das machte diesen Menschenschlag zäh und hart.

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie fiel das Uebermurgebiet, das vordem zur ungarischen Reichshälfte gehört hatte, an Jugoslawien. Die Nordwestecke des Landes war deutschsprachig besiedelt. Drei Gemeinden: Füchselsdorf, Sinnersdorf und Guizenhof, waren rein deutschsprachig. Sie grenzen unmittelbar an das geschlossene deutsche Sprachgebiet Oesterreichs,

Der Norden des Uebermurgebietes ist von mehreren Hügelketten durchzogen; die heutige Grenze verläuft in einem der Täler zwischen ihnen. Es wäre ein leichtes, gewesen, sie durch die benachbarte Talfurche zu ziehen und damit den größten Teil des damals noch deutschsprachigen Gebietes an Oesterreich fallen zu lassen.

Wie im Abstaller Feld, wurde auch hier zur Zeit der Friedensverhandlungen von den Gemeindeausschüssen im Namen der reindeutschen Dörfer eine Erklärung für den Anschluß an Oesterreich unterzeichnet. Aber Belgrad legte das so aus, als ob die Unterzeichner die einzigen in der Gemeinde wären, die für Oesterreich stimmten, die anderen aber dagegen seien. Im übrigen wurden die Gemeindeausschüsse verhaftet und jede weitere Aktion erstickt. So wurden diese Dörfer vom geschlossenen deutschen Sprachgebiet abgetrennt. Aber die dortigen Bauern verzweifelten nicht. Sie blieben ihrer stillen Heimat treu. Fremdherrschaft war schon durch Jahrhunderte ihr Los. Ungebrochen haben sie es getragen, mutig und treu bis 1945 ...

In der Nacht zum 6. Juli 1945 wurden sie aus den Betten geholt, wie Vieh zusammengetrieben und in ein Hungerlager gepfercht. Im Oktober durften sie wieder nach Hause. Aber auf den sauberen Höfen ihrer blühenden Dörfer saßen bereits die neuen Besitzer. Arbeit wurde ihnen verwehrt. Im folgenden Winter wurden sie wieder in Viehwaggons verladen. Die Fahrt sollte nach Sibirien gehen. Aber schon in Ungarn blieb der Zug stecken. t Nach langem Hin und Her ging es dann nach Oedenburg. Dort wurden die Heimatvertriebenen auswaggoniert und nach Oesterreich gejagt.

Die meisten von ihnen ließen sich im Grenzgebiet ihrer verlorenen Heimat nieder. In den Dörfern zwischen den Klöcher Weinbergen und der Dreistaatengrenze, wo lieblich das weißgetünchte Bergkirchlein St. Anna am Aigen ins Uebermurländchen hinüberblickt und Dutzende von Kirchen und Kapellen seinen Gruß erwidern.

„Wir können von der Grenze aus unseren Hof sehen“, sagen Franz Lang und Frau, Bauersleute aus dem alten Uebermurgebiet, nur wenige Kilometer jenseits der heutigen Staatsgrenze. „Es tut weh, wenn man zusehen muß, wie dort alles verkommt; aber trotzdem vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von der verlorenen Heimat reden oder hinüberschauen. An unserem Haus wurde noch kein einziger Dachziegel getauscht. Der Mann, der es bewohnt, hat keine Ahnung von der Landwirtschaft.“

Hier, in den steirischen Grenzdörfern Waltra, St. Anna, Plesch und Jamm, leben und arbeiten sie. hjeute_,die~Au&gesiedelten... des Uebermurgebietes. Still und zuversichtlich, aber immer mit dem trauerumflorten Blick auf das Verlorene, immer mit dem Blick in die alte Heimat, auf die Scholle, die ihnen gehörte, die ihre Ahnen urbar gemacht haben. Und schauerlich wirkt das Wort „Grenze“ hier, wo alles grenzenlos ist. Frei wandern Raub- oder Huftier und Vogel und Wurm dahin. Die Menschen des Uebermurländchens aber müssen stehenbleiben, kaum tausend Meter entfernt von dem, was ihnen noch gestern tröstliche Heimat war.

Da liegt Sinnersdorf, weit abgerückt von Straße und münzbarem Weg. Der Ort ist wie ausgestorben. Aus den 44 Häusern, die Sinnersdorf 1945 hatte, wurden 42 Familien vertrieben. Ein Besitzer, der bleiben durfte, wurde später verschleppt, so daß praktisch nur eine einzige Wirtschaft ihrem Eigentümer verblieb.

Die Häuser sind verlottert, ihr Verputz bröckelt ab, und auch die Aecker sind schlecht bestellt. Die neuen Besitzer haben keine Bindung an den Boden, nur Wohnung statt Heimat. Sie sind verstädtert, in ihrer Haushaltung, in ihrem Gehaben. Es gibt Höfe in Sinnersdorf, die schon vier- und fünfmal den neuen Besitzer wechselten, während die rechtmäßigen Eigentümer nie von der ererbten Scholle wichen, stolz und eifernd auf ihren Besitz, und lieber den zermürbenden Kleinkampf feindlicher Kanzleien und hadernder Staaten auf sich nahmen, als ihre Erstgeburt verkauften.

Die Dörfer im Nordwesten Prekmurjes sind heute zu einer „Komuna“ zusammengeschlossen, die ihren Sitz in Cankova hat, das einst Kaltenbrunn hieß. Hier regieren der „Komesar“ und sein „Tainik“, ein Aufpasser, der darauf achtet, daß auch kein einziger Weinstock übersehen wird, für welchen jährlich fünf Dinar Tribut zu zahlen sind. Für einen Fuhrwagen sind im Jahr 2500 Dinar zu entrichten, für eine Kuh 900 Dinar, für ein Pferd 1500 Dinar. Wer der Kommunistischen Partei nicht angehört, wird höher besteuert, wie auch jeder Arbeiter, der nicht Parteimitglied ist, höhere Abgaben leisten muß.

Die hier noch vor zwölf Jahren als Bauern durch die Schollen schritten und stumm die Körner auf den Heimatgrund streuten, sind heute in der neuen Heimat nicht mehr Wirte eigenen Landes. Was ihnen geblieben, ist allein der eiserne Fleiß, der stählerne Arbeitswille und — das Heimweh nach dem Land der Väter.

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