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Streit um Nyerere

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Die päpstliche Enzyklika Popülo-rum Progressio hat einige grundlegende Aussagen zu den Problemen der Entwicklungsländer getroffen. In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, auch manche Anschauungen über Politiker der Entwicklungsländer neu zu überdenken. In der Schweizer Zeitschrift „Orientierung“ fanden wir einen Kommentar über den katholischen Präsidenten der Republik Tansinien. Julius Nyerere, der in letzter Zeit vielfach im Kreuzfeuer auch katholischer Kritik gestanden ist. Der Beitrag, den wir hier auszugsweise wiedergeben, eröffnet aus der Sicht eines Kenners Afrikas und dir afghanischen Mission manche neue Betrachtungsweise für die Aktionen afrikanischer

Von Anfang an galt Julius Nyerere von Tanganjika als einer der prominentesten Führer Afrikas. Jedermann wußte auch, daß der erste Ministerpräsident von Tangar-njika katholisch war. Zwar stimmt es nicht, wie oft gesagt wird, daß er von der Mission erzogen worden sei. Er besuchte die Primär- und Mittelschule der Regierung und empfing erst nach der Reifeprüfung die Taufe. Er und seine Frau kommen bis heute regelmäßig zur Kirche, und recht häufig sieht man ihn wie andere Sünder beim Beichtstuhl anstehen und zur heiligen Kommunion gehen.

Und doch ist es manchem seit einiger Zeit nicht mehr wohl, wenn man von J. Nyerere spricht. Auf politischem und wirtschaftlichem Boden scheint er mehr und mehr unter Druck Rotchinas zu handeln.

Wer vom Katholiken Nyerere erwartet, daß er die Mission im Sinne unserer staatskirchlichen Tradition in besonderer Weise fördere, daß er sich für seine politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen von Missionaren oder Bischöfen beraten lasse, mußte tnttäuscht erkennen, daß dies nicht der Fall ist. Wer indes im Sinne der Enzyklika Johannes' XXIII., Mater et Magistra, und der Konzilsdokumente denkt, stellt fest, daß Nyerere von Anfang an seine Aufgabe als christlicher Staatsmann „in den Missionen“, das heißt in einei ausgesprochen pluralistischen Welt im Sinn und Geist dieser Richtlinien verstand.

Ob die neueste Verstaatlichungsaktion politisch und wirtschaftlicl als klug zu betrachten ist, könner wir nicht beurteilen. Wir wollen nicht abklären, ob Nyereres Konzeption vom afrikanischen Sozialismus realistisch, idealistisch oder utopisch ist. Wir wollen nur festhalten, daß solche Entscheide und Konzeptionen mit Religion nichts zu tun haben und niemanden zur Behauptung berechtigen, Nyerere sei als Katholik abzuschreiben.

Über Nyereres Politik der Nicht-verpflichtung im West-Ost-Konflikt wäre vieles zu sagen und in seinen Reden vieles nachzulesen. Im Grunde geht es ihm darum, die politische Unabhängigkeit emst zu nehmen.

Ein sehr heikler Punkt ist die Stellung Nyereres in der gesamtafrikanischen Befreiungsbewegung. Für ihn sind die Zustände in Mosambik, Angola, Rhodesien und Südafrika eine Schmach für jeden freien Afrikaner. Noch bis 1965 hoffte er, daß die westlichen Länder., die er wiederholt und eindringlich darum bat, sich für die Lösung der Probleme im südlichen Dreieck Afrikas einsetzten. Seit er diese Hoffnung aufgeben mußte, geht er mit unerbittlicher Konsequenz seinen Weg, arbeitet auf Gewaltlösungen hin, hat wegen Rhodesien die diplomatischen Beziehungen mit England abgebrochen und dadurch sehr schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile in Kauf genommen. Er bedauert das, aber die Würde der noch nicht freien Menschen in den genannten Ländern und die Ehre Afrikas gelten ihm mehr als die fetten Brocken vom Tisch der reichen Völker.

Zum Schluß haben wir uns nun noch mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, die hinsichtlich der christlichen Mission, vor allem der Missionsschulen, gegenüber Nyerere erhaben werden.

Im Frühjahr 1960 war der Nationalführer Tanganjikas in Amerika. Dort sagte er in einem Interview, in welchem er zwar die Verdienste der Missionsschulen voll anerkannte, aus: „Die wichtigste Aufgabe des Landes auf schulischem Gebiet ist die vermehrte Unterstützung der Mohammedanerschulen, die stark im Rückstand sind“ Es kam damals vielen Leuten eigenartig vor, daß er als Christ die Mohammedaner dermaßen zu fördern gedenke.

Aber als Staatsmann hat er nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, für alle zu sorgen, „Vater des Volkes“ zu sein — ganz abgesehen davon, daß er im Interesse der Einheit alles tun mußte, um den starken mohammedanischen Block sich günstig zu stimmen.

Präsident Nyerere hat nicht bloß die Mohammedaner schulisch gefördert, sondern auch das eng abgegrenzte konfessionelle Schulwesen in Tanisaniiien systematisch gelockert.

Der Staatspräsident betonte immer wieder, daß in einem jungen Staat alle Keime der Spaltung nach Möglichkeit ausgerottet werden müßten; ferner, daß die Schule in erster Linie Dienst am Volk und nur sekundär Mittel zur Ausbreitung des Glaubens sein solle.

Es ging bei diesen Ausführungen nicht darum, Nyerere um jeden Preis rechtfertigen oder gar vorzeitig heiligsprechen zu wollen. Nyerere hat uns traditionell denkende Christen wiederholt schockiert. Es war ein heilsamer Schock! Ein Laie, als tüchtiger und mutiger Denker und Christ, hat in weitem Maße beigetragen, die Kirche von Tansanien konzilsgemäß zu machen!

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