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Tragisches Ende

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Vor einem außerordentlichen Volksgerichtshof ist am 10. Dezember 1946 in Prag der Prozeß gegen jene fünfzehn Abgeordneten eröffnet worden, die als Vertreter des sudetendeutschen Nationalsozialismus dem früheren Parlament der Tschechoslowakischen Republik angehört hatten. Der bedeutendste Mann unter ihnen war' Hans Krebs. Er war einer der vier Gründer der 1910 in den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei gegründeten „DVuüchen Arbeiterpartei“, die 1919 den Namen „Deutsche nationalsozialistische Arbeiterpartei“ annahm und die Hitler in mancher Hinsicht als Vorbild seiner Parteigründung benützt hat. Der Prozeß endete mit der Verurteilung der Angeklagten, und auch Hans Krebs wurde am 15. Februar 1947 hingerichtet. Vielleicht den Höhepunkt des Prozesses hatte die Rede gebildet, die Krebs am 16. Jänner um 1 Uhr früh vor seinen tschechischen Richtern hielt. Der Redner und seine Rede verdienen die Beachtung der Zeitgenossen. Anders als der jämmerliche Durchschnitt der vor Gericht gesteiften nationalsozialistischen Führer bewies Krebs eine gewisse Größe. Er, der sein ganzes Leben in dem so leicht vergifteten Kleinkrieg der Sprachgrenze verbracht hatte, hielt seine Rede nicht in seiner Muttersprache, sondern in der seiner Richter: er sprach tschechisch und er sprach aus der nicht immer leicht verständlichen Psychologie des Deutschböhmen, in dessen Seele die Liebe zur böhmischen Heimat mit den aufgestachelten Gefühlen des Nationalismus und des Machtkampfes in Widerstreit lag.

„Dies ist die letzte Rede, die ich, ein ehemaliger deutscher Abgeordneter, vor der tschediischen Öffentlichkeit halte. Wir stehen heute als Angeklagte vor euch und ihr seid unsere Richter. Mit dieser Zeit endet ein ganzes Jahrtausend gemeinsamer, schwerer, aber großer Geschichte.“

So begann Krebs seine Rede. Mit einer Erinnerung an die historische Schicksalsgemeinschaft, die nun endgültig zu Ende ist. Er fuhr fort:

„Nun wird das tschechische Volk in seinem Staate allein leben, der nicht mehr bloß dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit ein Nationalstaat geworder. ist. Denn drei Millionen Deutsche wurden zur Aussiedlung bestimmt. Dies ist die größte Ausweisung seit der Zeit der Völkerwanderung, vielleicht die größte in der Weltgeschichte. Fast ein Drittel der Bewohner Böhmens, Mährens und,Sdile-siens verläßt seine uralte Heimat oder hat sie schon “erlassen. In ihr bleiben zurück das Heim dei Familie, ihr ganzes Eigentum, ihre Vergangnnheit, ihre Toten. In ihr bleibt zurück die Arbeit von Millionen Menschen, die Mühen und Opfer vieler Jahrhunderte. Und nimmermehr werden sie in diese Länder zurückkehren. Wer nidn selbst dieses Ereignis erlebt hat, kann die moralische und seelisdie Last, die wir jetzt tragen, kaum ermessen. Ich glaube, daß, jetzt oder später, das tschechische Volk sie erkennen und anerkennen wird. Sein schönes Lied ,Kdc domov muj' hat so häufig auch unsere Seele gerührt, das Lied, das ihr immer mit solcher Ergriffenheit gesungen habt, sagt mir, daß ihr mit uns fühlen werdet das Lied: ,Wo ist mein Heim?'... Ach, das ist das wunderschöne Böhmsrland, die Heimat - mein.“

Ein tiefes Gefühl hat den Redner, zu diesem Bekenntnis veranlaßt. Er fuhr fort:

„Auch ich habe dieses Land geliebt. Ich, dessen Geschlecht in diesem Lande bis zum Jahre 1558 nachweisbar ist.“

Trotz der jahrhundertelangen Symbiose führte die Unversöhnlichkeit der Nationalitätenkämpfe zu dem tragischen Ende. Dem Bekenntnis seiner Liebe zur Heimat der Väter fügte Krebs nun ein offenes politisches Bekenntnis hinzu:

„Idi darf sagen, daß “wir für unser Volk im besten Glauben gekämpft haben. Wir wurden betrogen. Den guten Glauben aber dürft ihr uns deshalb nicht absprechen. Immer habe ich daran geglaubt, daß Tschechen und Deutsche einen gemeinsamen Staat wie die Schweiz begründen können, jeder in seinem Kanton mit seiner Selbstverwaltung. Es ist anders geworden, die Geschichte hat anders entschieden. Ihr werdet nun keinen Nationalitätenkampf mehr im Lande haben. Ich aber, der ich immer wünschte, daß die von uns gebradnen großen Opfer nicht ohne Nutzen bleiben sollten, spreche jetzt, da die Verwirklidiung eines versöhnlichen Zusammenlebens im gemeinsamen Staate nicht gelungen ist, den Wunsch aus, es mögen die Opfer, die wir bringen und die ihr Tschechen gebracht habt, als letzte Frucht eine gute Nachbarschaft des deutschen und des tschechischen Staates erbringen. Denn wir werden wieder Nachbarn sein!“

Noch einmal erhob der Angeklagte seine Stimme zu einem Appell, der unmittelbar an das Gericht, mittelbar an das tschechische Volk gerichtet war:

„Wenn Ihr meint, daß es zur Erfüllung eurer Gesetze und für den Frieden und die Zukunft notwendig ist, dann verurteilt mich! Verurteilt mich aber für das, was ich wirklich getan habe und nicht für Dinge, die ich weder tat noch tun wollte. Der Herr Generalprokurator hat seine Rede mit dem Satze geschlossen: ,Es darf nichts vergessen werden, es darf niemals vergessen werden.' Wir aber rufen zum Abschied aus: Möge die schmerzensreiche Trennung der Deutschen und der Tschechen beiden den Frieden bringen, mögen die Drangsale unsererZeitea endlich aufhören!

Die Opfer, die die Tschechen in so reichem Maße gebradit haben und alle die schweren Opfer, die wir Sudetendeucsche jetzt in so großem Ausmaß bringen müssen, werden dann einen Sinn haben, wenn sie dem höchsten Menschheits i d ea 1 dienen, dem dauernden ehrenhaften Friede n.“

Wer diese Rede liest, kann sich der Ergriffenheit nicht erwehren und spürt doch eine wehmütige Freude, daß ein so leidenschaftlicher Kämpfer, wie Hans Krebs, dessen Politik so oft den Widerspruch herausgefordert hat, angesichts seines Sühnetodes, Irrtum und Schuld mannhaft bekennend, zur Höhe eines Menschentums sich zu erheben vermochte, das den Haß begräbt und das eigene Leben, die Heimat und das Vätererbe als Friedensopfer hingibt.

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