An der Nordsee von Kitzbühel träumen

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Was tun, wenn einem der Sinn nach Wintersport steht, aber nirgendwo Berge sind? Die Lösung heißt Skihalle. Ein winterliches Gemälde aus Noord-Holland.

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Was tun, wenn einem der Sinn nach Wintersport steht, aber nirgendwo Berge sind? Die Lösung heißt Skihalle. Ein winterliches Gemälde aus Noord-Holland.

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Es ist ein Tag wie gemalt. Er beginnt um den Gefrierpunkt, oben blauer Himmel, am Straßenrand gefrorene Pfützen, in denen sich die frühe Sonne spiegelt, und man verspürt also diesen Drang, einen schneebedeckten Abhang herunterzugleiten. Vielleicht umso mehr, weil es hier in Noord-Holland nicht viele solcher Tage gibt. Auch schneebedeckte Abhänge sind dünn gesät, die höchsten Erhebungen dieser Stadt sind Brücken über die Grachten. Kann es also verwundern, dass der Pistenbus durch den West-Hafen fährt, vorbei an Lagerhäusern und Petroleumterminals bis in ein Kaff namens Velsen? Die Haltestelle heißt tatsächlich: Ski-Heuvel. Ski-Hügel. Auf der anderen Straßenseite steht ein Schild. "Amsterdam, 18 Kilometer", weist es in eine Richtung. "Ijmuiden 4 Kilometer" in die andere. Ijmuiden liegt an der Küste, und gleich hinter der Straße verläuft der Nordseekanal. Der Hügel versteckt sich hinter einer braunen Fassade, von wo aus sich ein langgezogenes Gebäude die Böschung zu einer anderen Straße hochzieht. Am Parkplatz steht eine ausrangierte orangene Gondel, ohne Verglasung, dafür mit einem Snowboard links und zwei Paar Ski rechts in der Halterung.

Schneeplanet unter Dach

Die "Nederlandse Skischool" wirbt für Probestunden und Privatunterricht. Ein Plakat an der Wand heißt Wintersportfreunde willkommen bei "Snow Planet, der coolsten Indoorpiste der Niederlande, ganzjährig geöffnet".

Die Alpen beginnen auf Knopfdruck. Jedenfalls kommt einem das so vor, wenn man durch die Tür tritt. Rustikaler Holzboden, wohin das Auge reicht. An der Wand ein verschneites Hochgebirgs-Panorama, davor eine Sessellift-Gondel, in der man sich fotografieren lassen kann. Was die Akustik angeht: die Ziehharmonika kommt unvermittelt, Hüttenzauber am Nordseekanal mit niederländischen Texten und Speedpolka-Beats. Das Wintersport-Geschäft hat jetzt im Januar schon reduzierte Preise und eine ziemlich beeindruckende Auswahl. Hinter dem Stand der Skischule steht, glaubt manʼs denn, ein richtiges Stockerl in der Ecke!

Begeben wir uns zur Akklimatisierung ins Restaurant, wo an einem Freitag Vormittag noch recht wenig los ist. Keine Frage, auch Ambiente geht durch den Magen, und so klingt die gastronomische Auswahl nach Gaudi und Gemütlichkeit. Auf Tafeln wird "Koffie en Apfelstrudel" für 4,95 Euro beworben, wobei man zum Kaffee dann, ganz niederländisch-calvinistisch, an der Kasse noch einen Keks gereicht bekommt.

Was es hier sonst noch gibt? Dem Menü entnimmt man etwa Tiroler Bauernsalat. "Alpine Gerichte laufen prima. Kaasfondue ist populär bei uns", gibt der freundliche Kassierer Auskunft, "und wir haben auch Kaiserschmarren!" Und wie ist das mit Après-Ski?"Dafür haben wir eine eigene Bar. Da kann am Wochenende ganz gut was los sein."

Zur Atmosphäre im Restaurant trägt auch der riesige Flachbildschirm bei, auf dem man die Wetterprognosen in österreichischen Skigebieten verfolgen kann. Bilder von Sesselliften überm Neuschnee lösen einander ab, ach, Sankt Johann im Pongau, Obertauern, Sankt Michael, Destinationen voll sehnsüchtiger Herrlichkeit! Nur der regnerische Himmel der Live-Cam aus Wien stört ein wenig. Auf den Holztischen liegen rot-weiße Plastik-Deckchen. Die Menükarte dagegen ziert ein ganz profaner "Heineken"-Schriftzug.

170 Meter Pistengaude

Das große Spektakel vor Ort verfolgt man durch die Aussichts-Scheibe, die sich die gesamten Breite der Piste entlangzieht. 28 Meter, links ein Schlepplift für Fortgeschrittene, original mit einem schnuckeligen kleinen Lift-Häuschen aus hellem Holz. Rechts der Anfänger-Lift, der nur bis zur Hälfte des Hanges führt. Seitlich davon schließt sich der Idioten-Hügel an, der noch einmal 14 Meter breit ist. Oben an der Decke sieht man helles Wellblech. Ein paar Skifahrer wedeln gekonnt die 170 Meter lange Piste hinunter. An einem Tisch im hinteren Teil des Restaurants sitzt ein Mann in einem blauen Overall. Jan Knijn ist pensioniert und hat viel Zeit, sich seinen Hobbys zu widmen. Im Sommer zeigt er Touristen aus Deutschland oder England die Gegend hier. Im Winter organisiert er Ski-Reisen. Mit einigen Wintersportkollegen vom "Ski-Kreis Alkmaar" nimmt er noch eine Runde warmer Getränke zu sich - nach dem Langlauf-Training. Moment, mein Herr, sagten Sie: Langlauf-Training?

Natürlich hängt einem solchen Ort etwas Absurdes an. Skifahren in der Halle, Hand aufs Herz, wer verdreht beim Lesen nicht erstmal die Augen, oder grinst mitleidig? Und dann nickt Jan Knijn, sagt: "Na klar, Langlauf-Training!" im Brustton der Überzeugung. Er erzählt, dass sein Club Ende Januar zu den Loipen von Toblach aufbricht, Südtirol, nach vier Jahren hintereinander in Ramsau. Und dass die 12 Teilnehmer davor regelmäßig hier trainieren kommen. Nein, es gibt hier keine Loipe. Aber am Anfängerhang lässt sich die Bergauf-Technik vortrefflich üben, versichert Jan Knijn.

Nun aber endlich auf die Piste! Das Erste, was einem, nun ja, drinnen auffällt, ist die Kälte. Fünf Grad unter Null, sagte die Frau an der Rezeption. Im maritimen Klima Nordhollands kommt das nicht oft vor. Das Resultat sind ein paar beeindruckende Eiszapfen, die ganz oben, in luftiger Höhe der Bergstation auf 25 Metern, von der Hallendecke hängen. Und eine bucklige, vereiste Liftspur, die tatsächlich im oberen Teil etwas Konzentration erfordert.

Die Abfahrt ist ein kurzes Vergnügen. Der Hang fällt oben ein wenig steiler aus und flacht dann ab. Durch die schmale Piste macht das Gefälle ein wenig mehr her. Auf halbem Weg locken eine Schanze und Schikanen, und ehe man sich versieht, steht man auch schon wieder am Lift. Ohne Schlange immerhin, wobei es zu Mittag deutlich voller auf der Piste geworden ist. Eine Gruppe Kinder beim Ski-Kurs, eine Frau mittleren Alters hat einen Privat-Lehrer gebucht, der ihr während der Abfahrten Tipps gibt. Volksmusik mit niederländischen Texten klingt auch hier: "Vorbei, es ist vorbei, aber es war eine sehr schöne Zeit."

Draußen in der Umkleide macht sich jetzt Joris Noordenbos bereit. Zwei Mal in der Woche gibt der Oberstufenschüler hier Skiunterricht für alle Altersstufen. Selbst fährt er seit fünf Jahren. Selber gelernt hat er, der ein paar Kilometer von der Nordsee entfernt wohnt, in Österreich, und sein Revier ist das Skigebiet Flachau. "Geweldig"-mit diesem niederländischen Wort beschreibt Jooris Noordenbos, was Skifahren ihm bedeutet. Im Internet fand er eine Möglichkeit, die österreichische Skilehrer- Ausbildung in den Niederlanden zu absolvieren -in Hallen versteht sich. Bizarr findet er seinen Arbeitsplatz nicht. "Natürlich ist Österreich steiler, und es gibt richtigen Schnee. Aber dafür kannst du hier auch im Sommer fahren, ohne auf die andere Seite der Welt zu reisen." Ein wenig klingt der junge Skilehrer wie diese Tafel in der Umkleide, auf der die Nederlandse Skischool für ihre Trainingseinheiten wirbt, Montag morgens und Donnerstag abends. "Wintersport ist soviel mehr als dein Aufenthalt in den Alpen", steht dort.

Und dann erwähnt Joris Noordenbos noch ein interessantes Detail: die Ski-Halle Snow Planet in Velsen-Zuid wurde Mitte Januar vom Konkurrenten Snow World übernommen. Dieser betreibt schon zwei Filialen, im Süden und im Westen der Niederlande. Nun hat man drei von sieben Hallen. Statt 500.000 Wintersportlern im Jahr peilt man in Zukunft 750.000 an. Inklusive der Besucher, die nicht auf der Piste aktiv sind, sollen statt 1,2 knapp zwei Millionen Menschen den Weg ins Indoor-Skigebiet finden. Es könnte sich einiges ändern rund um den Ski-Hügel am Nordseekanal. Schon vor einigen Jahren hatte Snow World Interesse an dem Standort. Die Amsterdamer Tageszeitung Het Parool beschreibt es dieser Tage so: "Geplant war, das Innere der Halle anders zu gestalten und das Gebäude in eine typisch österreichische Wintersport-Atmosphäre zu bringen." Man kann gespannt sein, was darunter noch zu verstehen sein wird.

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