Couchgeflüster der Geschlechter

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In den letzten Jahren zeigt sich ein Boom der Paartherapie: Was erfährt man dort über Rollenbilder und Differenzen zwischen Mann und Frau?

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In den letzten Jahren zeigt sich ein Boom der Paartherapie: Was erfährt man dort über Rollenbilder und Differenzen zwischen Mann und Frau?

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Auf der Couch kann vieles geschehen. Der erste Kuss, aber auch der wöchtentliche Beziehungs-Check beim Paartherapeuten. Die geteilte Couch für Paare ist seit den 1950er-Jahren das Instrument, um ihre Unterschiede zu verhandeln, sie in Einklang zu bringen oder sie zu bekämpfen. "Auch zunehmend junge Paare kommen zu unseren Seminaren, um präventiv etwas zu tun", sagt etwa die Paartherapeutin Elisabeth Gatt-Iro aus Linz, die auf 20 Jahre Erfahrung mit Männern und Frauen in Beziehung zurückblicken kann. Wer sich heute auf das Abenteuer gemeinsames Leben, gemeinsame Kinder einlassen will, schaut möglicherweise vorab, dass er (oder sie -am besten beide) "gut aufgestellt ist beziehungsweise sind".

Eine Bestandsaufnahme, die Gatt-Iro mit dem deutsch-österreichischen Psychologen und Theologen Hans Jellouschek teilt. In seinem Buch "Paartherapie. Damit die Liebe bleibt"(2014) schreibt Jellouschek: "Wir haben [heute] einen viel höheren Qualitätsanspruch in Beziehungsdingen und daran scheitern wir oft." Es ginge, so der Experte für moderne Paare, eben nicht mehr nur um das Aufrechterhalten einer Beziehung, sondern um das "Gute Leben" - gerade dafür fehlen jedoch häufig die Vorbilder.

Wer die Erkenntnisse moderner "Gender Studies" nicht ausklammern möchte, hat zu Beginn eine wichtige Frage zu stellen: Wer kommt überhaupt in die Paartherapie - Mann und Frau, oder doch eher zwei "Menschen"? Verstehen wir die Paartherapie als Ort, an dem sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern quasi exemplarisch abbildet, so lässt sich vielleicht genau dort herausfinden, wie es um unsere Vorstellungen vom eigenen und dem anderen Geschlecht bestellt ist. In Nachfolge von Klassikern wie Wilfried Wiecks "Männer lassen lieben"(1989), John Grays "Männer sind anders. Frauen auch"(1992) oder Cris Evatts "Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus" (2005) gibt es bis heute eine Flut an paartherapeutischer Ratgeberliteratur, die vor allem die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in den Vordergrund stellt. So auch nachzulesen im Buch "Liebeserklärung"(2015) von Stefanie Körber und Stefan Pott. Hier werden nicht nur klassische Rollenbilder wieder ausgepackt; sie werden auch noch ordentlich "aufgefettet". Als hätte es nie eine Frauenbewegung gegeben, heißt es da etwa relativ simpel: "Was moderne Paare wissen müssen ist, dass Frauen und Männer ihren Liebeswert auf unterschiedliche Art und Weise aufbauen, weil sie einen unterschiedlichen Code dafür besitzen. [...] Frauen wollen gefallen, es ist ihr Wesen. [...] Der Code der Männer lautet: Männer wollen imponieren."

Die große Ratlosigkeit

Auch wer bei Paartherapeuten direkt nachfragt, wie sich Männer und Frauen im therapeutischen Setting präsentieren, kommt rasch, so scheint es, ins Fahrwasser der Stereotypen. So sagt etwa der Berliner Paartherapeut Wolfgang Krüger: "Frauen wünschen sich ihre Männer emotionaler, sie sollen mehr reden und mehr zuhören." Außerdem sollen sie sich mehr an Hausarbeit und Kinderbetreuung beteiligen. Männer hingegen kämen zu ihm mit dem Wunsch nach Anerkennung, Ruhe und mehr Sex. Auch Elisabeth Gatt-Iro, die sich zwar prinzipiell gegen stereotype Bilder wehrt, sagt: "Männer sind öfter pragmatisch, das macht sie lösungsorientiert, zielbewusst und umsetzungsorientiert." Und doch ist für beide Therapeuten klar, dass es sich hier bloß um Wahrscheinlichkeiten handelt. "In guten Partnerschaften wechseln sich die Rollen ab, in schlechten sind die Muster eher starr", erklärt Wolfgang Krüger.

Ratgeber, die männliche und weibliche "Codes" postulieren, sind die eine Richtung; der Großteil der Paartherapeuten geht jedoch heute davon aus, dass Männer und Frauen für eine gesunde Entwicklung Anteile des jeweils anderen brauchen. Ein wichtiger Wegbereiter dieser Idee war der Schweizer Psychoanalytiker und Theologe Peter Schellenbaum. Bereits 1984 schrieb er in seinem Buch "Das Nein in der Liebe" (1984) über die sogenannte "Leitbildspiegelung" und empfahl das Aufbrechen fester Rollenmuster durch emotionale Gespräche. Jedoch überstanden nur gute Partnerschaften diese engagierten, nicht selten von starker Wut begleiteten Sitzungen. So begann der US-Psychologe John Gottmann vor etwa 20 Jahren davor zu warnen, die Liebe durch allzu viel Reden kaputt zu machen. "Seither gibt es eine große Ratlosigkeit", konstatiert Krüger, selbst Autor des Buches "So gelingt die Liebe"(2018). Er arbeitet heute hauptsächlich mit Systemveränderungen, um für Mann und Frau eine positive Entwicklung in ihrer Beziehung zu ermöglichen.

Eine schöne Vorstellung, dass sich Männer und Frauen in der Therapie näherkommen und letztlich voneinander lernen -ein Blick in die Welt zeigt jedoch, dass gesamtgesellschaftlich nach anderen Regeln gespielt wird. Schellenbaums Kritik an partriarchalisch strukturierten Beziehungen, die sowohl Mann als auch Frau um wesentliche Entwicklungschancen bringen, scheint verhallt zu sein. Für den Therapeuten Krüger etwa "läuft die Zeit fast rückwärts." Denn was sich Paare heute in der Therapie auf individueller Ebene an Gleichberechtigung erarbeiten, findet draußen kaum Niederschlag. Waren bis in die 1980er-Jahre noch Kinderbücher mit "arbeitenden" Frauen und betreuenden Männern angesagt ("Die dumme Augustine"!), so wird der kleine Max oder Jakob heute wieder ganz selbstverständlich von Mama ins Bett gebracht.

Vorwärts in die Vergangenheit

Auch ein Blick auf die Bekleidungsindustrie zeigt: Jungen tragen Batman &Co auf ihren T-Shirts, Mädchen die Eisprinzessin Elsa. Am eindrücklichsten zeigt der Spielzeugriese Lego, in welche Richtung es geht: Für Burschen gibt es Ninjas und Nexo Knights, alle in voller Roboter-Kampfmontur, für Mädchen das heimelige "Lego friends"(in Rosa und Lila gehalten). Auf der Bühne der internationalen Politik und Wirtschaft sieht es ni ht anders aus als im Kindergarten: Starke Männer mit starken Waffen wie Trump, Putin oder Erdoğan scheinen in eine emotionale Eiszeit zu verweisen. Die Frau (Melania?), so könnte man mit Schellenbaum schlussfolgern, verschwindet zwar aus der Außenwelt, "bestimmt aber dafür über die Gefühlsatmosphäre in der Ehe. In der patriarchalischen Welt haben Frauen mehr innere Kraft", schrieb der Schweizer Psychoanalytiker.

Wiewohl es das Ziel der meisten Paartherapeuten ist, allzu starre Rollenmuster aufzubrechen, findet "der gesamtgesesellschaftliche Backlash" doch auch auf der Couch seinen Niederschlag, wie Therapeut Wolfgang Krüger bemerkt: "Frauen um die 30 Jahre begeben sich oft relativ unreflektiert in alte Rollenmuster und laufen so Gefahr, viele Positionen wieder aufzugeben." Auch Elisabeth Gatt-Iro beobachtet, dass "sich manche Frauen dem Stress der Arbeitswelt freiwillig entziehen, weil sie für ihre Kinder da sein wollen." Als eine Ursache für den Rückwärtstrend sieht Krüger die allgegenwärtige Verunsicherung: "Globalisierung, Klimawandel, Migrationsbewegungen -das alles führt dazu, dass wir auf altbekannte Rollenmuster zurückgreifen, die uns Sicherheit versprechen." Der Rückfall in rigide Muster und Vorstellungen als Ergebnis multipler Bedrohungsszenarien also. Denn eines habe sich historisch immer wieder gezeigt, so Krüger: "Die Fähigkeit, Muster aufzulösen, gibt es immer nur in guten Zeiten."

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