Die Sehnsucht des Büßers

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Endlich einmal über Versagen und Scheitern sprechen: Offenbar löst das einen großen Reiz aus. Doch wie lässt es sich erklären, dass diese neue Gattung der Gespräche über Misserfolg eine solche Begeisterung auslöst und dass es offenbar keinen Mangel an Rednern gibt?

Verschiedene Gründe ließen sich benennen: Diese "Misserfolgsfeiern" stehen für Unterhaltung hoher Güte. In ihnen geht es um das volle Leben und um die Sehnsucht nach Glück. Hier kommen das Bedürfnis der Redner, sich mitzuteilen, und der Voyeurismus der Zuhörer ideal zusammen. Darüber hinaus laden diese Abende ein, sich von dem Trugbild simpler Erfolgsgeschichten zu verabschieden. Eine barmherzige Fehlerkultur wird eingemahnt. Wenn Menschen einander ihre Wunden zeigen und miteinander teilen, was ansonsten verschwiegen wird, kann eine Gesellschaft nur gewinnen.

Doch geht es hier gar nicht so sehr um das Lernen von den Fehlern anderer. Dazu bleiben die Geschichten zu vage. Stutzig mag man werden, wenn der Misserfolgs-Redner auf die Frage, was er denn jetzt konkret anders machen würde, antwortet: "Ich würde es ganz genau wieder so tun."

Was also sollte man lernen? Im Grunde bewegen wir uns hier auf einer anderen Ebene. Denn religiös ausgedrückt geht es um Lebensbeichte und um den tiefen Wunsch, dass das Leben doch gelingen möge. Näher betrachtet haben wir es mit einer solchen Beichte zu tun, die der Redensart nahesteht: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Denn so ganz genau will der Büßer vor einem fremden Auditorium Schuld und Scheitern nicht loswerden - was bei solch intimen Themen auch keinesfalls verwundert.

Scheitert man wirklich, wenn ein Kind der Karriere im Wege steht?

Unklar bleibt hier ohnehin der "Schuldbegriff": Was ließe sich denn als Scheitern bezeichnen? Dass der Kredit nicht gewährt wurde und aus dem Projekt etwas ganz anderes wurde? Dass der Körper protestiert und eine Krankheit zu Stillstand und Neuorientierung führt? Oder dass ein Kind ungeplant und überraschend der Karriere im Wege steht? Kann das wirklich dem eigenen Scheitern zugerechnet werden? Wohl kaum.

In den Misserfolgsfeiern drückt sich vielmehr das Bedürfnis nach Absolution, nach Anerkennung und nach Applaus aus. Der Redner, der hier mit seinen Fehlern kokettiert und sich dabei exhibitioniert, sehnt sich nach Zuspruch. Der "Büßer" will geliebt werden. Zur vollzogenen Beichte gehört schließlich auch der ritualisierte Neuanfang, nämlich die Überzeugung, mit Lust wieder neu anfangen zu können. Sein Mut soll belohnt werden.

Letztlich gelangt man zur Weisheit, dass zum Leben die andere Spielart einfach dazugehört. Dass es nämlich einfach Dinge im Leben gibt, die immer wieder danebengehen oder die eben anders laufen, als wir es uns wünschen würden. Von Samuel Beckett stammt das widersinnige oder auch sinnige Wort: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Da mischen sich eine Portion Fatalismus, Humor und tiefe Lebenskenntnis. Genau dies macht das neue Gesprächsmodell über das Scheitern à la "FuckUp-Nights" interessant, unterhaltsam und nachdenkenswert.

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