Glaube im Deutschen Neuland

Werbung
Werbung
Werbung

Ich gehe über den Alexanderplatz und rufe mir in Erinnerung, daß hier einmal das Herz der Hauptstadt schlug. Was ist aus jenem urbanen Zentrum geworden? Die Geschichte ist über den zugigen Platz hinweggefegt und hat seine Gesichtszüge verwüstet. Versteinerte Häßlichkeit. Der sozialistische Realismus hatte sich gerade hier ans Werk gemacht, um mit der Vergangenheit zu brechen und weltverändernde Pläne architektonisch umzusetzen.

Die Kreisbahnen sowjetischer Kosmonauten vor Augen, wurde die Gegend rund um den alten "Alex" umgestaltet. Der Fernsehturm erhebt sein Haupt in einen Himmel, der definitiv als gottlos zu gelten hatte. Mein Weg führt an der Weltzeituhr vorbei. Lange Jahre Demonstration dafür, daß im Sozialismus die Uhren richtig gehen. Als Schüler mußte ich mir oft sagen lassen: Die Christen mit ihrem veralteten Weltbild gehören der Vergangenheit an, aber die Zukunft ist mit dem neuen Staat. Schon ein flüchtiger Blick auf das rotierende Zahlenband, das an so fremden Orten wie Krasnojarsk und Kamtschatka vorbeizugleiten hatte, sollte begreiflich machen: In dem verheißenen neuen Reich geht die Sonne nicht unter.

Der Griff nach den Sternen ist gescheitert. Aber das hat die Krise der Weltzeituhr nicht gestört. Weiterhin zeigt sie je nach der geographischen Länge alle Stunden zugleich an. Nur an wenigen Namen läßt sich ablesen, daß sich der Weltlauf doch geändert hat. Früher ein weißer Fleck, erfahre ich jetzt endlich, wie spät es in Jerusalem ist. Wenn ich nach Leningrad Ausschau halte, werde ich immer wieder daran erinnert: Eine Stadt mit diesem Namen existiert nicht mehr.

Kein gottloses Berlin Nachdenklich geworden, nehme ich die Geschäftigkeit um mich herum mit größerer Aufmerksamkeit wahr. Viele Bauten stehen kurz vor der Fertigstellung. Autos mit Bonner Kennzeichen kreuzen die Straßen. Auf meinem weiteren Weg begegne ich neugierigen Berlin-Besuchern. Die Stadt, so scheint es, ist dabei, sich wieder zur Metropole zu entwickeln. Aus Erfahrung mit dem alten System und durch Umgang mit den neuen Verhältnissen weiß ich: Der richtige Berliner Ton ist nicht leicht zu treffen. Man muß erst hinhören, um zu begreifen, wie Verständigung möglich ist. Manchmal kann es wichtig sein, einfach zu "berlinern", in anderen Situationen ist Hochdeutsch angesagt.

Wie positioniert sich Kirche im Neuland? Mir klingt ein Satz des Präsidenten der Humboldt-Universität im Ohr: "Berlin ist keine katholische Stadt." Das stimmt sicher. Aber die nachfolgende Bemerkung, wonach Katholiken "nur eine Minderheit" seien, wollte ich nicht unwidersprochen hinnehmen. Heute gibt es keine einfachen Mehrheiten mehr. Jede gesellschaftliche Gruppe entscheidet darüber, in welchem Maß sich ihre Stimme Gehör verschafft. Natürlich dominieren in der Mediengesellschaft oft schrille und kirchenfeindliche Töne. Durch langjährige Erfahrung bei der Arbeit mit jungen Leuten bin ich überzeugt: Engagement lohnt sich. Wohl nur einige, die sich angesprochen fühlen, wagen den Schritt, Christ zu werden. Aber ich meine und weiß dabei, wovon ich rede: In einer weniger glaubensfeindlichen Atmosphäre fällt es leichter, von unserer Hoffnung zu sprechen.

Zentral ist die Frage, auf welche Weise Verkündigung gegenwärtig Gestalt gewinnt. Natürlich läßt sich das Problem einer Zeitenwende auch übergehen. Wer es jedoch vorschnell vom Tisch wischt, bekundet damit eigentlich nur Mutlosigkeit. Zuerst ist notwendig, geschichtlichen Boden unter die Füße zu bekommen. Berlin ist kein unbeschriebenes Blatt, kein gottloses Neuland. Wer sucht, entdeckt Spuren mutiger Frauen und Männer. Diese Vorläufer, so unterschiedliche Typen wie der Sozialreformer Carl Sonnenschein oder der Intellektuelle Romano Guardini, haben Pfade gebahnt, die - manchmal schon überwuchert - noch heute gangbar sind. Lange vor dem Zweiten Vatikanum ging der junge Guardini daran, Schätze einer zweitausendjährigen Tradition zu heben. Gerade hier an der Spree versuchte er, Argumente von Christentumskritikern aufzugreifen, um Gott auf neue und überraschende Weise zu Wort zu bringen. Auf diesem Fundament sollten wir weiterbauen.

Der Autor ist Bildungsreferent der Katholischen Studentengemeinde Berlin-Ost und Herausgeber der Buchreihe "Deutsches Neuland. Beiträge aus Religion und Gesellschaft".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung