HELDINNEN des Alltags

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Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Näherinnen: Sie alle leisten gute - aber schlecht bezahlte - Arbeit. Die Politikerin Regina Petrik packt mit ihnen zu.

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Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Näherinnen: Sie alle leisten gute - aber schlecht bezahlte - Arbeit. Die Politikerin Regina Petrik packt mit ihnen zu.

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Wenn Regina Petrik im "Merkur" in der Mattersburger Straße in Eisenstadt eine Kleinigkeit einkaufen will, dann kann das länger dauern. Egal ob im Backshop, in der Feinkostabteilung, bei den Milchprodukten oder an der Kassa: Überall trifft sie alte Bekannte. "Ist die Kleine noch im Spital?", will sie wissen. "Wie geht's deinem Mann?" Und natürlich: "Wie geht es dir?"

Die Frau mit dem kecken Kurzhaarschnitt signalisiert nicht nur Interesse -sie meint es ernst. Schließlich hat sie mit diesen Frauen im April Schulter an Schulter gearbeitet: Sie hat mit ihnen zu nachtschlafener Zeit die frischen Milchprodukte in die Kühlregale geschlichtet und die ältere Ware nach vorne geräumt, sie hat Obst mit braunen Flecken aussortiert, Weckerln gefüllt und Obstsäfte gepresst - all das, noch bevor punkt 7 Uhr die erste Kundschaft den Supermarkt betrat. Später hat sie 50 verschiedene Fruchtjoghurts eingeräumt und nörgelnde Kunden ertragen, die das 51. vermissten. Solche Erfahrungen schweißen zusammen.

Bis März dieses Jahres hat Eva Petrik "arbeiten" hauptsächlich in Form von reden, schreiben oder nachdenken erlebt. Als studierte Pädagogin war sie jahrelang in der Beratung und Bildungsarbeit tätig, unter anderem auch bei der Katholischen Aktion Österreichs, deren Präsidentin einst ihre Mutter Eva Petrik war. Später, nach der Geburt ihrer drei Kinder, war sie als Supervisorin und Beraterin aktiv - bis sie vor vier Jahren beschloss, in die Politik zu gehen. Petrik wurde Landesgeschäftsführerin der Grünen im Burgenland, im vergangenen November kürte man sie schließlich zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Mai 2015.

Das "Lehrjahr" einer Spitzenkandidatin

Zur Vorbereitung hätte sie sich ein paar teure Kurse gönnen können. Doch Regina Petrik hat sich für eine andere Form von Weiterbildung entschieden: "Ich wollte die Welt aus einer anderen Perspektive sehen", sagt sie mit funkelnden Augen. "Schließlich bin ich als Politikerin keine Interessenvertreterin, sondern muss alles im Blick behalten." Zehn Jobs in zehn Monaten hat sich Petrik vorgenommen, um in fremde Arbeitswelten einzutauchen und die gewonnen Erfahrungen in ihre politische Arbeit mitzunehmen: im März war sie Mitarbeiterin der "Pannonischen Tafel", die sozial benachteiligten Menschen billige Lebensmittel bietet, im April war sie hier im Supermarkt, im Mai Kellnerin, im Juni Pflegerin, im Juli Näherin, im August Erntehelferin und im September Mitarbeiterin auf einem Biohof. Zuletzt im Oktober hat sie sich erstmals in eine Männerdomäne begeben und am Bau gearbeitet. Nun, im November, ist sie vormittags als Helferin in einem Kindergarten aktiv.

Den Job als Grüne Landesgeschäftsführerin hat sie dafür auf Eis gelegt. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie -neben den Einkünften für ihre Hilfsarbeiterjobs -von Erspartem und den Entschädigungen für ihre Arbeit als Gemeinderätin und Klubobfrau der Grünen in Eisenstadt. Die finanziellen Einbußen nimmt die Mutter dreier halbwüchsiger Kinder gern in Kauf. Denn: "Regina will's wissen!"

Bislang wurde Petriks Jobtour samt dem knalligen Claim, der auch auf ihrem alten Toyota klebt, begeistert rezipiert. Auch Elke Frasz, die bei "Merkur" den Bereich für Molkereiprodukte leitet, ist bestens informiert. "Komm, lass mich deine Hände anschauen!" sagt sie lachend und prüft jeden Finger Petriks auf etwaige Baustellen-Blessuren. "Es war nicht so schlimm", kontert diese amüsiert. "Und die Männer waren alle höflich!"

Viele Klischees relativieren sich, wenn man selber zupackt und mit den Menschen spricht. Zuletzt, beim Bauunternehmen Thurner in Donnerskirchen, ist Petrik eben keineswegs auf biertrinkende Proleten gestoßen, sondern auf freundliche Ungarn, die lieber Saft oder Wasser konsumierten. "Einer hat mir sogar erklärt, dass er auf seine Hände besonders aufpassen muss, weil er nach der Arbeit in Ungarn noch als Heilmasseur arbeitet", erzählt Petrik. Wirklich belastend sei für sie das Arbeiten bei jeder Witterung gewesen. Das Schleppen der 25-Kilo-Säcke mit Bindemittel habe sie jedoch geschafft. Auch die Bezahlung hat gestimmt: Für 39 Wochenstunden bekäme sie als Hilfsarbeiterin am Bau 1900 Euro brutto monatlich. Als Akademikerin habe sie viele Jahre um weniger Geld gearbeitet.

Bei den Branchen, in denen sie in den Monaten davor im Einsatz war, sah es anders aus - und wie durch Zufall arbeiteten dort fast nur Frauen. Die Näherinnen der Firma Triumph in Oberwart bekommen etwa einen Einstiegslohn von unter 1000 Euro brutto. "Das ist eine schlecht bezahlte Arbeit, aber keine schlechte Arbeit", meint Regina Petrik dazu. Und viele Frauen leisten sie schon jahrzehntelang: In hochpräziser Akkordarbeit und 50 bis 80 Arbeitsschritten stellen sie makellose Büstenhalter her, die in Asien produzierte Billigware alt aussehen lässt. Trotzdem erleben viele der Frauen in ihrem Umfeld permanente Abwertung: "Du bist ja nur Näherin!", heißt es dann.

Noch ambivalenter wird die Lage bei jenen Frauen, die im Altenwohn- und Pflegeheim der Diakonie in Gols arbeiten. In ihren Umfeld hören sie meist Rückmeldungen wie "Meine Hochachtung!" oder "Das könnte ich nie machen!"; bei den Angehörigen der Bewohner stoßen sie hingegen manchmal auf Kritik. "Es ist das schlechte Gewissen oder auch die Angst, selbst einmal so ein Pflegefall zu werden, der die Angehörigen ungeduldig werden lässt", glaubt Petrik. Die enorme Zeitknappheit, die Pflege in anderen Häusern mit noch geringerem Personalschlüssel nicht selten zur Fließbandarbeit macht, verschärft die Situation zusätzlich.

Im System Kindergarten ist die Arbeitssituation paradoxerweise ähnlich: "So etwas wie Pausen gibt es hier nicht", berichtet Petrik nach ihren ersten Tagen als Helferin im Kindergarten in Bad Sauerbrunn, den sie einst als pädagogische Beraterin begleitet hat. Auch wenn es sich um eine besonders ambitionierte Einrichtung handelt: Die Aufgabe, ständig bis zu 20 Kinder im Auge zu behalten, überfordert rasch - auch jene, die gern mit Kindern arbeiten.

Nicht die Arbeit selbst, sondern die schlechten Rahmenbedingungen sind also häufig das Problem. Das zeigt sich laut Petrik auch im System Supermarkt -angefangen von der Lebensmittelverschwendung, die ganze Torten und Stelzen im Müll landen lässt, bis zur ständigen Ausweitung der Öffnungszeiten. Von Mitarbeiterinnen mit Schulkindern zu verlangen, dass sie samstags bis 20 Uhr arbeiten müssten, aber dafür am Mittwoch Vormittag zu Hause sein könnten, sei "blanker Zynismus".

Trotzdem arbeiten auch im "Merkur" in der Mattersburger Straße die meisten Frauen gern. Den eindrücklichsten Beleg dafür hat Petrik gleich am zweiten Arbeitstag von Elke Frasz erhalten. "Sag, Regina, befriedigt dich die Politik eigentlich?", hat sie die neue Praktikantin gefragt, der bald ein Ruf als "echte Hacklerin" vorauseilte. "Weil bei mir ist es nämlich so: Wenn in der Früh die Lieferung stimmt, wenn man dann mit dem Einräumen gut fertig geworden ist, wenn die Kunden zufrieden sind und am Abend auch noch das Geschäft stimmt, dann kann ich richtig befriedigt nach Hause gehen. Aber in der Politik, das muss doch mühsam sein!"

Ist Politikerin ein guter Job?

Bis heute empfindet Petrik diese Rückfrage als "äußerst heilsam", wie sie sagt: "Viele Jobs, bei denen man ach so intellektuelle Arbeit verrichtet, sind ja nicht von vornherein befriedigender." Gerade die Politik ist kein einfacher Job, weiß die Quereinsteigerin: "Ständig wird man angesprochen und für alles mögliche verantwortlich gemacht." Eine dicke Haut wolle sie sich deshalb nicht zulegen, dann würde sie nicht mehr berührbar sein; aber einen professionellen Umgang mit Kritik brauche es unbedingt.

Als langjährige Supervisorin tut sich Petrik hier leichter. Und auch das Echo auf ihre Jobtour lässt sie hoffen. Jener Mann, der ihr unlängst vorgeworfen hat, in ihren Praktika als Politikerin "nicht die wirkliche Härte der Arbeitswelt kennengelernt zu haben", ist in der Minderheit. "Natürlich bin ich in Betrieben, wo grundsätzlich ein positives Klima herrscht", erklärt Petrik, während sie in ihren alten Toyota steigt. "Aber die intensivsten Erfahrungen mache ich ohnehin durch die Gespräche mit den Kolleginnen."

Ob sie diese Gespräche im Dezember bei einem Bandagisten, in einer KFZ-Werkstatt oder im Kinderdorf führt, wird gerade per öffentlicher Abstimmung fixiert. Fehlt nur noch, dass auch andere Politikerinnen und Politiker sich einen Perspektivenwechsel gönnen. "Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden", sagt Regina Petrik. "Aber ich kann es wirklich nur empfehlen."

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