Wien, wie es riecht

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Würstelstände, Straßenbahnen, Gras und Fiaker: All das gehört zur Duftkulisse der Bundeshauptstadt. Der Kulturaktivist Eugene Quinn lädt in "Smells like Wien spirit" zu einer Entdeckungsreise mit der Nase ein.

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Würstelstände, Straßenbahnen, Gras und Fiaker: All das gehört zur Duftkulisse der Bundeshauptstadt. Der Kulturaktivist Eugene Quinn lädt in "Smells like Wien spirit" zu einer Entdeckungsreise mit der Nase ein.

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Treffpunkt U6, Alser Straße: Eine kleine Gruppe betritt ein türkisches Bäckereigeschäft am Gürtel. "Was riecht ihr?", fragt Eugene Quinn forschend in die Runde. "Kardamom" und "Sesam", lautet die spontane Antwort, und überhaupt: "Ein Stück Türkei mitten in Wien". Kurz danach entfaltet sich der Geruch von Bier und heißem Fett am Würstelstand. Und dann geht es vom Gürtel aus ein paar Stationen mit dem 43er Richtung Hernals. Selbst die alte Straßenbahn lässt sich am Geruch von der neuen unterscheiden, sagt der Brite und Wahlwiener Eugene Quinn.

"Smells like Wien spirit" nennt sich der Geruchsspaziergang durch die Bundeshauptstadt, den der Kulturaktivist anbietet - und bei dem er auch viel von sich selbst erzählt. Das muss wohl so sein, denn ließe sich ganz praktisch von Gerüchen reden, ohne von sich selbst etwas mitzuteilen? Der Geruchssinn ist eben höchst subjektiv - und dies vermittelt Quinn höchst charmant und humorvoll in seinen Geschichten.

So weiß er etwa davon zu berichten, wie sich in London, Wien und anderen Großstädten die wohlhabenderen Wohnviertel dort befinden, wo der frische Wind herkommt. Die gute Wiener Luft aus dem Wiener Wald unterscheidet sich von der Wiener Luft, die durch die Bezirke hindurch getragen im Süden der Stadt ankommt. Und außerdem ändern sich die Gerüche mit jedem Wochentag, erklärt er - um seine Aussage auch gleich wieder einzuschränken: Denn in London rieche es an allen sieben Tagen der Woche irgendwie gleich. In Wien hingegen rieche es an zweieinhalb Tagen nach Wochenende - und an viereinhalb nach Arbeit.

Wiener Duft von Wochenende

Und noch einen Vergleich bringt er, der aufhorchen und aufriechen lässt: Würde man etwa in London auf die Idee kommen, Müllmänner als Ehrenmänner zu bezeichnen? Die MA48 hat beste Reputation und lädt jährlich sogar zu einem -für Ortsfremde außergewöhnlichen -"Mistfest" ein. Wie sich das jetzt allerdings auf die Duftkulisse auswirkt, lässt Quinn im Dunkeln. Hätte es zu regnen begonnen, hätte er aber auf den ganz eigenen Geruch trockener Erde, auf die erstmals wieder Regen fällt, aufmerksam gemacht. Im Englischen steht hierzu ein besonderes Wort zur Verfügung: "petrichor" - ein echter Sommerduft.

An diesem Tag ist davon freilich weit und breit nichts zu riechen. Dafür geht es - für einen Wiener identitätsstiftend -zu Meinl, Manner und Ottakringer. Wie riecht die Kaffeerösterei neben einem Schwimmbad? Wie riechen gebrannte Kaffeebohnen neben einem Hauch von Chlor? Oder die ehrwürdige Brauerei neben wartenden Autos an der roten Ampel?

Ist man erst einmal auf den Geschmack gekommen, erriecht sich plötzlich eine ganze Menge. Welchen Geruch sendet eine katholische Kirche aus oder wie duftet das frisch gemähte Gras im Park? Nichts, was sich wirklich in Worte fassen ließe -man muss es sinnlich begreifen. Und so wirft Eugene Quinn im Kongresspark gleich einmal ein Bündel frisch gemähten, noch feuchten Grases in die Luft, das schon in den Augenblicken des Hinabfallens seinen unverkennbaren, würzigen Geruch entfaltet. So werden inmitten des Treibens einer Großstadt und ihrer Gerüche gerade die Grünflächen zu willkommenen Gegenorten.

Dies unterscheidet sich kaum von vergangenen Zeiten: In den Gärten und Parks konnte man sich "mit den Wohlgerüchen der Natur umgeben und so den Wechsel der Jahreszeiten mit der Nase nachvollziehen", schrieb der Historiker und Stadtforscher Peter Payer 1997 im Buch "Der Gestank von Wien", in dem er den Veränderungen des öffentlichen Raumes in Bezug auf das Riechen nachgegangen ist.

Das Riechen als "niederer Sinn"

Überhaupt ist das Riechen in kulturgeschichtlicher Hinsicht schon länger eine Entdeckung wert, wobei der Akzent eher auf den als unangenehm empfundenen Gerüchen liegt - und auf den Strategien, mit Gestank umzugehen. In der westlichen Kultur werde das Riechen im Unterschied zum Sehen und Hören als niederer Sinn empfunden, eng verknüpft mit Sexualität und Tod, betont Payer auch in seinem aktuellen Buch "Wien -die Stadt und die Sinne" (Löcker Verlag), einer Sammlung von Reportagen und Feuilletons aus der Zeit um die Jahrhundertwende.

Was in der Nase eine Sinneswahrnehmung auslöst, kann als duftend, stinkend oder bewertungsoffen gelten. Mag es auch eine menschenübergreifende Verständigung darüber geben, was man gerne oder weniger gerne riecht, so lässt es sich dennoch nicht auf einen allgemeinen Nenner bringen. Immer aber lädt ein Duft ein, sich auf die ganz eigene Suche zu machen und sich zu fragen: Wo ist mir diese Sinneswahrnehmung schon einmal begegnet?

Duftende Erinnerungen

Vom "inneren Schauen der Vergangenheit mit Hilfe der Geruchsnerven" schrieb etwa Eduard Pötzl 1888 in seiner Erzählung "Kleine Reiseskizze", die sich in Payers Sammelband findet. Tatsächlich gehört es zur emotionalen Wirkung von Gerüchen, dass sie Erinnerungen hervorrufen, die durchaus ambivalent sind. Der eine landet dann beim Mittagstisch der Oma, der andere im Schwimmbad seiner Kindheit, der nächste wiederum bei der Brauerei, in deren Nähe er groß geworden ist. Chlorgeruch, Malz, Seife, heißes Fett, Kardamom und viele andere Gerüche werden zu Vehikeln in eine andere Zeit. "Auf Reisen in andern Ländern vermisse ich unsere Kirchen und Türme mit ihrem Weihrauchduft und Glockengeläute", schreibt Eduard Pötzl anno dazumal. "Dennoch gibt es etwas, was mir zur Sommerzeit auf Reisen das häufig aufquellende Heimweh unterdrücken hilft; es ist dies der Gedanke an die Wiener Gerüche, welche man so während des Juli und August tagtäglich in den Straßen einzuschlürfen gezwungen ist." Unter anderem gehört dazu etwa auch der Geruch der Fiaker, wie Pötzl plastisch beschreibt: "Es gibt doch in den übrigen Städten der Welt auch Lohnfuhrwerke und auch einen heißen Sommer und auch einen Stoffwechsel der Tiere. Nirgends jedoch, das darf man kühn behaupten, werden die Menschen von diesen Dingen so elendiglich in Mitleidenschaft gezogen als in Wien."

Man kann darüber diskutieren, ob sich die Situation seit damals verändert bzw. verbessert hat. Eine Geruchs-Tour durch die Stadt kann allerdings bis heute dort Verknüpfungen herstellen, wo es zuvor keine gab. Über die Sinne ergeben sich ganz neue Verbindungslinien: Wie riechen die Straßen, die Geschäfte, die Hinterhöfe? Gerüche laden zum Verweilen und Hinriechen und Wahrnehmen ein.

Riechend Brücken schlagen

Dies ist überhaupt das Anliegen des Vereins "space und place", der Orte der Begegnung zu entdecken hilft. Brigitte Vettori, Kultur- und Sozialanthropologin sowie gemeinsam mit Eugene Quinn Gründungsmitglied von "space und place", legt es so dar: "Space - das sind die sozialen Räume, dort wo sich Menschen begegnen; places - das sind die Orte und Plätze, die wir neugierig entdecken und an denen wir Menschen miteinander ins Gespräch bringen." Um Orte zu beleben, braucht es nur Entdeckerfreude mit allen Sinnen und Interesse für die Menschen, die dort ein-und ausgehen. "Dann ereignet es sich: Das Gestalten von Räumen und das Beleben von Plätzen". Oder, wie Vettori es nennt: die "kulturelle Raumgestaltung".

Auch nach einem Gang durch die Duftkulisse von Wien vollzieht sich in einem selbst ein Sinneswandel. Dachte man zuvor noch: Ich kenne doch meine Stadt und ich kenne doch die Straßen, bin tausend Mal an ihnen entlanggegangen - so wird einem plötzlich mehr und mehr klar, wie sehr die Gerüche bei der Wahrnehmung und Gestaltung von Räumen mitspielen. Auch Gerüche haben eine soziale Komponente, indem sie Orte und Menschen verknüpfen und Räume weiten. In Wien - und überall sonst.

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