Zuhause in der Turbogemeinde

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Was braucht die Wohlfühlgemeinde - vom Kanaldeckel angefangen über die Wasserleitung bis zum Altersheim? Die Ansprüche unterscheiden sich je nach Lebensphase, meint Werner Slupetzky.

Ist nur eine bestversorgte Gemeinde eine gute Gemeinde? Sind in einer perfekt funktionierenden Kommune, sozusagen in einer Turbogemeinde, die Bewohner zufriedener und glücklicher? Ich meine, in den verschiedenen Lebensphasen variieren auch die jeweiligen Bedürfnisse und Anforderungen an die Wohnqualität in einer Gemeinde. Ich möchte das an meiner eigenen Lebens-und Gemeindegeschichte illustrieren:

Im Fremdenverkehrsstress

In der Kindheit, mit der Familie aus dem bombengefährdeten Wien geflüchtet, war die Zeit (1944 bis 1949) in Saalbach für uns sechs Geschwister ein romantisches Leben, aber sorgenvoll für unsere Mutter, die oft nicht wusste, wie sie unseren Hunger stillen sollte. Saalbach, das sich vom armen Bergbauerndorf zum internationalen Fremdenverkehrszentrum entwickelt hat, ist ein gutes Beispiel, wie sich der Ausbau der kommunalen Einrichtungen, der Ver-und Entsorgung, der Verkehrsstruktur und der gewaltige Tourismusboom auf die Dorfgemeinschaft und ihr Leben ausgewirkt hat. Man spricht heute schon von Fremdenverkehrsgemeinden im Stress. Der Gast muss sich wohlfühlen - um jeden Preis. Auch auf Kosten der Familien und der Dorfgemeinschaft.

Eine weitere Gemeindestation war in den 50iger Jahren die Rückkehr in das bombenzerstörte Haus in Wien. Die Stadtverwaltung hatte damals ganz andere Sorgen als heute: kaputte Infrastruktur. und die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln waren Gebot der Stunde. Welchen Aufschwung, welch gewaltige Veränderung hat Wien seither erfahren. Ich hab' es als Student miterlebt.

In der Lebensphase, wo man einen Arbeitsplatz braucht, heiratet, eine Familie gründet, eine geeignete leistbare Wohnung sucht und Kindergarten, Schule, Freizeitangebote wichtig werden, bekommt die Qualität des kommunalen Versorgungsnetzes einen anderen, wichtigeren Stellenwert. Erst wenn die Grundbedürfnisse des Lebens gestillt sind und Alltagssorgen nicht überhand nehmen, kann sich ein Wohlfühlen, zumindest phasenweise, einstellen. Und dabei ist immer noch die persönliche seelische Befindlichkeit ausschlaggebend für die Zufriedenheit des Zusammenlebens.36 Jahre habe ich mit meiner Familie in Wien gelebt. Zuerst arbeitete ich im Institut für Stadtforschung für die Großstadt und dann in der Raumplanungsabteilung für die Dörfer Niederösterreichs. 15 Jahre davon zuerst im Waldviertel als Regionalmanager und dann als verantwortlicher Dorferneuerer für alle Gemeinden des Landes.

Dörfer als verdünnte Städte?

In der Großstadt zu wohnen, die Vorteile der Stadt zu nützten, zu den Gemeinden und Dörfern hinauszufahren und für sie zu arbeiten war ein spannungsreicher Gegensatz voller Überraschungen. Bald erkannte ich, dass der damals von Stadtforschern hochgespielte Gegensatz zwischen Stadt und Land nicht stimmte. Aus der Zentralsicht sprach man von einem nach außen abnehmenden Stadtkontinuum und die fernen Dörfer waren so etwas wie verdünnte Stadtagglomerationen und unterentwickelte Stadtembryonen. Diese Fehlsicht hat sich zum Glück nicht durchgesetzt und war ein falscher Standpunkt. Städtische und ländliche Gemeinden sind einander ergänzende Bereiche, jeder mit eigenen kommunalen Aufgaben und Funktionen. Doch der hochtourige Autobahn-und Schnellstraßenbau und die digitale Anbindung jedes kleinsten Dorfes an die Machtzentralen bringt heute tatsächlich eine bedenkliche Nivellierung der Lebensräume mit sich.

In der Lebensabendphase eines Pensionisten bedarf es einer besonderen Wohlfühlgemeinde. Ich habe sie für mich gefunden. Es ist eine gut verwaltetet Gemeinde, in der vom Kanaldeckel über die Wasserleitung und den Kleinkraftwerken, bis zum Altersheim und der Pfarrgemeinde alles gut funktioniert. Die Nationalparkgemeinde Neukirchen am Großvenediger ist für mich ein guter Platz, um alt zu werden.

Wohlfühlen in einer Gemeinde wird immer mehr eine Frage des Überlebens der Selbständigkeit und Eigenständigkeit. Die Eventisierung des Lebens greift in bedrohlichem Maß in unserer Gesellschaft und auch im Dorf um sich. Die Konsum-und Wegwerfgesellschaft bringen die Dörfer heute gehörig unter Druck. Die Globalisierungswelle drückt handwerkliche und bodenständige Erzeugnisse hinaus und markenpunzierte Massenprodukte hinein. Das Internet-Tempo bestimmt immer mehr das berufliche und private Leben.

Energiespender für Dorfseele

Da sind die vielen Vereine und Organisationen als ausgleichender und tempobremsender Faktor wichtiger denn je. Neben den bewährten ehrenamtlichen Einrichtungen und Vereinen gewährleisten aber auch die "stillen Helfer und Helferinnen" im Hintergrund das Funktionieren der Dorfgemeinschaft. Die eigentliche Basis des Lebens sind die verborgenen Kräfte, die unbekannten Könner und unerkannten Talente, die oft unbedankt im Stillen wirken. Sie stehen nicht in den Zeitungen. Sie fallen nicht auf. Sie treten nicht vor die Fernsehkameras. Sie sind unverzichtbare Energielieferanten für eine gesunde Dorfseele.

Der Autor war Dorferneuerer in Niederösterreich.

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