Der Iran und Israels Hegemonial-Politik

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Eine andere Sicht auf Israels Iran-Politik. Der Politologe und Antisemitismusforscher John Bunzl warnt vor einem Militärschlag Israels gegen den Iran und relativiert die Gefahr, die von Teheran ausgeht. Ein Gastkommentar.

Die Haltung Israels gegenüber dem Iran beruht, wie ich meine, sowohl auf deklarierten, als auch auf realpolitischen Motiven. Zu den Letzteren gehört vorrangig der Wunsch, eine hegemoniale Stellung in der Region beizubehalten.

Das eigene Atompotenzial (angeblich 200-300 Sprengköpfe) ist in diesem Kontext zu sehen. Darüber hinaus ist weder Absicht, noch Realität eines iranischen militärischen Nuklear-Programms eindeutig erwiesen. Ein nuklearer Iran, selbst wenn er nur an der Schwelle zur Produktion von Atomwaffen stünde, würde aber die Manövrierfähigkeit Israels erheblich einschränken. Darin liegt wohl der Hauptgrund für die seit mindestens zehn Jahren wiederholte Warnung, der Iran stünde unmittelbar vor der Fähigkeit, Nuklearwaffen einzusetzen. Israel ist nur ein Element der Interessenkonstellation. Auch heute wird die Bedrohung nicht nur auf Israel bezogen; sie wird globalisiert. Vor allem die USA sollten der Bedrohung entgegentreten. Das ("objektive“) Interesse der USA ist jedoch mit jenem Israels nicht identisch. Es geht Washington, wie schon beim Irak, um die ökonomische und strategische Kontrolle der Region. Relativ unabhängige Staaten/Regime könnten die Durchsetzung dieses Interesses zumindest erschweren.

Der Iran und Auschwitz

Israel benötigt Argumente, um die USA "mit ins Boot“ zu holen. Dazu gehört die Darstellung, das iranische Regime wolle Israel "von der Landkarte ausradieren“ (2005), würde einen "zweiten Holocaust“ vorbereiten und zu diesem Zweck Nuklearwaffen benötigen. Iran repräsentiere Auschwitz und sei ebenso zu bomardieren, wie es das Massenvernichtungslager hätte werden sollen.

Dieses Narrativ kann sich auf eine bestimmte Interpretation mehrerer Aussagen Präsident Ahmadinejads stützen. Eine genauere Überprüfung des persischen Textes ergibt aber, dass es sich eigentlich um eine Äußerung Ayatollah Khomeinis handelt: "Das Regime, das Jerusalem besetzt, müsse von den Seiten der Zeit verschwinden.“ Als Analogie bezog er sich auf das Verschwinden der Sowjetunion oder des Shah-Regimes. Natürlich ist auch eine solche Aussage für das israelische Selbstverständnis politisch unakzeptabel. Andererseits wurde von Khomeini oder Ahmadinejad keine Verbindung zu einem bevorstehenden militärischen Angriff hergestellt. Diese Sprüche sollten sich wohl eher an die "arabischen Massen“ wenden und den (beschränkten) Einfluss der islamischen Revolution fördern sowie pro-westliche Regime in der arabischen und islamischen Welt untergraben.

Ahmadinejads Öl im Feuer

Ahmadinejad goss jedoch noch mehr Öl ins Feuer, als er bei mehreren Gelegenheiten den Holocaust relativierte oder sogar als Mythos bezeichnete. Ein Höhepunkt war die Konferenz "A World without Zionism“, die im Dezember 2006 in Teheran stattfand. Dabei ergaben sich aber auch einige Widersprüche, die aus der Instrumentalisierung des Holocaust in der Konfrontation mit Israel resultieren. Der Holocaust wird als Legitimations-Ideologie des zionistischen Staates wahrgenommen: daher das Interesse seine Ungeheuerlichkeit abzuschwächen, wenn nicht gar zu leugnen - daher aber auch andererseits die häufige Formulierung es habe sich beim (also doch stattgefundenen) Holocaust um ein europäisches Verbrechen gehandelt. Diese Konfusion beweist nur, dass im Iran und anderswo in der islamisch-arabischen Welt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit europäischer Geschichte stattgefunden hat; sie beweist aber auch den Unterschied zum traditionellen "abendländischen“ Antisemitismus, dem es nicht um Israel, sondern um "die“ Juden geht.

Es ist nach alledem nicht verwunderlich, dass Israel darauf folgendes Bild malte: Die iranischen antisemitischen Islamisten wollen den Staat Israel vernichten, die Holocaust-Leugner wollen einen zweiten Holocaust veranstalten und dazu brauchen sie "die“ Bombe. Als ob die vollkommene Ohnmacht der jüdischen Opfer mit dem waffenstrotzenden Israel in einem Atemzug genannt werden könnte.

Widersprüche in der Darstellung

Es gibt also auch Probleme und Widersprüche in der israelischen Darstellung. Einerseits wird auf der Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Holocaust bestanden, andererseits werden auch innenpolitische Gegner (in verschiedenen Zusammenhängen) leichtfertig als "Nazi“ und "Hitler“ bezeichnet. Außenpolitische Gegner werden fast automatisch zu "Hitlers“ ernannt. Das ging von Gamal Abdel Nasser über Saddam Hussein und Jasser Arafat bis eben zu Mahmud Ahmadinejad. Eine abwartende, auf Diplomatie setzende Politik wird häufig mit Worten wie "1938“ (Tschechoslowakei), "appeasement“ oder "München“ stigmatisiert und mit gegenwärtigen Bedrohungsbildern gleichgesetzt. Israel erlangte im amerikanischen politischen Diskurs nicht nur dadurch eine quasi-sakrale Bedeutung, oft jenseits politisch-strategischer Interessen.

Mitten im Wahlkampf attakieren Netanyahu und seine Freunde US-Präsident Obama, weil dieser "soft on Iran“ sei und "nicht 150 Prozent“ hinter Israel stehe. Indirekt betreibt Netanyahu so "regime change“ - in den USA.

Es gibt aber auch hier einige Widersprüche. Wenn Ahmadinejad ein genozidaler Antisemit ist, warum vergreift er sich dann nicht an den etwa 20.000 Juden im Iran? Bei der unrühmlichen Konferenz "verbrüderte“ er sich öffentlich mit ultra-orthodoxen, anti-zionistischen Juden. Hitler? Teheran solidarisiert sich mit den Palästinensern; aber eine Atombombe auf Israel würde auch sie und das heilige Jerusalem (Al Quds) auslöschen! Der Iran fühlt sich von US Militärstützpunkten, Flugzeugträgern etc. umzingelt und von Israel bedroht. Schwerwiegende Sanktionen und die Ermordung von iranischen Atomwissenschaftlern sollen Teheran zu Vergeltungsaktionen provozieren, die dann als Kriegsgrund ausgegeben werden könnten. Die Stigmatisierung des Iran als Hauptakteur des "internationalen Terrorismus“ soll die Notwendigkeit eines Militäreinsatzes suggerieren. Atomanlagen zu bombardieren wäre aber nicht nur ein militärpolitisches Risiko, sondern könnte auch zu verheerenden direkten Folgen führen. Eine Anlage etwa befindet sich in Isfahan, einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern.

Der Iran ist sicher heute eine klerikale Diktatur, wie die brutale Niederschlagung der Grünen Bewegung nach der Wahlfälschung 2009 gezeigt hat; das ist jedoch nicht der Grund für das Säbelrasseln. In seiner neueren Geschichte hat der Iran keine Angriffskriege geführt, er wurde, im Gegenteil, ab 1980 von Saddams Irak mit Krieg überzogen und hatte eine halbe Million Opfer zu beklagen. Könnte das Regime nicht auch legitime Sicherheitsinteressen ins Treffen führen? Würde die Führung des Iran die Auslöschung des eigenen Landes riskieren wollen? Nur wenn man annimmt, dass es sich bei dem Regime um einen obskuren suizidalen Kult handelt, wie manchmal behauptet wird.

Warnungen vor einem Krieg

Und wie steht es mit Israel selbst? Fast das gesamte (ehemalige) Sicherheits- und Geheimdienstestablishment warnt vor unabsehbaren Folgen eines Präventivschlags. Auch US-Verteidigungsminister Leon Panetta und andere erklären, sich in einem solchen Fall nicht an einem militärischen Abenteuer beteiligen zu wollen. Andere warnen davor, die Gefahr zu übertreiben, weil dadurch potenzielle jüdische Einwanderer abgeschreckt und eine unerwünschte Auswanderung von qualifizierten Kräften gefördert werden könnten- also das genaue Gegenteil des zionistischen Programms.

Natürlich wirkt das Trauma der Massenvernichtung im Bewusstsein weiter, (einige wenige) bedächtige Kritiker warnen "nur“ vor dem inflationären und taktischen Gebrauch von Holocaust-Analogien. Dadurch würde die schrecklichste Tragödie in der Geschichte der Juden trivialisiert. Welche Sprache könne man dann noch finden, wenn eine wirkliche Katastrophe in den Proportionen des Genozids drohe?

Der Autor ist Senior Fellow am Institut für Internationale Politik

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